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Wann müssen Patienten mit akzidentellem Herzgeräusch zum Echo?

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Bei manchen Herzgeräuschen muss man genauer hinhören. Bei manchen Herzgeräuschen muss man genauer hinhören. © Naeblys – stock.adobe.com
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Herzgeräusche gelten – im Gegensatz zu Herztönen – im Allgemeinen als pathologisch. Mittlerweile muss man aber sagen: Das stimmt nur ziemlich eingeschränkt.

Bei bis zu der Hälfte aller Erwachsenen und vier Fünfteln aller Schulkinder besteht ein Herzgeräusch, und nur eine geringe Minderheit dieser Personen leidet tatsächlich unter einer entsprechenden Kardiopathie, schreiben die Kardiologen Dr. Simon Frey und Dr. Michael Zellweger vom Universitätsspital Basel. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass Sie zukünftig alle zufällig erhoben Herzgeräusche ignorieren, sondern dass Sie die Patienten herauspicken müssen, die von einer weiterführenden Untersuchung einschließlich Echokardiographie beim Spezialisten profitieren.

Fragen Sie bei der Anamnese explizit nach

  • (Belastungs-)Dyspnoe,
  • Angina Pectoris (sich auch mal nach Magenbeschwerden erkundigen, denn Hinterwandbefunde können sich derart maskieren),
  • Palpitationen, Arrhythmien, (Prä-)Synkopen
  • Schwindel und Stürzen aus unklarer Ursache.

Kommt dabei Verdächtiges zutage, können Sie die Belastungsstufe anhand der Kriterien der New York Heart Association (NYHA) oder der Canadian Cardiovascular Society (CCS) feststellen.

Fieber, Hautbefunde und Entzündungszeichen eruieren

Auch wenn sie mittlerweile seltener auftritt: Haben Sie den Verdacht, dass eine Endokarditis vorliegen könnte, erkundigen Sie sich nach klassischen Symptomen wie Fieber, Hautbefunde und Entzündungszeichen sowie über das Vorliegen eventueller Risikofaktoren (z.B. künstliche Herzklappen, kürzlich erfolgte Operationen, i.v. Drogenkonsum).

Beleuchten Sie auch den familiären Hintergrund des Patienten, so der Tipp der Experten: Gibt es Hinweise auf plötzlichen Herztod, Aortenaneurysmen, Marfan-Syndrom bei nahen Verwandten? Ein „Ja“ kann eventuell die weitere Diagnostik vorgeben.

Bei der allgemeinen körperlichen Untersuchung können Sie mit einfachen Mitteln Hinweise auf eine eventuelle Herzerkrankung einschätzen: Wie lang ist die kapilläre Wiederauffüllzeit? Wie fühlt sich der Puls an? Gibt es Zeichen der Rechtsherzüberlastung (gestaute Halsvenen, vergrößerte Leber, Beinödeme)?

Keine Kandidaten für die Kardio-Diagnosemühle

Eine strukturelle Herzerkrankung ist eher unwahrscheinlich bei:
  • jungen Menschen, bei denen die Herzgeräusche im Stehen verschwinden,
  • sehr leisem Herzgeräusch (ein bis zwei Sechstel),
  • Früh- bis Mittsystolikum,
  • Crescendo-Decrescendo-Verlauf,
  • ohne Ausstrahlung und
  • normaler Belastbarkeit und fehlenden weiteren Beschwerden.

Bei Unsicherheit kann ein Provokationstest weiterhelfen

Klinisch relevant bei der Auskulta­tion – und damit weiter mittels Echokardiographie (TTE) abklärungsbedürftig – sind Geräusche
  • ab drei Sechstel Lautstärke,
  • mit spät- und holosystolischem, diastolischem und kontinuierlichem Auftreten,
  • mit gleichbleibender Lautstärke,
  • mit Ausstrahlung
    (die Richtung gibt schon einen Hinweis auf die Lokalisation­ des Befundes:
    Karotis → Aortenvitium,
    Axilla → Mitral­vitium),
  • mit tastbaren Palpitationen („hebender“ Herzspitzenstoß),
  • mit gleichzeitigem abnormem Pulsbefund (Aortenstenose: parvus et tardus, Aorteninsuffizienz: celer et alter).
Wenn Sie sich nicht sicher sind, kann die Veränderung des Geräuschs bei einfachen Provokationstests weiterhelfen, etwa beim tiefen Einatmen, Belastung (Kniebeugen) oder einem Valsalva-Manöver. Ein EKG gibt zusätzliche Informationen. Hypertrophiezeichen und Störungen in der Repolarisationsphase können etwa für eine Aortenstenose oder eine hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie sprechen. Thoraxröntgenaufnahmen liefern Hinweise auf Herzgröße oder verkalkte Klappen, sind aber im Herzecho-Zeitalter von geringerer Bedeutung. Drei Gruppen stellen die Schweizer Kollegen besonders heraus: 1. Erwachsene, die als Kinder am Herzen operiert wurden
Bei ihnen ist ein Herzgeräusch meis­tens bekannt. Wenn die Patienten aber über neue Symptome klagen oder sich das Geräusch über die Zeit verändert hat, sollten Sie ihn zu einem Spezialisten für angeborene Herzfehler schicken. 2. Zukünftige Sportler
Natürlich ist Sport an sich positiv. Dennoch kann auch bei jungen, scheinbar Gesunden eine bislang unbekannte Rhythmusstörung (Long-QT) oder eine hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie vorliegen, die sie bei Belastung plötzlich tot umfallen lässt. Empfehlungen der Fachgesellschaften zur Abklärung in dieser Gruppe finden Sie zum freien Download unter dem Link. Und wenn oft untrainierte Männer im mittleren Alter plötzlich den Ehrgeiz entwickeln, unbedingt noch einen Marathon zu absolvieren, sollten Sie vor Trainingsbeginn ganz genau hinschauen und -hören. 3. Ältere Menschen
Bei den Oldies ist die „Chance­“, dass Sie auf ein pathologisch relevantes Geräusch stoßen, schon mal erhöht. Vor allem auf Aortenstenosen (Crescendo-Decrescendo-Geräusch im zweiten Interkostalraum) und Mitralinsuffizienzen (Holo­systolikum über der Herzspitze mit Ausstrahlung in die Axilla). Lassen Sie Ihren Verdacht in diesen Fällen unbedingt vom Kollegen aus der Kardiologie abklären.

Quelle: Frey S, Zellweger M. Ther Umsch 2020; 77: 349-356; DOI: 10.1024/0040-5930/a001203