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Absetzsymptome sind noch kein Entzug

Autor: Friederike Klein

Nicht immer sind auftretende Symptome  Entzugserscheinungen eines Abhängigen. Nicht immer sind auftretende Symptome Entzugserscheinungen eines Abhängigen. © iStock/AntonioGuillem
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Bei vielen somatischen und psychiatrischen Medikamenten treten Absetzsymptome auf. Der Rückschluss, dass bei diesen Patienten eine Medikamentenabhängigkeit vorliegt, ist aber oft falsch.

Symptome nach Absetzen eines Medikaments sind nicht automatisch als Zeichen eines Entzugs im Sinne einer Abhängigkeit zu verstehen. Viele Patienten, die ihre Anti­hypertensiva nicht mehr einnehmen, berichten über Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Palpitationen, Ödeme und ein allgemeines Gefühl von Unwohlsein, zitierte Professor Dr. Alkomiet Hasan­ von der Ludwig-Maximilians-Universität in München das Ergebnis einer Metaanalyse. Aber von einer Abhängigkeit spricht in diesen Fällen niemand.

Toleranz, aber keine Abhängigkeit vorhanden

Absetzsymptome, wie sie derzeit bei Antidepressiva diskutiert werden, zeigen teilweise Ähnlichkeiten: Schwindel/Benommenheit, Unwohlsein, Reizbarkeit, Übelkeit/Erbrechen, Kopfschmerzen und  Schlafstörungen werden berichtet. Zu unterscheiden sind Toleranzentwicklung, Rebound (Wiederkehren der Erkrankungssymptome nach Absetzen), Entzug (substanzspezifische körperliche und psychische Symptome nach Absetzen) und eher unspezifische Absetzphänomene.

Toleranz kann durch pharmakologische Prozesse entstehen. Einerseits kann es pharmakodynamisch zu einer Veränderung von Rezeptordichte, Rezeptorstruktur, Signaltransduktion und Rezeptoraktivität kommen. Andererseits können pharmakokinetische Effekte beispielsweise zu einer veränderten Elimination der Substanz führen. Dazu kommen Lernprozesse, die eine Toleranz vermitteln oder verstärken können.

Obwohl es möglich ist, dass Toleranzentwicklungen den Absetzphänomenen zugrunde liegen, werden viele Abhängigkeitskriterien aber nicht erfüllt. Deshalb ist Prof. Hasan die Unterscheidung der Begriffe so wichtig. Beispielsweise besteht bei diesen Phänomenen kein starker Wunsch oder Zwang, die Substanz zu konsumieren, es fehlt den Betroffenen auch nicht an einer Kontrollmöglichkeit bezüglich Beginn, Beendigung oder Menge des Konsums und der Medikamentenkonsum führt nicht zur fortschreitenden Vernachlässigung anderer Interessen.

Auch ohne Sucht ist ein Missbrauch möglich

Dennoch ist die Medikamentenabhängigkeit ein wichtiges Thema, mit dem sich auch Leitlinien in der Psych­iatrie stärker beschäftigen sollten, ist Prof. Hasan überzeugt. Bislang berücksichtigt nur die S3-Leitlinie Schizophrenie dieses Thema. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass beispielsweise einige Medikamente wie Antidepressiva nicht nur zu Absetzphänomenen, sondern seltener auch zu einem Missbrauch führen können.

Quelle: DGPPN* Kongress

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde