Anzeige

Nierenschäden über Blut und Urin richtig diagnostizieren

Autor: Dr. Sonja Kempinski

Im Idealfall wird frisch gelassener zweiter Morgenurin untersucht. Bei der Blutentnahme gibt es keine zeitliche Vorgabe. Im Idealfall wird frisch gelassener zweiter Morgenurin untersucht. Bei der Blutentnahme gibt es keine zeitliche Vorgabe. © iStock/JodiJacobson
Anzeige

Ob akut oder chronisch – Nierenerkrankungen kommt man vor allem mit dem Labor auf die Spur. Aber welche Parameter sind ausschlaggebend und was lässt sich daraus ableiten? Die Antworten liefert eine neue Leitlinie.

Viele Nierenerkrankungen verursachen lange keine Symptome und die Gefahr ist groß, dass sich daraus über kurz oder lang eine chronische Insuffizenz entwickelt. Schon mit recht einfachen Urinuntersuchungen lassen sich aber konkrete Hinweise finden, wie die Leitlinienautoren um Professor Dr. Helga Frank, Sektion Nephrologie und Dialyse am ANregiomed Klinikum Ansbach ausführen.

Idealerweise wird frisch gelassener zweiter Morgenurin (Mittelstrahl) verwendet. Prinzipiell ist es auch möglich, Urin von jeder Tageszeit heranzuziehen. Fahndet man allerdings nach Proteinen, sollte die Harnprobe vom Vormittag (6:00 bis 10:00) stammen. Denn im Verlauf des Tages kann die Eiweißausscheidung durch Anstrengung, Stress oder Orthostase funktionell erhöht sein und einen hohen Wert vortäuschen.

Beim Harnstatus weist eine helle Trübung des frischen (!) Tagesurins auf Leukozyten, Hefen, Spermatozyten oder Zystinkristalle hin. Rotbraune Verfärbungen sind verdächtig auf Erythrozyten, milchige Fetttröpfchen zeigen eine Chylurie an. Nach dem Stehenlassen in der Kälte trüben Phosphate, Carbonate, Urate oder Harnsäure den Urin hell. Wolkige Trübungen am Boden des in der Wärme stehen gelassenen Röhrchens sprechen für Bakterien. Zu den unverzichtbaren Basisinstrumenten gehört zudem der Urinstreifentest. Je nach Ergebnis schließen sich weitere Untersuchungen an.

Leukozyturie

Im Falle positiver Leukozyten hilft das Harnsediment (s. Kasten) weiter. Hierbei ist vor allem auf Leukozytenzylinder, Bakterien und Nierenepithelien zu achten. Wird die Leukozyt­urie von einer Bakteriurie begleitet, spricht dies für einen unteren Harnwegsinfekt. Finden sich Leukozytenzylinder im Sediment und/oder α1-Mikroglobuline im Urin, deutet das auf eine renale Leukozyturie hin (z.B. bei akuter Pyelonephritis). Fieber, Flankenschmerz und erhöhte Entzündungswerte gegeben Alarm in Richtung drohender Urosepsis

Das Harnsediment

Zur Beurteilung der partikulären Bestandteile im Urin dient das Harnsediment. Im Labor stehen verschiedene automatisierte optische Verfahren zur Verfügung, die diese Bestandteile des Urins erfassen. Schaut man selbst durchs Mikroskop, muss die Urinprobe innerhalb von zwei Stunden zentrifugiert und auf dem Objektträger ausgestrichen sein. Bei 10- bis 400-facher Vergrößerung ist dann auf Erythrozyten, Akanthozyten, Leukozyten, Plattenepithelien, hyaline Zylinder und Wachszylinder zu achten.

Bei gleichzeitiger Mikrohämat­urie müssen die entsprechenden Fachärzte nach Nieren-, urologischen oder genitalen Erkrankungen forschen. Auch wiederholte ungeklärte Leukozyturien sind urologisch abzuklären, da Malignome dahinterstecken können. Im Falle wiederholter Leukozyturien mit wechselnder Bakteriurie raten die Experten zur ambulanten suprapubischen Blasenpunktion durch einen Urologen. Dieses Vorgehen soll Patienten unnötige antibiotische Therapien ersparen. Ist die Leukozyturie steril (> 5–10 Leukozyten im Gesichtsfeld ohne positiven mikrobiellen Harnbefund), gilt es, zunächst atypische Infektionen auszuschließen. Dazu gehören z.B. die Urogenital-Tuberkulose, Mykoplasmosen und Gonorrhö. Zur Erregersuche dient die PCR. Sterile Leukozyt­urien plus Mikrohämaturie können u.a. Zeichen einer Analgetika-Nephropathie sein. Betroffene gehören in die Hände eines Nephrologen, ebenso solche mit seltenen sterilen Leukozyturien, z.B. aufgrund kristallinduzierter Nephropathie­ durch Indinavir.

Hämaturie

Patienten mit direkt sichtbarer Makrohämaturie sollte man gleich zum Urologen überweisen. Ist hingegen der Teststreifen auf Blut positiv oder wird von rotem oder braunem Urin berichtet, kommt die Harn­sedimentuntersuchung zum Einsatz.
  • Lassen sich keine Erythrozyten nachweisen, sind extrarenale Ursachen zu suchen (Hämoglobin­urie, Myoglobinurie).
  • Finden sich keine Erythrozytenzylinder, weniger als 10 % Akanthozyten und nur bis zu 10 Erythrozyten/Gesichtsfeld, kann man von einer postrenalen Hämaturie ausgehen. Hier steht die Uroskopie bzw. die gynäkologische Abklärung an.
  • Eine renale Hämaturie zeigt sich durch das typische Sediment (> 10 % Akanthozyten, > 10 Erys pro Gesichtsfeld, Erythrozytenzylinder) oder durch die Urinproteindifferenzierung. Hier ist der Facharzt mit weitergehender Dia­gnostik gefragt, die u.U. bis zur Nierenbiopsie reichen kann.

Proteinurie

Der renale Eiweißverlust gilt als Kardinalsymptom von Nierenerkrankungen und erlaubt im Verlauf Aussagen über die Prognose. Der qualitative Nachweis erfolgt zunächst mithilfe des Urinteststreifens. Wichtig zu wissen: Bei einer Nachweisgrenze von 20–200 mg Protein/g Kreatinin liefert der Streifen unzuverlässige Ergebnisse. Für die Fragestellung Mikroalbuminurie eignen sich deshalb andere Testverfahren, z. B. der Micraltest, besser. Zur Quantifizierung eignet sich der Protein-Kreatinin-Index (Protein in mg oder g pro g Kreatinin) aus dem zweiten Morgenurin. Er korreliert sehr gut mit der Gesamteiweißausscheidung über 24 Stunden und ist praktikabler und zuverlässiger als die Messung im Sammelurin. Achtung, der Protein-Kreatinin-Index wird durch Medikamente beeinflusst, die Beurteilung ergibt nur in Kenntnis der Begleitmedikation Sinn. Eine Proteinurie gilt als bestätigt, wenn sie sich in drei Harnproben an drei verschiedenen Tagen nachweisen lässt. Danach werden die Leitproteine im Urin differenziert (s. Tabelle). Liegen die Konzentrationen für Gesamteiweiß, IgG, Albumin und α1-Mikroglobulin im Referenzbereich, so kann mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Nierenerkrankung als Ursache ausgeschlossen werden. Pathologische Befunde machen eine weitere fachärztliche Diagnostik erforderlich.
Leitproteine im Urin und ihre Bedeutung
LeitproteinMol.-Gewicht [kDa]Diagnostische BedeutungUrsache
α1-Mikro­globulin33tubuläre ­Proteinurie eingeschränkte ­tubuläre ­Reabsorption, ­tubulointerstitielle Schädigungen (Nephritis, Nephropathie)
Albumin
Transferrin

67

76

selektive oder unselektive (+ IgG) glomeruläre Proteinurieerhöhter glomerulärer Filtrationsdruck, glom. Hyperfiltration, Glomerulopathie
Immunglobulin G150unselektive glomeruläre ProteinurieFiltrationsdefekt; IgG/ Albumin-Quotient > 0,03, Glomerulopathie
α2-Makroglobulin725postrenale ­Proteinurie Blutung/Exsudation; α2-Makroglobulin/ Albumin-Quotient > 0,02
Neben dem Erkennen struktureller Schäden hat natürlich die Beurteilung der Nierenfunktion große Bedeutung. Sie dient der Einschätzung der Prognose und des Therapieverlaufs. Die Leitlinienautoren raten generell dazu bei:
  • Erstvorstellung in der Praxis, wenn es um den Ausschluss einer Grunderkrankung geht
  • Patienten, die stationär aufgenommen werden
  • Patienten mit Diabetes, Hypertonie, chronischen Herz-, Lungen- und Lebererkrankungen oder Erkrankungen des blutbildenden Systems in der Verlaufskontrolle
Am Anfang steht die laborchemische Messung des Kreatinins. Sein Wert bildet die Basis zur Berechnung der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) mittels der CKD-EPI*-Formel. Ist das Kreatinin nur grenzwertig erhöht (Männer 1,0–1,2 mg/dl und Frauen 0,8–1,0 mg/dl), hilft zur Beurteilung der Nierenfunktion die Messung von Cystatin­ C und die Berechnung der Cystatin-C-eGFR weiter. Bei sehr muskulösen Personen, Sarkopenie oder Kindern sollte die Cystatin-C-eGFR von vorneherein herangezogen werden.
Blutwerte und ihre Bedeutung
Kreatinin
  • grundlegend für die Bestimmung der eGFR nach der ­CKD-EPI-Formel
  • abhängig von Alter, Geschlecht, Ethnie (dunkelhäutige Menschen haben höhere Kreatininwerte)
  • vermindert bei Sarkopenie, vegetarischer und veganer Ernährung, Leberinsuffizienz
  • erhöht bei hohem Fleischkonsum, Muskelaktivität, Rhabdomyolyse
  • falsch hoch durch Medikamente wie z.B. Ritonavir oder ­Cimetidin
Cystatin C
  • weitere Messgröße zur Berechnung der GFR
  • wird frei filtriert und reabsorbiert
  • Vorteile gegenüber Kreatinin: nicht abhängig von Muskelmasse und Geschlecht, steigt innerhalb von Stunden, schon bei GFR < 90 erhöht
  • falsch hoch bei Schilddrüsenerkrankung und unter hoher Glukokortikoidtherapie
Harnstoff
  • spiegelt Proteinmetabolismus bzw. Ernährungszustand wider
  • nicht zur Funktionsdiagnostik geeignet, sondern ergänzend bei Katabolismus, Exsikkose oder GI-Blutungen
Na, K, Ca
  • bei allen Nierenerkrankungen bestimmen
Magnesium
  • zur Beurteilung und prognostischen Abschätzung
  • Hypomagnesiämie ist mit einer schlechteren klinischen Situation assoziiert
Chlorid
  • bei Niereninsuffizienz, metabolischer Azidose, Hyponatriämie­, längerer Gabe von Diuretika
Phosphat
  • Ausschluss eines sekundären Hyperparathyreoidismus (damit ist erst bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz zu rechnen)
  • stark altersabhängig, erhöht bei langer Probenlagerung

* Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration

Quelle: Frank H et al. Interdisziplinäre S2k-Leitlinie „Rationelle Labordiagnostik zur Abklärung Akuter Nierenschädigungen und progredienter Nierenerkrankungen 2021“; AWMF-Register-Nr. 115/001; www.awmf.org