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Gehirn unter Druck Kraniektomie oder Dura eröffnen?

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Bei erhöhtem Hirndruck kann eine dekompressive Kraniektomie lebensrettend sein.
Bei erhöhtem Hirndruck kann eine dekompressive Kraniektomie lebensrettend sein. © Science Photo Library/Living Art Enterprises
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Die Kraniektomie dient der Dekompression bei jeglicher Art von Hirndrucksteigerung, sei sie durch akute intrazerebrale oder subarachnoidale Blutung, Schlaganfall oder Trauma bedingt. Zum besten Zeitpunkt, wann „der Deckel“ wieder drauf kommt, gibt es unterschiedliche Daten.

Die dekompressive Kaniektomie mit Eröffnung der Dura verschafft einem schwellenden Gehirn mehr Platz. Der erhöhte Hirndruck sinkt und die Perfusion verbessert sich. Dafür muss aber der entfernte Teil der Schädeldecke ausreichend groß sein, betonte der Neurochirurg PD Dr. Thomas Reithmeier vom Klinikum Bayreuth. Man brauche mindestens 13 cm im Längs- und 11 cm im Querdurchmesser. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass das Gehirn bei weiterer Ausdehnung an den Knochenrändern eingeklemmt werde.

Bei einer traumatischen epiduralen Blutung ist die primäre Kraniektomie indiziert, wenn das Hämatomvolumen mehr als 30 ml beträgt. Da nur ein geringes Risiko dafür besteht, dass sich ein erhöhter Hirndruck entwickelt, muss man die Dura nicht eröffnen. Wie der Kollege erläuterte, wird die Schädeldecke sofort nach der Entlastung des Hämatom­s wieder eingesetzt.

Zur primären Kraniektomie bei subduraler Blutung liegen weniger gute Studiendaten vor. Es herrscht jedoch Konsens darüber, dass man eine Dekompression durchführen sollte, wenn es intraoperativ zu einer starken Schwellung kommt oder präoperativ in der CT mehrere Kontusionen nachweisbar waren. Bei entspanntem Gehirn, minimalen Parenchymschäden in der präoperativen CT und älteren Patienten mit einem niedrig-energetischen Trauma genügt die Kraniotomie plus Rückplatzierung der Schädeldecke während derselben Operation. Sowohl nach Dekompression als auch „einfacher“ Kraniotomie sollte eine Sonde zum postoperativen Hirndruck-Monitoring (ICP-Sonde) platziert werden.

Verzögertes Ödem nach bifrontalen Kontusionen

Ein Sonderfall sind bifrontale Kontusionen. Den betroffenen Patienten geht es anfangs meist relativ gut, aber im späteren Verlauf können sie sich plötzlich verschlechtern, warnte Dr. Reithmeier. Ursache ist, dass sich das Hämatomvolumen im Verlauf der ersten Tage u.U. weiter vergrößert und sich verzögert ein Ödem entwickelt. Diese Situation betrachtet der Neurochirurg als einzige Indikation für eine bifrontale dekompressive Kraniektomie.

Die sekundäre Kraniektomie gilt als Ultima Ratio bei einem therapierefraktären Hirndruck­anstieg. In der Studie RESCUEicp erhielten Patienten mit einem therapierefraktären, um > 25 mmHg erhöhten intrakraniellen Druck über 60 min nach einem schweren Schädelhirntrauma entweder eine dekompressive Kraniektomie oder eine konservative medikamentöse Therapie. Mortalität und klinisches Outcome waren in der Kraniektomiegruppe deutlich günstiger.

Je geringer das Ausmaß des primären Hirnschadens und je besser der neurologische Status, desto eher wird man sich für diesen Eingriff entscheiden, so Dr. Reithmeier. Feste Hirndruck-Grenzwerte hält er als Kriterium nicht für sinnvoll. Das intrakranielle Druckmonitoring müsse nach dem Eingriff fortgesetzt werden.

Der Kraniektomie sollte möglichst die Kranioplastie folgen. Sie stellt nicht nur den mechanischen Schutz des Gehirns wieder her und erleichtert die neurologische Rehabilitation, sondern verbessert auch die Durchblutung, das neurologische Outcome und die Kognition. Technisch handelt es sich bei der Kranioplastie um eine relativ simple Prozedur, sagte PD Dr. Thomas Sauvigny, Neurochirurg am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Dennoch bringt sie häufig Komplikationen mit sich.

Der Kollege stellte kürzlich publizierte  Registerdaten aus Deutschland (German Cranial Reconstruction Registry; GCRR) vor, die das Kurzzeit-Outcome solcher Eingriffe bei über 500 Patienten beleuchten. In den ersten 30 Tagen nach der Kranioplastie verstarben knapp 1 % der Registrierten. Als häufigste Komplikation traten epidurale Nachblutungen (20 % der Patienten) auf.

Insgesamt gab es bei 130 Kranken 206 Komplikationen, von denen 45 einer Revision bedurften. Epidurale Hämatome waren die Indikation für 40 % aller Revisionen. Subdurale Hämatome führten in 13 % und ein neu aufgetretener Hydrozephalus in 22 % der Fälle zur Revision.

Als Risikofaktoren für das Auftreten von Komplikationen erwiesen sich erhöhte Werte in der modifizierten Rankin-Skala (mRS) sowie der Klassifikation der American Society of Anesthesiologists (ASA-Score) bei Klinikaufnahme. Schlaganfallpatienten hatten ein geringeres Komplikationsrisiko als Menschen mit intrazerebraler bzw. subarachnoidaler Blutung oder Trauma.

Optimaler Zeitpunkt für die Zweit-OP unklar

Je kürzer das Zeitintervall zwischen Kraniektomie und Kranioplastie war, desto höher lag gemäß der Registerdaten das Komplikationsrisiko. Dies steht im Widerspruch zu den Aussagen in einem Konsensuspapier, die einen eher frühen Zeitpunkt für die Kranioplastie nahe legen, nämlich sechs Wochen bis drei Monate nach der Kraniektomie, erklärte Dr. Sauvigny. Der optimale Zeitpunkt für die Zweit-OP bleibe also unklar, man müsse Langzeitdaten abwarten. Offen sei zudem, ob nicht künstliche Materialen Vorteile vor dem konservierten autologen Knochen hätten, so der Neurochirurg.

Kongressbericht: Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin 2022