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Medizin und Markt 1A-Award 2023 Autor: Medical Tribune

Ulla Rose leitet Letzte-Hilfe-Kurse für Menschen, die ihre Angehörigen oder Freunde in der letzten Lebensphase begleiten. Ulla Rose leitet Letzte-Hilfe-Kurse für Menschen, die ihre Angehörigen oder Freunde in der letzten Lebensphase begleiten. © 1 A Pharma
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Der letzte Weg ist der schwerste. Damit Angehörige damit besser umgehen können, bietet Ulla Rose „Letzte-Hilfe-Kurse“ an. Dafür wurde die Geschäftsführerin von Home Care Berlin e.V. jetzt mit dem Sonderpreis „Courage“ des 1A-Awards ausgezeichnet. Die Gewinnerin im Interview.

Wie sind Sie zu den „Letzte-Hilfe-Kursen“ gekommen?

Viele Jahre lang habe ich konven­tionelle Angehörigenkurse gegeben, bis ich in meiner Tätigkeit bei einem ambulanten Hospizdienst die „Letzte-Hilfe-Kurse“ kennengelernt habe. Als ich bei Home Care Berlin e.V. anfing, hat der Vorstand zugestimmt, dass diese Kurse nun unter unserem Dach stattfinden. Den Palliativversorgern war sehr schnell klar, dass die Qualifizierung von An- und Zugehörigen die Lebenssituation der Schwerkranken und Sterbenden verbessert und das Versorgungssystem dadurch insgesamt besser funktioniert.

Sie machen 25 Kurse mit über 300 Teilnehmern im Jahr – wie schaffen Sie das?

Viel Leidenschaft für das Thema hilft! Wenn ich etwas mit viel Begeisterung tue, empfinde ich das nicht als Arbeit. Aus jedem Kurs nehme ich auch etwas für mich mit: einen wichtigen Gedanken, eine berührende Geschichte, eine Ermutigung durch die Rückmeldungen der Teilnehmenden. Es ist immer ein Geben und Nehmen.

Die Kurse sind für Teilnehmer kostenlos – wie werden sie finanziert?

Die kostenfreie Teilnahme gehört zum Konzept von Letzte Hilfe Deutschland. Diese wichtige Unterstützung darf nicht an den finan­ziellen Möglichkeiten der Betroffenen scheitern. Der übliche Spruch, was nichts kostet, ist nichts wert, gilt hier ganz sicher nicht! Da es sich um Kurse handelt, die von den Krankenkassen anerkannt sind, steuern diese einen kleinen Anteil bei, wenn, wie bei uns, eine entsprechende Kooperationsvereinbarung besteht.

Stichwort: Interkulturelle Arbeit

In meiner täglichen Beratungsarbeit zur palliativen Versorgung und zu den vorsorgenden Entscheidungen und als Seelsorgerin mit interkulturellem Schwerpunkt komme ich mit Menschen verschiedenster Kulturkreise zusammen. Besonders dann, wenn Krisen für den Betroffenen und Zugehörigen eine zusätzliche Belastung darstellen. Da ist es gut, wenn neben viel erforderlichem Wissen auch Offenheit, Lernbereitschaft und ­Toleranz zur Grundhaltung gehören.

Was machen Sie, wenn kein Versorger zur Verfügung steht?

Zunächst berate ich zu den anderen Möglichkeiten: Wie sieht das Setting zu Hause aus – gibt es hilfreiche nahestehende Personen? Was kann über den Haus- oder Facharzt geleistet werden? Welche ergänzenden Unterstützungsangebote wie ambulante Hospizdienste können eingebunden werden? Wenn alles nicht greift und die Unsicherheit bei den Angehörigen bleibt, dann fahre ich nach Feierabend mit meiner Erstversorgungstasche dorthin und berate die Familien vor Ort.

Wie sieht das konkret aus?

Themen sind dann die wichtigsten Aspekte der Begleitung eines Sterbenden, z.B. erwartbare Symptome, die palliative Mundpflege, der Umgang mit vorsorglich getroffenen Entscheidungen des Betroffenen und vieles mehr. Wenn ich absehen kann, dass es sich um eine akute Sterbesituation handelt, erhalten die Familien meine Mobilnummer. Diese nutzen sie aber oft nicht einmal. Wenn der Anruf kommt, dass der Betroffene in Ruhe und zu Hause sterben konnte, wird häufig erwähnt, dass schon das Sicherheitsgefühl, im Notfall jemanden anrufen zu können, ausgereicht hat, um die Situation zu meistern. Die Menschen sind oft viel stärker und kompetenter, als sie es selbst von sich geglaubt haben.

Die Gewinnerin

Ulla Rose aus Berlin ist seit 40 Jahren im Beruf – als Krankenschwester, Lehrerin für Pflege­berufe und Geschäftsführerin des Vereins Home Care Berlin. Dort bietet sie etwas ganz Außergewöhnliches an: Letzte-Hilfe-Kurse für Menschen, die ihre Angehörigen oder Freunde in der letzten Lebensphase begleiten.

Welche Sorgen und Nöte der Angehörigen sind die größten?

Die größte Sorge ist, etwas falsch zu machen. Da kann eine gute Beratung schon hilfreich sein. Da sein, dableiben, mit aushalten, das ist schon mehr und hilfreicher, als mache glauben. Wenn es keine vorsorgenden Entscheidungen gibt, ist die Sorge der Angehörigen, dass sie eine Entscheidung für den anderen treffen müssen und sich dabei überfordert fühlen. Wie gut, wenn es nach ausführlicher Beratung eine aussagekräftige Patientenverfügung gibt. Dann sind die Betroffenen nur dafür verantwortlich, den Willen des Betroffenen umzusetzen.

Muss man auf jeden Teilnehmer individuell eingehen oder eint alle die große Herausforderung?

Sowohl als auch! Viele Themen sind für Teilnehmende gleich, insbesondere die Sorge vor Fehlern und Überlastung sowie die Angst vor dem letzten Moment. Andere Themen sind sehr individuell zu behandeln, denn der Sohn einer an Demenz erkrankten Mutter hat andere Sorgen als die Tochter, deren sterbender Vater sich nicht bei der Körperpflege unterstützen lassen möchte. Die Probleme bei herausforderndem Verhalten wie  Aggression sind andere als die bei einer Depression. Da braucht es in der Beratung fachliches Wissen, ein gutes Gespür für Menschen und kommunikative Fähigkeiten.

Wie nah geht Ihnen die Thematik?

Nahe genug, um mich in die Situa­tion der Betroffenen einfühlen zu können. Und doch achte ich immer auf professionelle Distanz. Der Vater, der da stirbt, ist nicht mein Vater! Der Ehemann, der da an Prostatakrebs erkrankt ist, ist nicht mein Ehemann. Ich kann nicht gut beraten und nicht gut schulen, wenn ich mir das Leid der anderen distanzlos zu eigen mache, denn eigene Betroffenheit macht hilflos.

Was war Ihr schlimmstes Erlebnis?

Ein schlimmes Erlebnis war, als mir eine Tochter in einem Telefongespräch sagte: „Was soll der Quatsch, ist doch egal, wo man stirbt, dann eben im Kranken­wagen. Dann hat sie tatsächlich ihre sterbende Mutter ins Krankenhaus einliefern lassen, wo diese – wie sie mir bei meinem Rückruf am Folgetag mitteilte – auf dem Flur in der Notaufnahme verstorben ist. 

Was war Ihr schönstes Erlebnis?

Mit vielen Kursteilnehmenden gibt es andauernde Kontakte und kleine Nachfolgeberatungen. Schöne Erlebnisse sind immer, wenn mir Kursteilnehmer rückmelden, wie viel Sicherheit sie durch den Kurs gewonnen haben, wie sie sich ermutigt gefühlt haben, sich dem Sterbenden zuzuwenden, und dass sie stolz darauf sind, ihre Angehörige bis zum Schluss begleitet zu haben.

Was brauchen Sie, um sich von den Kursen und ihren sonstigen Aufgaben zu erholen?

Selfcare ist wichtig! Ich nutze regelmäßig Supervision für mich, um mich zu entlasten, mein Tun zu reflektieren und neue Sichtweisen kennenzulernen. Außerdem habe ich eine stabile religiöse Bindung, ohne die ich spätestens beim frühen Tod meines Ehemannes (er starb mit 55 Jahren) untergegangen wäre. Und ich gönne mir auch mal einen Gammeltag – vielleicht nicht so viel wie der ein oder andere, aber für mich ausreichend.

Haben Sie überhaupt noch Zeit für ein Privatleben?

Das ist eine schwierige Frage! Ein Teil dessen, was ich tue, geschieht ja im Ehrenamt, also in meinem Privatleben. Ich pflege meine familiären Bindungen und besuche meine Familie in Westfalen, ich gehe mit Freunden aus und tue, was mir guttut.

Können Sie abschalten oder nehmen Sie die Probleme aus den Kursen mit nach Hause?

Abschalten ist Pflicht! Und dass muss man üben. Es gibt viele Rituale, die mir dabei helfen. Ich kann nicht die Probleme des beruflichen Alltags mit nach Haus nehmen. Zu Hause wartet mein Sohn, der eine Mutter braucht, die ihm Aufmerksamkeit schenkt. Ich möchte die mir übertragenen Aufgaben noch möglichst lange ausüben. Dass ist nur möglich, wenn ich gut für mich sorge.

Gibt es Rahmenbedingungen für die Kurse, die man verbessern könnte?

Die von Letzte Hilfe Deutschland entwickelten Kurse sind ein wunderbares Format, das auch die Gesellschafter von Letzte Hilfe Deutschland als lernendes System verstehen. Wenn es etwas zu verbessern gibt, dann bringen wir Kursleitenden das bei den regelmäßigen Treffen ein. Es gibt immer einen Konsens!

Sie bilden jetzt auch neue Kursleitende aus – wie sind Sie dazu gekommen?

Als Trainer für Kursleitende wird man von den Gesellschaftern von Letzte Hilfe Deutschland berufen. Neben der Kurserfahrung gehört unter anderem Erfahrung in der Erwachsenenbildung und die Identifikation mit den Rahmenbedingungen von Letzte Hilfe Deutschland dazu. Für diese Berufung bin ich sehr dankbar, denn dadurch erfahre ich Wertschätzung. Wenn Verantwortliche bei Letzte Hilfe Deutschland mich für fähig halten, Kursleitende angemessen zu schulen, ist das ein großer Vertrauensbeweis.

Haben Sie sich über die Auszeichnung gefreut?

Ja, und wie! Der Preis ist für mich Anerkennung und Motivation zugleich.

Medical-Tribune-Kooperation – 1 A Pharma