Empfehlungen und Besonderheiten im Überblick S3-Leitlinie Speicheldrüsentumoren veröffentlicht

Die S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie von Speicheldrüsentumoren des Kopfes“ entstand unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC) und der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie e. V. (DGMKG) sowie unter Mitwirkung von 14 weiteren Fachgesellschaften und Organisationen. Eine Besonderheit: „Wir betrachten in der Leitlinie nicht nur bösartige, sondern auch gutartige Tumoren. Das gibt es im Leitlinienprogramm sonst nicht“, betont Prof. Dr. Orlando Guntinas-Lichius, Direktor der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Uniklinikum Jena. Gemeinsam mit zwei anderen Kolleg:innen koordinierte er die Erstellung der Leitlinie. „Bei vielen Patient:innen ist am Anfang unklar, ob sie einen gutartigen oder bösartigen Tumor haben, da viele Subtypen lange wie gutartige Raumforderungen erscheinen.“
Diagnostik
Stellt sich eine Person mit einer schmerzlosen Schwellung der Speicheldrüsen vor, soll sie bei Wachstumstendenz der Schwellung oder Zeichen der Malignität zur weiteren Abklärung in eine spezialisierte Klinik überwiesen werden, die über eine Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und/oder Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde verfügt (Expertenkonsens, EK). Sind die großen Speicheldrüsen betroffen, soll die Sonografie als primäre Bildgebungsmodalität dienen (Empfehlungsgrad A, Evidenzlevel 4). Sie sollte eingesetzt werden, um zervikale Lymphknoten zu beurteilen (B, 3).
Die Kontrastmittel-verstärkte MRT sollte zur Primärdiagnostik bösartiger Tumoren der Kopfspeicheldrüsen zum Einsatz kommen (B, 2). Dabei empfehlen die Leitlinienautor:innen, dass die MRT diffusionsgewichtete Aufnahmen mit berechneter ADC-Parameterkarte sowie kontrastverstärkte Aufnahmen mit Fettsättigung umfassen sollte (B, 3,2). Besteht ein Verdacht auf eine Infiltration der knöchernen Strukturen, sollte eine kontrastmittelverstärkte CT erfolgen (EK). Ärzt:innen können die PET-CT ergänzend einsetzen, diese spielt aber in der Primärdiagnostik eine untergeordnete Rolle (0, 2).
Betrifft die Raumforderung die großen Speicheldrüsen und besteht der Verdacht auf Malignität, sollte primär eine Feinnadelaspirationszytologie oder eine Hohlnadelbiopsie erfolgen (EK). Geht der Tumor von den kleinen Speicheldrüsen aus, sollen Behandelnde diesen primär vollständig exzidieren. Ist das nicht möglich, ohne dass es zu größeren begleitenden Morbiditäten kommt, sollen Onkolog:innen eine repräsentative Biopsie entnehmen (beides EK).
Chirurgische Behandlung
Handelt es sich um einen bösartigen Tumor, soll eine interdisziplinäre Tumorkonferenz die Empfehlungen zur Therapie treffen. Die Patient:innen sollen zudem ein Angebot für eine psychoonkologische Beratung erhalten und mehrfach und ausführlich über Diagnose und Optionen aufgeklärt werden, schreibt das Leitlinienteam (alles EK).
„Die Operation ist Therapie der Wahl bei einem Speicheldrüsenkarzinom, das reseziert werden kann und nicht metastasiert ist“, erklärt Prof. Guntinas-Lichius. Dementsprechend empfiehlt die Leitlinie die R0-Resektion – d. h. die chirurgische Entfernung unter Mitnahme von umgebenden Speicheldrüsenparenchym bis hin zur totalen Parotidektomie (A, 4).
Ist ein primäres Speicheldrüsenkarzinom der Gl. parotidea histologisch gesichert, sollen Ärzt:innen eine totale Parotidektomie durchführen. Eine laterale Parotidektomie kann ausreichen bei kleinen, niedrig-malignen Karzinomen im superfiziellen Blatt ohne direkten Bezug zum N. facialis. Die Voraussetzung: Ein den Tumor umgebender Saum von gesundem Parotisgewebe kann gewährleistet werden (EK).
Behandelnde sollten eine nervenerhaltende Parotidektomie der nicht-nervenerhaltenden Methode vorziehen (B, 3), sofern
- die Funktion des N. facialis bei Vorliegen eines Malignoms der Ohrspeicheldrüse nicht eingeschränkt ist und
- es intraoperativ keine Anzeichen einer Nervinfiltration durch den Tumor gibt.
Weitere Empfehlungen zur Chirurgie umfassen die Strategie bei adenoid-zystischen Karzinomen, die Voraussetzungen für den Verzicht auf eine totale Parotidektomie und das Vorgehen, wenn sich der Primarius bereits ausgedehnt hat oder ein Rezidiv der Glandula parotidea vorliegt. Weiterhin wird beschrieben, wie maligne intrakapsuläre Karzinome der Gl. Submandibularis und Tumoren der kleinen Speicheldrüsen oder der Glandula Sublingualis reseziert werden sollen. Auch die Lymphknotenchirurgie fand ihren Platz in der Leitlinie.
Unterscheidung zu anderen Entitäten
Speicheldrüsenkarzinome sind selten und sie unterscheiden sich histologisch von anderen Kopf-Hals-Tumoren. „Während Oropharynx-, Hypopharynx- und Larynxtumoren Plattenepithelkarzinome sind, gibt es diese Histologie bei den Speicheldrüsen fast nicht“, erläutert Prof. Guntinas-Lichius. Insgesamt sind mehr als 20 verschiedene Subtypen der Speicheldrüsenkarzinome bekannt. Sie können sowohl an den drei großen Speicheldrüsen als auch an den kleinen Speicheldrüsen entstehen. „Das Wissen stammt fast ausschließlich von Studien zu Ohrspeicheldrüsentumoren“, so der Experte. Therapiekonzepte – und auch die Leitlinienempfehlungen – würden daher häufig davon abgeleitet. Größere kontrollierte klinische Studien zu den anderen Entitäten gibt es nicht.
Bestrahlung und Metastasen/Therapie von Rezidiven
Eine postoperative Radiotherapie soll durchgeführt werden bei (EK):
- Vorliegen von mindestens einem der folgenden Risikofaktoren: T3-4 Tumor, high-grade, Lymphknotenmetastasierung, positiver Resektionsrand (< 1 mm), Perineuralscheideninfiltration, Lymphgefäß- oder Blutgefäßinvasion (L1 oder V1)
- allen adenoidzystischen Karzinomen
Auch die definitive Strahlentherapie ist in bestimmten Fällen eine Option. Sie kommt zum Einsatz, wenn der Tumor lokal inoperabel ist oder eine patient:innenbezogene Kontraindikation für eine Operation besteht („soll“, EK).
Kommt es zu einem resektablen, lokoregionären Rezidiv ohne Fernmetastasierung sollte die erneute Tumorresektion mit entsprechender Rekonstruktion angeboten werden (3, B). Bei langsam progredienter Fernmetastasierung, z. B. adenoid-zystisches Karzinom, kann man dies zumindest in Erwägung ziehen (0, 3). Erwogen werden kann auch die Resektion von Metastasen und für Erkrankte mit rezidiviertem adenoid-zystischem Karzinom eine adjuvante Brachytherapie (beides 0, 4).
In der oligometastasierten Situation können Ärzt:innen die Metastase(n) mittels Bestrahlung, lokaler chirurgischer Resektion oder anderer ablativer Verfahren behandeln (EK). Die stereotaktische Bestrahlung sollte laut Leitlinie erwogen werden, wenn die Entfernung technisch schwierig ist oder bei Patient:innen mit erhöhter Begleitmorbidität (B, 4). Weitere Empfehlungen beziehen sich auf die Voraussetzungen für eine definitive oder postoperative Strahlentherapie bei lokoregionären Rezidiven.
„Standards für die Systemtherapie bei metastasierten oder rezidivierten Speicheldrüsenkarzinomen gibt es nicht“, sagt Prof. Guntinas-Lichius. „In der Leitlinie betonen wir daher unter anderem die Rolle des molekularen Tumorboards. Hat eine Person einen austherapierten Speicheldrüsentumor, dann sollte der Tumor molekular charakterisiert werden“, erklärt der Experte. Findet sich hier eine entsprechend adressierbare Mutation, können Medikamente, die bei anderen Entitäten zugelassen sind, nach Einzelfallentscheidung zum Einsatz kommen.
S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie von Speicheldrüsentumoren des Kopfes“; AWMF-Registernummer 007-102OL; www.awmf.de