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Frühe Therapie Alkoholstopp ohne Delir

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Im schlimmsten Fall kann ein Entzug zum Tod führen. Eine frühzeitige unterstützende Therapie ist oft unabdingbar. Im schlimmsten Fall kann ein Entzug zum Tod führen. Eine frühzeitige unterstützende Therapie ist oft unabdingbar. © Regina – stock.adobe.com
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Wenn Alkoholabhängige plötzlich ihr Quantum reduzieren oder das Trinken einstellen, drohen heftige Entzugssymptome bis hin zum potenziell tödlichen Delir. Eine gute hausärztliche Begleitung und Therapie kann das Schlimmste verhindern.

Zu den häufigsten Symptomen des Alkoholentzugs zählen Angst, Nausea, Erbrechen, autonome Dysfunktion und Insomnie. Ohne adäquate Therapie entwickeln 5 % der Patienten ein Delir. Es tritt 48 bis 72 Stunden nach dem letzten Alkoholgenuss auf und verläuft unbehandelt in 15 bis 20 % der Fälle tödlich. Ein gutes Management reduziert die Mortalität auf etwa 1 %, so Dr. ­Alexander ­Alexiou und Dr. Thomas ­King vom Barts Health NHS Trust in London.

Bei einem leichten bis mittelschweren Entzug (s. Kasten) genügt oft schon eine supportive haus­ärztliche Therapie. Allerdings sind Entzugserscheinungen nicht immer gleich als solche zu erkennen, denn mancher Betroffener sucht die Praxis aus anderen Gründen auf. Die Autoren empfehlen deshalb, bei einem Anfangsverdacht gezielt nach weiteren Entzugssymptomen sowie anderen Hinweisen zu fragen. Dazu gehören Erinnerungslücken, Episoden mit Bewusstseinsverlust, Krampfanfälle und (Kopf-)Verletzungen. Andere Störungen mit ähnlichem Symptombild (Hirnblutung, Medikamentenüberdosis etc.) sind dabei auszuschließen.

Symptome des Alkoholentzugs

leicht

  • Insomnie und Erschöpfung

  • Tremor

  • leichte Ängstlichkeit und Reizbarkeit

  • innere Unruhe

  • Übelkeit/Erbrechen

  • Kopfschmerz

  • exzessives Schwitzen

  • Herzklopfen

  • Depressivität

  • Alkoholverlangen

mittelschwer

  • Ruhelosigkeit

  • grobschlägiger Tremor

  • Verschlechterung leichter Beschwerde

Eine Krankenhauseinweisung sollte erwogen werden, wenn der Entzugspatient noch sehr jung ist (< 16 Jahre) oder ein erhöhtes Risiko für epileptische Anfälle und Delir aufweist. Eine besondere Gefahr besteht z.B. bei einem starken Alkoholkonsum (> 300 mg/d) oder Zeichen einer autonomen Hyperaktivität (Tremor, Tachykardie, übermäßiges Schwitzen oder Palpitationen). Auch Intoxikationszeichen signalisieren ein erhöhtes Risiko.

Elektrolyte werden zur Mangelware

Die unterstützende Behandlung erfolgt unter anderem durch den Ausgleich etwa­iger Elektrolytstörungen. Entzugspatienten weisen häufig niedrige Werte für Natrium, Magnesium, Kalzium und Phosphat auf. Eine Hypoglykämie muss korrigiert und der Blut­zucker nachfolgend überwacht werden. Gegen den oft begleitenden Thiaminmangel (Wernicke-Enzephalopathie) hilft eine Supplementierung (erste Applikation i.v).

Auf diese Laborwerte kommt es an

Bei einem vermuteten Entzugssyndrom bzw. Alkoholmissbrauch können Blutgasanalyse, Glukosewerte, Differenzialblutbild, Harnstoff, Elektrolyte (inkl. Magnesium und Phosphat), Leberwerte und Gerinnungsparameter weitere Hinweise liefern. Die Ergebnisse müssen im Zusammenhang mit der Krankengeschichte sowie weiteren klinischen Befunden interpretiert werden.

Weisen die Patienten zehn oder mehr Punkte auf dem CIWA-Ar*-Fragebogen auf, der auch auf Deutsch erhältlich ist, sollten sie medikamentös behandelt werden. An erster Stelle steht die Gabe von Benzodiazepinen, um die innere Unruhe zu reduzieren und eine Verschlechterung der Beschwerden zu verhindern. Diese werden unter ambulanten Bedingungen in einer fixen Dosis verabreicht und in den folgenden sieben bis zehn Tagen schrittweise ausgeschlichen. Langwirksame Benzodiazepine sind zu bevorzugen. Häufig wird Chlordiazepoxid eingesetzt, auch Diazepam kann verordnet werden, hat aber nach Einschätzung der Autoren ein höheres Missbrauchspotenzial.

Für den Bewusstseinscheck nach Gesprächsdauer fragen

Typisch für das Entzugsdelir sind rasch einsetzende und schwer kontrollierbare Symptome, die zwei bis drei Tage nach dem letzten Alkoholgenuss auftreten. Dazu gehört eine ausgeprägte, aber fluktuierende Verwirrtheit. Der Betroffene ist eventuell zu Ort, Zeit und Person desorientiert. Außerdem fällt möglicherweise eine getrübte Bewusstseinslage auf. Eine leichte Beeinträchtigung lässt sich mit der Frage nach der Dauer des aktuellen Arztgesprächs eruieren. Betroffenen Patienten fällt es schwer, diese Zeitspanne abzuschätzen. Hinzu kommen häufig visuelle, auditorische und taktile Halluzinationen und furchterregende Wahnvorstellungen.

Manche Patienten berichten im Delir über kribbelnde Missempfindungen und Insekten, die unter der Haut krabbeln. Zudem kann ein grobschlägiger Tremor auffallen. Einen deutlichen Hinweis liefert eine klinische Instabilität mit Tachykardie, Fieber, Ketoazidose und Kreislaufkollaps. 

Das Entzugsdelir ist grundsätzlich ein Notfall – Patienten mit dieser Bewusstseinsstörung müssen umgehend stationär behandelt werden. Sofern tolerabel, sollte primär ein orales Benzodiazepin verabreicht werden, bei persistierenden Symptomen ist ein Wechsel zur intravenösen Applikation indiziert.

Diese erfordert allerdings eine sofortige Beatmungsbereitschaft. Falls die hoch dosierte Benzodiazepin­gabe nicht zum Ziel führt, wird der zusätzliche Einsatz eines Neuroleptikums empfohlen. Rechtzeitig begonnen, kann diese abgestufte Behandlung delir­bedingte Todesfälle fast vollständig verhindern.

*  Clinical Withdrawal Assessment of Alcohol, revised

Quelle: Alexious A, King T. BMJ 2023; 381: p951; DOI: 10.1136/bmj.p951