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Vertrauen schaffen Angst vor folgenschwerem Schuldanerkenntnis ist unberechtigt

Autor: Michael Brendler

Wer offen über Pannen oder für den Patienten ungünstige Umstände redet und sich entschuldigt, signalisiert Souveränität und Empathie. Wer offen über Pannen oder für den Patienten ungünstige Umstände redet und sich entschuldigt, signalisiert Souveränität und Empathie. © goodluz – stock.adobe.com
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Der Satz „Es tut mir leid“ hat in der Medizin einen schlechten Ruf. Zu Unrecht, denn der Arzt, der ihn in den Mund nimmt, riskiert wenig und kann viel gewinnen. Zum Beispiel dankbarere Patienten, die seinen Ratschlägen gerne folgen.

Eine Entschuldigung geht Medizinern immer noch viel zu schwer über die Lippen. „Wer sich entschuldigt, trägt Schuld“ – diesen Satz haben nach Ansicht von Dr. Jutta von Campenhausen vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf immer noch zu viele Mediziner im Hinterkopf.

Vor zehn Jahren befragten US-Mediziner 78 unzufriedene Krebs-Patienten, was sie sich von ihrem Arzt erhoffen, wenn bei ihrer Behandlung einmal etwas daneben geht. Genannt wurden vor allem Ehrlichkeit, Authentizität, mehr Verständnis sowie das offene Eingestehen von Fehlern und die Bereitschaft, aus ihnen zu lernen. Vor allem wünschten sich die Patienten aber, von ihrem Arzt häufiger eine Entschuldigung zu hören.

Finanzielle Konsequenzen drohen heute nicht mehr

Viele Ärzte haben Angst, dass sie mit ihrer Entschuldigung schlafende Hunde wecken. Hinzu kommt die Befürchtung, dass eine solche Aktion teuer werden könnte. Bis vor 15 Jahren war diese Sorge noch angebracht: Entschuldigungen konnten damals als „Schuldanerkenntnis“ gewertet werden. Und in diesem Fall erlosch bei einem Behandlungsfehler der Anspruch auf die Leistungen der eigenen Haftpflichtversicherung. Seit 2008 sind dank einer Gesetzesänderung solche finanziellen Konsequenzen nicht mehr zu befürchten. „Es ist also nicht nur gefahrlos, es ist auch geboten, bei jeder passenden Gelegenheit den Patienten ein Wort des Bedauerns zu sagen“, meint die Autorin. Ein Wort der Entschuldigung sei ein Zeichen von Souveränität, es wirke empathisch, aufmerksam, vertrauensbildend und einfühlsam. Und es hat offenbar sogar messbare medizinische Effekte.

Eine Studie belegt: Eine ehrliche Entschuldigung lindert Stresssymptome und senkt Kortisonspiegel, Blutdruck und Herzfrequenz, eine unehrliche nicht.

Missstände ansprechen heißt auch, dafür Verantwortung zu übernehmen. Wer das versäumt, riskiert, dass bei vielen Patienten ein ungutes Gefühl zurückbleibt. Sie vermuten, es sei der Klinik und den Ärzten egal, dass sie leiden, oder aber – viel schlimmer – dass ihr Schweigen ein Verschweigen ist, verdeutlicht die Autorin. Ein solche Situation schade dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und senke dessen Kooperationsbereitschaft.

Wer dagegen den Patienten in seiner emotionalen Situation mit einer Entschuldigung „abholt“, kann die Lage schnell entschärfen. Auch wenn man persönlich keinerlei Verantwortung für die missliche Lage des Patienten trägt, sollte man dies tun, fordert Dr. von Campenhausen. Meist sind es gar keine mutmaßlichen Behandlungsfehler, die für Unmut sorgen, sondern Missverständnisse, Zufall oder Pech. Auch lange Wartezeiten oder besetzte Telefonleitungen können Ärger hervorrufen. Patienten halten viel aus und sie haben erstaunlich viel Verständnis für menschliches Versagen, sofern es offen kommuniziert wird, lautet das Fazit der Autorin.

Quelle: von Campenhausen J. Dtsch Med Wochenschr 2023; 148: 1328–1330; DOI: 10.1055/a-1236-7117