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HIV Bei Infektionsrisiko und Testung ist Schubladendenken fehl am Platz

DGIM 2023 Autor: Dr. Susanne Gallus

Zwar sind die Infektionszahlen insgesamt zurückgegangen, unter Heterosexuellen und Drogensüchtigen steigt die Rate jedoch an. Zwar sind die Infektionszahlen insgesamt zurückgegangen, unter Heterosexuellen und Drogensüchtigen steigt die Rate jedoch an. © fizkes – stock.adobe.com
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HIV ist eine beherrschbare Erkrankung geworden. Bleibt die Infektion jedoch unerkannt, verliert sich der Vorteil, dass sich die Viruslast unter die Nachweisgrenze senken lässt und somit keine Ansteckungsgefahr mehr besteht. Ohne den Abbau von Stigma und Diskriminierung wird sich aber die Testbereitschaft nicht bessern.

Durch die Entwicklung von antiretroviralen HIV-Therapien (ART) sowie Prä- und Postexpositionsprophylaxen sinken die Zahlen der HIV-Neuinfektionen in Deutschland. „Im Grunde genommen haben wir das Werkzeug, um die HIV-Epidemie zu beenden“, betonte Prof. Dr. Jürgen Rockstroh­ von der Ambulanz für Infektiologie & Immunologie am Universitätsklinikum Bonn. Denn Infizierte sind, wenn sie durch die ART die Nachweisgrenze unterschreiten, nicht mehr ansteckend

Doch auch 2021 gab es in Deutschland noch 1800 Neuinfektionen und die aktuelle gesellschaftliche und weltpolitische Lage trägt eher nicht zum Ende von HIV bei (s. Kasten). Als Motor der Neuansteckungen bezeichnete Prof. Rockstroh die oft späte Diagnose. Bei jedem zweiten HIV-positiven Europäer lag die CD4-Zellzahl bei Diagnose bereits unter 350 Zellen/mm³. Folglich bestand ein sehr langer Zeitraum, in dem Mitmenschen unwissentlich angesteckt werden konnten. 

Schwierige Zeiten

Die Coronapandemie mit ihren Folgen ist eine deutliche Hürde, die es im Kampf gegen HIV zu nehmen gilt. Sie bewirkte eine extremen Veränderung sowohl hinsichtlich der Therapiebereitstellung als auch der Testangebote aufgrund der Schließung von HIV-Testzentren. Hinzu kommen Kriege in Verbindung mit Flüchtlingsströmen, die dazu führen, dass zumindest statistisch gesehen die Zahlen dieses Jahr vermutlich steigen werden. Denn viele geflüchtete HIV-Patienten z.B. aus der Ukraine werden dann erstmals in die deutsche Statistik einfließen. 

Zusätzlich verhindern in Ländern wie Polen und Russland die Stigmatisierung und Verfolgung der queeren Bevölkerung, dass diese vulnerable Gruppe Präventions-, Test- oder Therapieangebote wahrnehmen kann. Dadurch ist die Inzidenz dort weiterhin hoch. Bei den Drogensüchtigen bleiben die limitierten Spritzen- und Substitutionsprogramme in Europa ein Thema. Außerdem werden sie auch oft spät diagnostiziert, weil im Leben eines i.-v.-Drogensüchtigen meist andere Dinge mehr Priorität haben, als sich aktiv auf HIV testen zu lassen.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang das fehlende Bewusstsein bestimmter Gruppen. Männer, die Sex mit Männern haben, bilden zwar weiterhin die größte Risikogruppe, bei ihnen zeigt sich aber der deutlichste Rückgang der Infektionszahlen, was den Effekt von Prävention und Aufklärung verdeutlicht. Die Rate steigt dagegen v.a. bei Drogensüchtigen und Heterosexuellen. Eine Gruppe die sehr oft unter den Tisch fällt, sind ältere heterosexuelle Menschen. „Auch ältere Menschen haben Sex“, erinnerte Prof. Rockstroh, doch diese nehmen sich kaum als HIV-risikobelastet wahr: Sie testen sich wenig und werden daher zu einem noch höheren Anteil spät diagnostiziert. Obwohl man also die für 2020 gesteckten HIV-Ziele 90-90-90 (90 % diagnostiziert, 90 % davon therapiert, davon wiederum 90 % unter der Nachweisgrenze) bei Therapieangebot und -erfolg mit ca. 96 % mehr als erreicht hat, bleibt der 90%-Anteil hinsichtlich der Testung bzw. Diagnose ein Wackelkandidat. 

Die Testquote zu verbessern, gestaltet sich allerdings schwierig. HIV und AIDS ist auch noch im Jahr 2023  immer etwas, das emotionalisiert und ein Stigma trägt, erklärte der Referent. Will man auf HIV testen, befindet man sich in Deutschland auch in einer besonderen rechtlichen Situation: Der Patient muss dem Test explizit zustimmen. Ein Test gegen seinen Willen gilt als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und kann rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. 

Zwar muss kein schriftliches Einverständnis vorliegen, Prof. Rockstroh riet allerdings, die Einwilligung zu dokumentieren. Persönlich sieht der Experte diese Rechtslage kritisch, weil sie eine zusätzliche Hürde für die Testung schafft. Dass man den Test gegenüber dem Patienten explizit vorschlagen und ggf. rechtfertigen muss, sorgt u.U. bereits für eine unangenehme Atmosphäre im Sprechzimmer.  

Insbesondere beim Auftreten typischer Symptome (z.B. unklare Thrombopenie, Haarleukoplakie) oder der Diagnose einer Indikatorerkrankung sollte man sich laut Prof. Rockstroh nicht um eine Sexualanamnese drücken und einen HIV-Test anbieten. „Das ist etwas, was im Alltag eben nicht unbedingt passiert“, fügte er hinzu. Dabei sei es erstaunlich, welche Begründungen Ärzte und Patienten manchmal anführen, um solche Gesprächssituationen zu umgehen.

Quelle: Kongressbericht 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin