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Schmerztherapie Analgesie via App

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Ob die App funktioniert, wurde in einer randomisierten Studie mit 86 Patienten geprüft. (Agenturfoto) Ob die App funktioniert, wurde in einer randomisierten Studie mit 86 Patienten geprüft. (Agenturfoto) © Studio-Romantic – stock.adobe.com
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Die Digitalisierung erlebt nicht zuletzt dank der Coronapandemie einen Boom. Auch in der Schmerzmedizin haben digitale Tools ihren Platz gefunden – mit unterschiedlichem Erfolg.

Wie sich das Volksleiden Rückenschmerz mit technischen Hilfsmitteln aus der Ferne behandeln lässt, war Gegenstand der Rise-uP-Studie. Drei digitale Bestandteile wurden untersucht: eine multimodale App (Kaia) als Kernintervention, eine gemeinsame elektronische Fall­akte als Therapienavigator und telemedizinische Konsile für Patienten mit hohem Chronifizierungsrisiko. In der App gab es neben Anleitungen zu physiotherapeutischen und Entspannungsübungen auch edukative Elemente, berichtete Dr. ­Janosch ­Priebe, Psychologe vom Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie am Klinikum rechts der Isar der TU München. Der Körper wurde über eine Kamera getrackt. Das Handy gab über einen Sprachmodus Rückmeldung, z.B. „geh nicht so tief“, „du machst das gut“.

Ob die App funktioniert, wurde vorher in einer randomisierten Studie mit 86 Patienten geprüft. Alle litten seit sechs Wochen bis zu einem Jahr unter Rückenschmerzen und erhielten das Tool oder ein klassisches Physiotherapierezept. Sechs Wochen nach Beginn lagen die beiden Gruppen hinsichtlich der Schmerzintensität gleichauf, nach zwölf Wochen hatten die Nutzer der App weniger Schmerzen. 

Rückenschmerzen nach drei Monaten deutlich reduziert

In die Rise-uP-Studie wurden dann 1.291 Patienten mit akutem, subakutem und rezidivierendem Rückenschmerz aus 56 bayerischen Hausarztpraxen eingeschlossen. 34 Praxen und 971 Patienten nahmen am digitalen Projekt teil, die 22 anderen Praxen behandelten die übrigen 320 Patienten wie gewohnt. Die Beobachtung lief über zwölf Monate. 

Schon nach drei Monaten zeigte sich eine deutliche Überlegenheit in der Schmerzreduktion im Rise-uP-Kollektiv, die über den gesamten Zeitraum erhalten blieb. Die digital Behandelten gewannen auch deutlich mehr an Funktionalität und Wohlbefinden hinzu. Ihre Scores zu Angst, Depression und Stress besserten sich, während sie sich in der Vergleichsgruppe sogar verschlechterten. Zudem waren diese Studienteilnehmer zufriedener. 
Nicht zuletzt zahlte sich die Nutzung der App finanziell aus. Die Reduktion um einen Schmerzpunkt in Rise-uP ließ sich mit rund 400 Euro weniger erreichen als bei den Kontrollen. Das Projekt erfreute sogar den Gemeinsamen Bundesausschuss, sodass das Gremium vorschlug, die Ansätze in die Regelversorgung zu übernehmen. 

PD Dr. ­Lars ­Neeb von der Klinik für Neurologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin präsentierte die Ergebnisse einer Studie zur smartphonegestützten Migränetherapie (SMARTGEM). Das Projekt hatte drei Bausteine: die App M-sense, eine Webplattform, auf der die Patienten beispielsweise mit Ärzten online chatten oder sich mit Leidensgenossen austauschen konnten, und die Möglichkeit für teilnehmende Ärzte, über Telekonsile mit den Studienleitern in Kontakt zu treten. Die App beinhaltete ein Tagebuch inklusive Analysefunktionen (u.a. Warnung vor Triggern), nicht-medikamentöse und edukative Ansätze sowie einen Arzt­report, der das Ganze zusammenfasste.

In die Studie wurden 650 Patienten mit mindes­tens fünf Migränetagen pro Monat und maximal drei Vorstellungen in den beteiligten Kopfschmerzzentren aufgenommen. 

Alle mussten in einer vierwöchigen Vorbereitungsphase den Kalender einer Basisversion der App mit mehr als 80%iger Adhärenz geführt haben. Randomisiert erhielten sie dann die App mit allen Funktionen oder als reinen Kopfschmerzkalender. Primärer Endpunkt war die Reduktion der Migränetage/28 Tage nach sechs Monaten. 615 Patienten konnten ausgewertet werden.

Für die Forscher unerwartet schnitt in dieser Studie das digitale Management nicht besser ab. In der Interventionsgruppe hatten sich die Migränetage von 11,1 auf 8,09 reduziert, bei den Kontrollen von 11,3 auf 8,2 Tage. Auch in sekundären Endpunkten wie Ansprechraten oder Einnahme von Medikamenten sowie den patient reported outcomes (z.B. Lebensqualität) fanden sich keine signifikanten Unterschiede.

Fehler bei Studiendesign und Konzeption der Migräne-App

Als mögliche Gründe für die nicht erzielte Überlegenheit nannte Dr. Neeb zum einen die sehr starke Kontrollgruppe, die noch nicht lange unter den Schmerzen litt und auch einen 30%igen Erfolg erzielen konnte. Zum anderen müsse man sich fragen, ob der grafisch aufbereitete Kopfschmerzkalender per se vielleicht schon eine akute Behandlungskomponente darstellt. Darauf deuteten bereits frühere Erhebungen zur App hin. Außerdem wurden aktive Komponenten wie Entspannungsverfahren oder Ausdauersport sehr wenig genutzt. Eventuell könnte die Erweiterung der App um motivierende Elemente den Erfolg vergrößern.

Quelle: Schmerzkongress 2022