Anzeige

Cannabisverordnung Denn sie wissen nicht, was sie tun

Autor: Manuela Arand

Die Substanzkonzentrationen in Cannabisblüten und -extrakten ist sehr schwer einzuschätzen. Die Substanzkonzentrationen in Cannabisblüten und -extrakten ist sehr schwer einzuschätzen. © contentdealer – stock.adobe.com
Anzeige

Cannabispräparate erreichen hierzulande Umsätze im dreistelligen Millionenbereich. Was Experten Sorgen bereitet, sind die flaue Datenlage und der vermehrte Einsatz von Blüten und Extrakten statt standardisierter Einzelsubstanzen.

Der Internist und Palliativmediziner Dr. ­Ulrich ­Grabenhorst aus Viersen steht dem Cannabishype jedenfalls skeptisch gegenüber. „Wir behandeln in unserer Praxis etwa 800 Patienten in der Palliativsituation, und die, denen wir im Jahr Cannabis neu verordnen, können wir an einer Hand abzählen“, berichtete der niedergelassene Kollege. 

Rechtssicherheit für Präparate ohne Arzneimittelprüfung

Dem Bestreben der Bundesregierung, mit §31 Abs. 6 SGB V Rechtssicherheit für die Verordnung von Cannabispräparaten zu schaffen, die (noch) keine Arzneimittelprüfung lege artis durchlaufen haben, zollt er prinzipiell Anerkennung. Zum einen wurde damit Patienten Zugang zu standardisierten Cannabisprodukten ermöglicht, die sich die Droge bisher im Eigenanbau verschafft hatten. Zum anderen setzte man Forschungsanreize, die perspektivisch zur ordentlichen Zulassung von Fertigarzneimitteln mit Nachweis von pharmazeutischer Qualität, Wirksamkeit, Sicherheit und Unbedenklichkeit führen – so wie es das Arzneimittelgesetz vorsieht. Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabispräparaten sollte die Begleiterhebung durch das BfArM liefern. 

Einen Haken sieht Dr. Grabenhorst darin, dass die SGB-V-Ausnahme nicht nur für standardisierte Einzelsubstanzpräparate gilt, sondern auch für Blüten und Extrakte. Nach heutiger Kenntnis enthalten diese rund 600 verschiedene Inhaltsstoffe, unter anderem Terpene und Flavonoide: „Wissen wir überhaupt, was wir den Menschen da geben?“ fragte er. 

Die Substanzkonzentrationen in Extrakten ein und derselben Cannabisspezies hängen außerdem vom Milieu ab, in dem die Pflanzen wachsen. Die Hersteller haben deshalb das Kunstwort Cultivar kreiert, zusammengesetzt aus Kultur(-bedingungen) und Varietät. Die Beschreibung eines solchen Cultivars liest sich dann beispielsweise so: Der Effekt werde „als mobilisierend und aktivierend wahrgenommen“, das Aroma „erdig, nach Kräutern, mit einer leicht würzigen, zitronigen Note“. Für Dr. Grabenhorst klingt das eher nach Weinprobe als nach Arzneimittelbeschreibung.

Was besagen die vorhandenen Daten? Kürzlich wurden die Ergebnisse der BfArM-Erhebung veröffentlicht. Wer sie mit Krankenkassendaten vergleicht, stößt auf Ungereimtheiten. Laut BfArM sind über die Hälfte der Cannabisverordner Anästhesisten, 15 % Allgemeinmediziner und knapp 13 % Neurologen. 

Am eifrigsten rezeptieren Hausärzte und Neurologen

Die Kassendaten weisen nicht einmal 10 % Anästhesisten aus, aber jeweils rund 30 % Allgemeinmediziner und Neurologen. Da die Kassendaten auf automatisch ausgewerteten Rezepten fußen, die Erhebung aber „nur“ auf aktiver Mitarbeit der Ärzte, liegt der Schluss nahe, dass Letztere nicht repräsentativ abbildet, was in Deutschland passiert.

„Wir haben in Sachen Wirksamkeit und Sicherheit sehr wenig aus der Begleiterhebung gelernt“, meinte Dr. Grabenhorst. Aus seiner Sicht wäre das nicht weiter schlimm, könnte man aus den Ergebnissen ableiten, dass Cannabis vielleicht nicht sicher wirke, aber auch nicht schade. „Dem ist nicht so,“ betonte der Kollege. 

Eine Studie aus Israel ergab, dass die Krebsbehandlung mit Checkpoint-Inhibitoren bei Cannabisbeigebrauch zwar seltener immunvermittelte Nebenwirkungen auslöst, sich das Outcome aber dramatisch verschlechtert. Das mediane Überleben betrug bei Usern 6,4 statt 28,5 Monate. Als Beobachtungsstudie unterlag sie zwar einem gewissen Bias, aber sie lieferte einen „harten Hinweis“, den man nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfe, so Dr. Grabenhorst. Man müsse die Cannabisfirmen dazu drängen, ihre Behauptungen mit Studien zu belegen. Ansonsten werde es nicht gelingen, eine geprüfte Behandlung mit Cannabis durchzuführen.

Quelle: 63. Kongress der deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin