
WHO empfiehlt Salzersatz zum Nachwürzen Simple Änderung der Salzzufuhr könnte Millionen Todesfälle verhindern

Natriumreduzierte Produkte mit Kaliumchlorid könnten das Problem auf Bevölkerungsebene lösen. Geschmackseinbußen und das potenzielle Hyperkaliämierisiko sind überwindbare Hürden.
Der westliche Ernährungsstil mit seinem hohen Natriumanteil trägt erheblich zur Entstehung einer Hypertonie und deren Folgeerkrankungen bei. Heutzutage nimmt der Mensch etwa achtmal mehr Natrium auf als evolutionär vorgesehen (s. Kasten), erklärte Prof. Dr. Bruce Neal, The George Institute for Global Health, Sydney. Wahrscheinlich spiele der übermäßige Salzkonsum auch eine Schlüsselrolle beim altersbedingten Blutdruckanstieg. „Das ist keine normale Eigenschaft des Blutdrucks, sondern vielmehr ein Artefakt unserer Ernährung bzw. unseres Lebensstils“, so der Kollege. Studien in isoliert lebenden Völkern insbesondere aus den 1960er- und 1970er-Jahren hätten ergeben, dass 60-Jährige den gleichen Blutdruck wie 16-Jährige aufweisen.
Auch kaliumarme Ernährung kann zu Hypertonie führen
Bereits vor über zehn Jahren haben sich die 194 Mitgliedsstaaten der WHO dem Ziel verschrieben, die Salzaufnahme bis 2025 um 30 % zu senken. Bei der letzten Erhebung vor zwei Jahren wurde klar: Kein Land erreicht dieses Ziel. In den meisten Ländern gab es sogar keine Reduktion. Den Menschen scheint es sehr schwer zu fallen, einen weniger salzigen Geschmack zu akzeptieren, so Prof. Neal. Auch Empfehlungen zu Obst und Gemüse mit hohem Kaliumgehalt laufen offenbar ins Leere. Dabei kann eine kaliumarme Ernährung ebenfalls zu Bluthochdruck führen.
Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnten natriumreduzierte Salzmischungen bieten, die Kaliumchlorid enthalten. Für den Blutdruck seien diese gleich doppelt förderlich, so der Experte. Den Hauptvorteil bei diesem Ansatz sieht er jedoch woanders: „Sie merken bei einer Zusammensetzung von etwa 25 % KCl zu 75 % NaCl keinen Geschmacksunterschied.“ Die Produkte gibt es in diversen Mischverhältnissen bis hin zu reinem Kaliumsalz. Allerdings steigt dann auch die Wahrscheinlichkeit, Abweichungen zu schmecken.
Zahlreiche Untersuchungen belegen die positiven Effekte des Salzaustauschs über die reine Blutdrucksenkung hinaus. Die groß angelegte SSaSS*-Studie1 beispielsweise zeigte, dass eine NaCl/KCl-Komposition im Vergleich zu herkömmlichem NaCl die Rate an kardiovaskulären Ereignissen und die Gesamtmortalität reduziert. Die Teilnehmenden hatten einen Schlaganfall in der Anamnese oder waren über 60 Jahre alt und litten an einer Hypertonie. Im Interventionsarm nutzen nach fast fünfjährigem Follow-up noch 92 % das Supplement – für Prof. Neal eine „unglaubliche Adhärenz“. Zudem fand sich laut dem Kollegen bislang kein erhöhtes Risiko für hyperkaliämieassoziierte Nebenwirkungen, wenngleich Risikogruppen in Studien oft ausgeschlossen wurden.
Wie groß der potenzielle Nutzen einer Salzsubstitution auf Bevölkerungsebene wäre, hat das Team um Prof. Neal vor Kurzem anhand einer Modellierung untersucht. Geschätzt wurden die Effekte einer mit Kalium angereicherten Mischung (25 % KCl, 75 % NaCl) auf alle Erwachsenen über 25 Jahre weltweit. Die Forschenden befassten sich mit fünf verschiedenen Szenarien:
- kompletter Wechsel von reinem Kochsalz auf Mischung
- Wechsel nur im individuellen Gebrauch (zum Würzen)
- Wechsel nur in der Lebensmittelherstellung (inkl. Restaurant- und Supermarktprodukte)
- Austausch des „Würzsalzes“ nur bei Menschen mit diagnostizierter Hypertonie
- Austausch des „Würzsalzes“ nur bei Personen mit behandeltem Bluthochdruck
Den Berechnungen zufolge ließen sich durch einen kompletten Umstieg 16 % aller kardiovaskulären und renal bedingten Todesfälle verhindern. Zudem würde man 13 % aller nicht tödlichen Ereignisse und 17 % aller damit verbundenen DALYs** vorbeugen. Bezogen auf die ca. 4,6 Milliarden über 25-Jährigen weltweit entspricht das drei Millionen Todesfällen weniger. „All das mit einer einzigen Intervention“, betonte Prof. Neal. Schaut man sich nur den Ersatz des Würz- bzw. industriellen Salzes an, liegt diese Zahl bei 1,9 bzw. 1,6 Millionen.
In den Szenarien 4 und 5 nahmen die Forschenden an, dass 20 % aller Menschen mit diagnostizierter bzw. behandelter Hypertonie aufgrund eines potenziellen Hyperkaliämierisikos von der Intervention ausgeschlossen werden. Für die verbleibenden 0,7 bzw. 0,5 Milliarden Patientinnen und Patienten ergaben sich unterm Strich 0,6 bzw. 0,5 Millionen verhinderte Todesfälle.
Jeder vierte abwendbare Exitus würde Menschen mit chronischer Nierenerkrankung im Stadium 3–5 betreffen, die ihrerseits 5 % der einbezogenen Weltbevölkerung ausmachen, erklärte der Referent. Auch sie scheinen durch einen vollständigen Wechsel auf die Salzkombination zu profitieren, selbst wenn man ein Worst-Case-Szenario mit signifikanten Nebenwirkungen heranzieht (800.000 abgewendete vs. 100.000 verursachte kardiovaskuläre Todesfälle durch Hyperkaliämie). Kriterien für einen sicheren Einsatz kaliumreicher Produkte bei dieser Hochrisikogruppe – inklusive derjenigen mit Hypertonie – müssten in Zukunft erarbeitet werden, so Prof. Neal.
Mit Paleo war alles im Lot
Der Salz- bzw. Natriumkonsum hielt sich im Laufe der Evolution des Menschen in Grenzen. Über Jahrmillionen hinweg lag die tägliche Zufuhr Natrium bei etwa 0,5 g. Im Gegenzug nahmen unsere Vorfahren deutlich mehr Kalium auf, etwa 10 g/d. Heute erreicht man diese Werte nur noch mit einer Paleo-Diät. Die Abkehr von frischem Obst und Gemüse und die Dominanz verarbeiteter Lebensmittel haben den Kaliumanteil auf 2,2 g/d fallen lassen. Der Natriumanteil hingegen stieg auf 4 g täglich, was etwa 10 g Kochsalz entspricht.
Die WHO hat Anfang dieses Jahres eine Leitlinie zum Gebrauch von natriumarmen Salzen veröffentlicht. Darin empfiehlt sie zur Senkung von Blutdruck und kardiovaskulärem Risiko eine maximale Natriumaufnahme von 2 g/d (entspricht 5 g Salz/Tag). Als einen wichtigen Ansatzpunkt sieht die Weltgesundheitsorganisation die Reduktion von Speisesalz zum Würzen. Wer sein Essen salzen möchte, sollte zu Ersatzprodukten mit Kaliumanteil greifen. Ausgenommen von diesem Ratschlag sind Schwangere, Kinder sowie Personen mit eingeschränkter Nierenfunktion oder sonstigen Umständen, die die Kaliumausscheidung beeinträchtigen könnten.
Prof. Neal betonte abschließend, dass derartige Maßnahmen durchaus umsetzbar sind. Schließlich habe man es schon einmal geschafft, die weltweite Salzversorgung umzustellen – nämlich von herkömmlichem zu jodiertem NaCl. „Und das war einer der größten Public-Health-Erfolge der letzten Jahrzehnte.“
*Salt Substitute and Stroke Study
**Disability-Adjusted Life Years
Quelle: 1. Neal B et al. N Engl J Med 2021; 385: 1067-1077; doi: 10.1056/NEJMoa2105675