Rheuma und der Wunsch nach „natürlich“ Nahrungsergänzung bei Rheuma im Faktencheck
Nahrungsergänzungsmittel stehen auch bei Patientinnen und Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen hoch im Kurs
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Welche Kollegin oder welcher Kollege kennt das nicht: Da hat man nach allen Regeln der Kunst einen Behandlungsplan für seine Patientin aufgestellt, und dann kommt sie nach drei Monaten in die Praxis und verkündet, dass sie „diese Chemotherapie“ nicht nehmen will – sämtliche Bekannten hätten ihr davon abgeraten. „Stattdessen steht ein Arsenal von Nahrungsergänzungspräparaten vor Ihnen, mit denen die Patientin nun ihre rheumatische Erkrankung heilen will“, beschrieb Dr. Olaf Schultz, Acura Kliniken Baden-Baden, das Dilemma.
Nahrungsmittelergänzung als Allheilmittel: Dieser Wunsch ist weit verbreitet. Riet doch kürzlich auch der amerikanische Gesundheitsminister dazu, Masern mit Vitamin A zu kurieren – und löste eine entsprechende Diskussion aus. Longevity, der neue Modetrend, soll wiederum mit NAD+-Infusionen möglich gemacht werden. In den Städten sprießen die Anbieter wie Pilze aus dem Boden.
Doch was sind Supplemente überhaupt? Definitionsgemäß ermöglichen Nahrungsergänzungsmittel eine komplementäre Versorgung mit Nährstoffen oder bioaktiven Wirkstoffen, die in der normalen Kost fehlen oder unzureichend sind. Verpackt in Kapseln, Tabletten oder Dragées ähneln sie klassischen Medikamenten, sind aber formal als Lebensmittel eingeordnet. Die Palette reicht von Vitaminen bis hin zu Ballaststoffen (siehe Kasten). Eingesetzt werden sie
- zum Ausgleich von Defiziten,
- zur Leistungssteigerung,
- zur Unterstützung von Körperfunktionen (Schlaf, Stressresilienz),
- zur Prophylaxe oder
- zur Förderung der allgemeinen Gesundheit und eines längeren Lebens.
Auch Rheumapatientinnen und -patienten schwören oft auf Supplemente. Stellt man sich allerdings die Frage, ob Nahrungsergänzungsmittel bei rheumatischen Erkrankungen effektiv sind, so lautet die Antwort Dr. Schultz zufolge „N(J)ein – oder ein bisschen“. Zwar gibt es dazu zahlreiche Untersuchungen, aber mit unterschiedlichster Qualität und sehr heterogenen Ergebnissen. „Findet man fünf Studien, die einen positiven Effekt zeigen, so sprechen fünf andere dagegen“, erläuterte der Experte. Eine große Metaanalyse von 2021 hat ergeben, dass die Beeinflussbarkeit rheumatischer Erkrankungen über die Ernährung unwahrscheinlich ist.
Trotzdem äußern Patientinnen und Patienten häufig den Wunsch nach Nahrungsergänzungsmitteln. In diesen Fällen schlägt Dr. Schultz eine Art Checkliste vor. Abklären sollte man folgende Punkte:
- Ausgleich eines Defizits?
- erwünschte Wirkung (wofür?)
- Biomarker zur Wirksamkeitskontrolle?
- bekannter Wirkmechanismus?
- Risiko/Nutzen/Sicherheit?
Wie das konkret aussehen kann, verdeutlichte Dr. Schultz an vier derzeit besonders beliebten Supplementen.
Omega-3-Fettsäuren
Ein Defizit kommt in den meisten Industrieländern vor. Gewünscht wird eine Entzündungshemmung, als Biomarker gibt es den Omega-3-Index. Der Wirkmechanismus ist bekannt (u. a. Stabilisierung von Phospholipidmembranen) und die Verträglichkeit ist gut. Der Nutzen ist nachgewiesen. Insgesamt sind Omega-3-Fettsäuren bei kardiovaskulären und entzündlichen Erkrankungen sowie bei Depression mild-moderat wirksam. Das gilt auch für rheumatische Erkrankungen. Sowohl bei der rheumatischen Arthritis als auch beim systemischen Lupus erythematodes wurde ein Nutzen nachgewiesen. Dr. Schultz’ Fazit: Omega-3-Fettsäuren können bei rheumatischen Erkrankungen durchaus als Adjuvans eingesetzt werden.
Kreatin
Ein Defizit liegt selten vor, ist bei Frauen oder älteren Patientinnen und Patienten aber möglich. Eingesetzt wird Kreatin zur Leistungssteigerung (Muskeln, Kognition) und als Antidepressivum. Einen Biomarker gibt es nicht. Der Wirkmechanismus ist klar (ATP-Regeneration). Kreatin ist verträglich, die Studienlage zur Effektivität gut. Diejenigen, die Kreatin am häufigsten schlucken, brauchen es wahrscheinlich am wenigsten, so Dr. Schultz. Frauen und Ältere könnten aber von Kreatin durchaus profitieren. Sein Fazit: Kreatin hat vor allem bei Sarkopenie und Fatigue, evtl. auch bei Myositis einen Nutzen. Die Supplementierung (etwa 5 g/d) ist aber nur sinnvoll, wenn sie mit einer Eiweißsubstitution und einer Trainingstherapie kombiniert wird.
Probiotika
Ein regelrechtes Defizit gibt es nicht, aber häufig Dysbiosen im Darm. Zudem nehmen viele Menschen nicht ausreichend Ballaststoffe zu sich. Probiotika sollen die Gesundheit des Mikrobioms verbessern, indem sie pathogene Bakterien verdrängen und bioaktive Stoffe produzieren. Valide Biomarker sind aktuell nicht bekannt. In der Anwendung gelten Probiotika als weitgehend sicher, es drohen am ehesten gastrointestinale Nebenwirkungen.
Die Studienlage ist recht gut, hinsichtlich rheumatischer Erkrankungen allerdings noch unklar. Es gibt aber Studien, die positive supportive Effekte zeigen. „Auf jeden Fall haben Pro- und Präbiotika ein großes therapeutisches Potenzial“, fasste Dr. Schultz zusammen.
Kratom
Für den Extrakt aus Mitragyna speciosa gibt es laut Dr. Schultz inzwischen einen Riesenmarkt – nicht nur in den USA. Ein Defizit wird damit nicht ausgeglichen. Eingesetzt wird Kratom zur Leistungssteigerung oder als Aphrodisiakum. Das Alkaloidgemisch hat opioidartige, serotonerge und adrenerge Effekte und wirkt dosisabhängig stimulierend, analgetisch, antidepressiv und neuromodulatorisch. Biomarker gibt es keine. Die Substanz besitzt ein ausgeprägtes Suchtpotenzial. Ob Kratom rheumatologischen Patientinnen und Patienten nützt, ist unklar. Evtl. könnte man es mit allergrößter Vorsicht bei der Fibromyalgie einsetzen.
Was alles ergänzt wird
- Vitamine
- Mineralstoffe
- Spurenelemente
- Aminosäuren/Proteine
- Essenzielle Fettsäuren
- Pflanzenextrakte
- Probiotika/Ballaststoffe
Neben diesen häufig nachgefragten Nahrungsergänzungsmitteln gibt es in der Rheumatologie weitere Supplemente, die man gezielt verwenden kann, erinnerte der Kollege. Vitamin A hilft beispielsweise beim Siccasyndrom, Magnesium und Citrullin/Arginin entfalten womöglich beim Raynaudsyndrom positive Wirkungen.
Doch „Nahrungsergänzungsmittel sind Ergänzungsmittel, kein Ersatz für eine Therapie“, betonte Dr. Schultz und empfahl, dies im Gespräch mit Patientinnen und Patienten zu betonen. Bevor die Erkrankung nicht unter Kontrolle ist, braucht man gar nicht anzufangen, mit Supplementen zu experimentieren. Zudem muss die Basis, also der Lebensstil, stimmen oder optimiert werden. Gemeint sind die berühmten fünf Säulen
- Bewegung,
- Resilienz,
- Schlaf,
- soziales Umfeld und
- ausgewogene Ernährung inklusive Rauchverzicht.
Wenn das alles gegeben ist, sind Nahrungsergänzungsmittel in den Augen von Dr. Schultz durchaus eine gute supportive Option. Voraussetzung für einen vernünftigen Einsatz ist eine gezielte, temporäre Anwendung nach Abhaken der Checkliste, die Verwendung von Einzelwirkstoffen und die Evaluation der Wirkung.
Quelle: Kongressbericht Deutscher Rheumatologiekongress 2025