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Depressionen Mehr als nur ein bisschen melancholisch

Autor: Alexandra Simbrich

Depressionen werden bei Kindern immer noch viel zu spät erkannt. Depressionen werden bei Kindern immer noch viel zu spät erkannt. © DimaBerlin – stock.adobe.com
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Sie können nicht schlafen und sind unkonzentriert, haben Kopf- oder Bauchschmerzen, sind müde und aggressiv: Depressionen treffen auch Kinder und Jugendliche. Ein Kinder- und Jugendlichenpsychiater hat den aktuellen Wissensstand und die Empfehlungen der S3-Leitlinie zusammengefasst.

Oft werden depressive Störungen bei Kindern und Jugendlichen zu spät erkannt. Man geht davon aus, dass die Prävalenz der Erkrankung von weniger als 1 % im Vorschulalter auf etwa 1–2 % bei Grundschülern ansteigt. Im Jugendalter nimmt die Häufigkeit der depressiven Störungen auf 5–12 % deutlich zu, wobei Mädchen dreimal häufiger als Jungen betroffen sind, berichtet Prof. Dr. Gerd Schulte-­Körne von der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München in einem Übersichtsartikel.

Problematisch sind vor allem die Rezidive: Leidet ein Kind im Grundschulalter an einer depressiven Störung, ist das Risiko für mindestens eine weitere depressive Episode im Jugendalter zehn- bis zwölffach erhöht. Die Symptome treten meist alters- und entwicklungsabhängig auf:

  • Im Kindesalter kommt es zu Aufmerksamkeitsproblemen, Spiel­unlust und Lernschwierigkeiten. Die kleinen Patienten fallen in der Schule häufig durch einen Leistungsabfall auf. Sie klagen häufig über Kopf- und Bauchschmerzen und sind oft reizbar oder wütend.
  • Bei Jugendlichen zeigt sich eine Depression häufig als Verlust an Motivation und Interessen sowie in Form von sozialem Rückzug. Während es bei Mädchen eher Schuldgefühle, Selbstwertprobleme und Ängste sind, zeigen Jungen eher wütendes oder aggressives Verhalten.

Die vielschichtige Symptomatik erschwert die Diagnose. Um eine Depression zuverlässig von anderen Krankheitsbildern abgrenzen zu können, müssen die Zeichen über mindestens zwei Wochen und während der überwiegenden Zeit des Tages bestehen, betont Prof. Schulte-­Körne. Die Diagnostik erfolgt formal ähnlich wie bei Erwachsenen und umfasst mehrere Aspekte der Erkrankung.

Im Rahmen der Anamnese und Exploration wird unter anderem anhand von Affekt und Antrieb die Kernsymptomatik gemeinsam mit dem Kind oder dem Jugendlichen und dessen Eltern erhoben. Zudem werden Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Suizidalität beurteilt. Daneben kommen psychometrische Untersuchungen zum Einsatz, die standardisierte Selbst- und Fremdbeurteilungsbögen umfassen, etwa zu den Bereichen Angsterkrankungen und depressive Störungen.

Zentrale Symptome der depressiven Störung bei Kindern und Jugendlichen

Affektstörung

  • gedrückte Stimmung

  • Unglücklichsein, Traurigkeit

  • häufiges Weinen

  • Ängstlichkeit, Gefühl der Einsamkeit

kognitive Störung

  • Schuldgefühle, Selbstvorwürfe

  • Selbstwertprobleme, Zukunftsangst

  • Aufmerksamkeitsstörungen

  • Neigung zum Grübeln

Antriebsstörung

  • verminderte Aktivität

  • sozialer Rückzug

  • Interessenverlust

  • leichte Ermüdbarkeit

somatische Symptome

  • Appetitverlust

  • Gewichtsveränderungen

  • Kopf- und Bauchschmerzen

  • Schlafstörungen

Als Screeninginstrumente haben sich der Children’s Depression Screener (ChilD-S) für Kinder zwischen dem 9. und 12. Lebensjahr sowie der Depressions­screener für Teen­ager (DesTeen­) für die 13- bis 16-Jährigen bewährt. Mit einer körperlichen und einer laborchemischen Untersuchung lassen sich organische Ursachen oder ein Substanzmissbrauch als Ursache für den geminderten Antrieb, die Stimmungsverschlechterung und die körperlichen Beschwerden ausschließen. Ein EKG ist die Voraussetzung, um Psychopharmaka verordnen zu können.

Der Grad einer depressiven Episode oder einer rezidivierenden depressiven Störung richtet sich nach der Schwere und Komplexität der Symptomatik. Besonderes Augenmerk erfordern Kinder und Jugendliche mit Tumoren oder mit chronischen körperlichen Erkrankungen, bei denen die Gefahr einer depressiven Begleitsymptomatik besteht. Häufig geht eine Depression mit Angst­erkrankungen oder einer Anorexia­ nervosa­ einher.

Bei depressiven Störungen im Kindes- und Jugendalter scheinen unterschiedliche Risikofaktoren zusammenzuwirken. Besonders kritisch ist das Zusammenspiel einer genetischen Prädisposition mit Umwelteinflüssen. Auch die psychosoziale Situation der jungen Patienten wie Belastungen in der Schule, Mobbingerfahrung, anhaltender Stress und Traumata, eine problematische Eltern-Kind-Beziehung sowie neuropsychologische und neurobiologische Faktoren spielen eine Rolle.

Nicht nur die Diagnosestellung erfolgt häufig verzögert, auch die Zeit bis zur professionellen Behandlung ist mit durchschnittlich zwei Jahren zu lang, beklagt Prof. Schulte-­Körne. In jedem Fall, so der Experte, sollte die Therapie einem multimodalen Ansatz folgen und die Familie einbeziehen.

Neben der altersgerechten Psycho­edukation stehen psychotherapeutische und pharmakologische Maßnahmen zur Verfügung. Der S3-Leitlinie zur Behandlung depressiver Störungen bei Kindern und Jugendlichen folgend, sollte vornehmlich eine kognitive Verhaltenstherapie verordnet werden. Falls erforderlich, kann sie ab dem 8. Lebensjahr um die pharmakologische Behandlung mit dem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Fluoxetin ergänzt werden.

Quelle: Schulte-Körne G. Monatsschr Kinderheilkd 2023; 171: 208-221; DOI: 10.1007/s00112-022-01692-5