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Onkologische Leitlinien Kein Kochrezept, sondern Hilfestellung

Autor: Mascha Pömmerl

Ein zentrales Thema des AGSMO Jahreskongress 2023 waren neu entstehende S3-Leit­linien rund um supportive und komplementäre Themengebiete. Ein zentrales Thema des AGSMO Jahreskongress 2023 waren neu entstehende S3-Leit­linien rund um supportive und komplementäre Themengebiete. © HNFOTO – stock.adobe.com
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Im Mai hielt die Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. ihren Jahreskongress ab. Ein zentrales Thema der digitalen Veranstaltungen waren neu entstehende S3-Leit­linien aus dem Kreis der supportiven, komplementären und palliativen Maßnahmen sowie der Psychoonkologie.

Die Onkologie unterliegt einem ständigen Wandel mit neuen Therapien und neuen Erkenntnissen, die angepasste supportive Konzepte erfordern. Die aktuell gültige S3-Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen Patient:innen stammt aus dem Februar 2020. Um dem rasanten Fortschritt mit neuen Therapien, Substanzen und natürlich Nebenwirkungen und Symptomen gerecht zu werden, wird sie derzeit überarbeitet. 

Dabei werden zum einen die zehn bestehenden Themengebiete aktualisiert, zum anderen werden neue aufgenommen. Dringender Änderungs- bzw. Ergänzungsbedarf bestehe zum Beispiel bei der Vermeidung der Tumortherapie-induzierten Nausea und Emesis, erläuterte Dr. ­Franziska ­Jahn, Universitätsklinikum Halle (Saale).1 Eine Fülle neuer Onkologika muss hinsichtlich ihres emetogenen Potenzials klassifiziert werden. Außerdem sind orale Mehrtages- oder Dauertherapien auf dem Vormarsch, was eine Individualisierung der kontinuierlichen antiemetischen Begleittherapie erfordere. Auch stünden neue Antiemetika zur Verfügung. Ein grundsätzliches Problem sei, dass es kaum große randomisierte Studien zu einzelnen supportiven Behandlungen gibt, sagte Dr. ­Jahn. 

In Entstehung befindet sich derzeit unter der Koordination von Prof. Dr. ­Joachim ­Wiskemann vom nationalen Centrum für Tumor­erkrankungen, Heidelberg, und Prof. Dr. ­Freerk ­Baumann vom Centrum für Integrierte Onkologie, Köln, die S3-Leitlinie Bewegungstherapie bei onkologischen Erkrankungen. 

Ein Novum: Empfehlungen zur Bewegungstherapie 

„Das ist die erste S3-Leitlinie zur Bewegungstherapie überhaupt in unserem Gesundheitssystem“, sagte Prof. ­Baumann.2 „Aus diesem Grund haben wir überhaupt keine Vorlagen, an denen wir uns orientieren können.“ 57 Fachgesellschaften sind beteiligt. Die Themenbereiche sind anhand der medizinischen Behandlungen gegliedert. So gibt es also beispielsweise Arbeitsgruppen zur Bewegungstherapie in der Prehabilitation, während adjuvanter Chemo- oder endokriner Therapie, während Immuntherapien oder in Rehabilitation und Nachsorge. Zum Themenbereich Rezidiv- und Überlebenswahrscheinlichkeit sei die Nachfrage enorm, berichtete Baumann. Außerdem gibt es Arbeitsgruppen zu den Themen Qualifikation von Therapeut:innen und der Implementierung in der Routineversorgung. Für die Leitlinie wurde eine De-novo-Recherche durchgeführt. Baumann: „Wir haben uns nicht an internationalen Leitlinien orientiert, weil sie unseren methodischen Ansprüchen nicht genügt haben.“ Die 511 inkludierten Paper beschäftigen sich ausschließlich mit Bewegungstherapie, nicht mit Kombinationen mit anderen Maßnahmen. Die erste Konsensuskonferenz ist für November dieses Jahres avisiert. 

Kapitel ergänzt

Die neuen Themengebiete der Leitlinie Supportive Therapie wurden über eine Umfrage ermittelt. Mit Abstand am wichtigsten war für die meisten Behandelnden die Aufnahme eines Kapitels zu Nebenwirkungen durch Checkpoint-Inhibitoren. Neben diesem kommen mit Kardiotoxizität, der zentralen Neurotoxizität und den radiogenen Nebenwirkungen am Urogenitaltrakt noch drei weitere neue Themenbereiche hinzu. „Dies bedeutet 132 neue Schlüsselfragen, die in Arbeitsgruppen bearbeitet werden müssen“, sagte Dr. ­Jahn. Ende Juni findet die 4. Konsensuskonferenz zur neuen S3-Leitlinie Supportive Therapie statt.

Komplementärmedizin aktiv ansprechen

Dr. ­Markus ­Horneber vom Klinikum Nürnberg berichtete von drei deutschen Querschnittsleitlinien, nämlich jenen zur Palliativmedizin, zur Komplementärmedizin und zur Psychoonkologie, an denen er auch selbst mitgearbeitet hat.3 Von allen dreien stehen Versionen für Patient:innen zur Verfügung. Die erweiterte S3-Leitlinie Palliativ­medizin für Patient:innen mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung soll Bedingungen schaffen und sichern, um die Lebensqualität der Betroffenen zu halten und zu verbessern. Sie liegt in der 2. Version vor, in die acht neue Themen eingeschlossen wurden. 

Die S3-Leitlinie zum großen Thema Komplementärmedizin kommentiert bewährte Behandlungsverfahren, die unter den Begriffen komplementär oder alternativ angeboten werden. Damit stellt sie kein Fachgebiet dar, wie zum Beispiel die Psycho­onkologie, sondern ist eine Sammlung, in der über Verfahren berichtet wird, die im deutschsprachigen Europa häufig genutzt werden. Sie ist symptomorientiert aufgebaut. Dr. ­Horneber zur Besonderheit des Feldes Komplementärmedizin: „Es gibt viel Wissen und Erfahrung, aber wenig Studienwissen. Insofern sind die Verfahren nicht leicht zu bewerten und daher sind die meisten Empfehlungen der Leitlinien offen, es gibt nur wenige Empfehlungen mit soll oder sollte.“ Er riet Ärzt:innen dazu, das Thema nicht zu vergessen und aktiv anzusprechen: „Kranke Menschen möchten wissen, was sie selbst tun können, was man noch unterstützend tun kann. Das ist Teil der Krankheitsverarbeitung.“

Im Zentrum der Leitlinie Psycho­onkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatient:innen stehen die psychischen und sozialen Belange der Betroffenen sowie der Angehörigen. Die ergänzte und aktualisierte Version der Leitlinie steht unmittelbar vor der Fertigstellung. Dr. ­Horneber: „Alle diese Leitlinien sind auch Instrumente für die kommende Versorgungsentwicklung. Leitlinien sind keine Kochrezepte für individuelle Therapieentscheidungen. Ihre Zielsetzung ist es, Hilfe zu geben für eine Verbesserung der Versorgung. “

Quellen:
1.    Jahn F. AGSMO Jahreskongress 2023; Vortrag: „Update S3-Leitlinie: Supportive Therapie bei onkologischen Patient*innen – wo stehen wir?“
2.    Baumann F. AGSMO Jahreskongress 2023; Vortrag: „Update S3-Leitlinie: Bewegungstherapie bei onkologischen Erkrankungen“
3. Horneber M. AGSMO Jahreskongress 2023; Vortrag: „Update Deutsche Querschnittsleitlinien: Palliativmedizin, Komplementärmedizin, Psychoonkologie“