Krankheiten vorhersagen mit GPT? KI sagt Krankheiten bis zu 20 Jahre voraus

Autor: Birgit Maronde

Forschende haben ein KI-Modell entwickelt, das mehr als 1.000 Krankheiten über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren voraussagen kann. Forschende haben ein KI-Modell entwickelt, das mehr als 1.000 Krankheiten über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren voraussagen kann. © Sansert - stock.adobe.com

Forschende haben ein KI-Modell entwickelt, das mehr als 1.000 Krankheiten über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren voraussagen kann. Solche Modelle bergen Sprengkraft, mahnen Kritiker.

Eine der großen Stärken von KI-Modellen ist es, Muster zu erkennen und auf deren Basis Vorhersagen für die Zukunft zu treffen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) und vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) haben nun ein GPT-basiertes Modell entwickelt, das mehr als 1.000 Krankheiten vorhersagen können soll. Es erlaubt Prognosen über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren – sowohl individuell als auch auf Populationen bezogen. 

KI wurde mit Daten aus der UK-Biobank versorgt

Anhand der anonymisierten Daten von 400.000 Personen aus der UK-Biobank trainierte die Arbeitsgruppe um Artem Shmatko, DKFZ Heidelberg, eine KI. Die Forschenden speisten sie u. a. mit klinischen Befunden, Angaben zu BMI, Geschlecht, Alkohol- und Nikotinkonsum. Derart gefüttert, lernte die KI die Logik der zeitlichen Abfolge von gesundheitsrelevanten Ereignissen. Validiert wurde das Delphi-2M genannte Modell anhand der Daten von 1,9 Millionen Menschen aus einem dänischen Krankheitsregister.

Bei Erkrankungen mit eindeutigen und konsistenten Verlaufsmustern, etwa bestimmten Krebsarten oder Herzinfarkten, sowie im Hinblick auf Tod schaffte Delphi-2M zuverlässige Vorhersagen. Schlechtere Ergebnisse lieferte es, wenn Verläufe unklar oder weniger gradlinig waren, wie dies u. a. bei psychischen Störungen oder Schwangerschaftskomplikationen der Fall ist. Auch bei seltenen Erkrankungen war die Vorhersage schlechter.

Nach Aussage der Autorengruppe ist ihr KI-Modell noch nicht für den klinischen Einsatz geeignet. Es müsse weiter erforscht und beispielsweise mit zusätzlichen Daten, etwa Blutwerten, gefüttert und optimiert werden.

GPT-Modelle, die Krankheitsverläufe prognostizieren, bergen Sprengkraft, erklärte der Medizinethiker Prof. Dr. Robert Ranisch von der Universität Potsdam. Zwar sei der Einsatz von Delphi-2M noch Zukunftsmusik, doch man müsse sich schon heute genau überlegen, mit welchem Ziel es zum Einsatz kommen soll. Will man für benachteiligte Gruppen Versorgungslücken erkennen oder möchte man den Einzelnen stärker in Verantwortung für seine künftige Gesundheit nehmen und gar die Pflicht zur Verhaltensprävention einführen? Zu befürchten ist, dass Modelle wie Delphi-2M z. B. bei Versicherungen oder Arbeitgebern falsche Begehrlichkeiten wecken, warnte Prof. Ranisch. In der Folge könnten Menschen ungerechtfertigt benachteiligt werden.

Binäre Kategorien gesund oder krank gelten nicht mehr

Was die Einschätzung der rechtlichen und ethischen Tragweite der neuen Technologie angehe, stehe man erst am Anfang, zumal die binären Kategorien gesund/krank nicht mehr gelten werden. „Was bedeutet es für gesunde Menschen, die in ein Muster ,bald Kranker‘ passen? Wie schützen wir Gesundheitsinformationen, wenn plötzlich eine Vielzahl persönlicher Daten für KI-Prognosen relevant wird?“, hinterfragte der Experte. 

PD Dr. Markus Hermann, der sich am Institut für Medizin- und Datenethik der Universität Heidelberg mit KI-Ethik beschäftigt, steht der neuen Technologie grundsätzlich positiv gegenüber: Unüberwindbare ethische Hürden sieht er nicht. „Der Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz zur Vorhersage von Krankheitswahrscheinlichkeiten und -verläufen ist nicht nur ein naheliegendes Einsatzgebiet dieser Technologie, sondern auch ein notwendiges“, sagt er. Sowohl der individuelle Nutzen als auch der für das Gesundheitssystem sei enorm. 

Er befürchtet jedoch, dass Delphi-2M nach entsprechender Weiterentwicklung und „rigoroser“ Validierung gar nicht zum klinischen Einsatz kommen wird. Wie bei anderen vielversprechenden KI-Modellen auch werde die Entwicklung letztlich nur in „prestigeträchtigen“ Publikationen münden. Eine hohe Hürde sieht er in der extrem kosten- und zeitintensiven Zertifizierung nach dem Medizinproduktgesetz.

Quelle: 1.Shmatko A et al. Nature 2025; doi: 10.1038/s41586-025-09529-3
2.Pressemitteilung Science Media Center