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Interview mit Prof. Dr. Rita Schmutzler Das Deutsche Konsortium für familiären Brust-und Eierstockkrebs braucht dringend eine langfristige Finanzierung

Expertenrunde Brustkrebs 2023 Autor: Günter Löffelmann

Verschiedene Zentren für familiären Brust- und Eierstockkrebs haben neue Projekte zur Behandlung von Menschen mit erblich erhöhtem Brustkrebsrisiko etabliert.
Verschiedene Zentren für familiären Brust- und Eierstockkrebs haben neue Projekte zur Behandlung von Menschen mit erblich erhöhtem Brustkrebsrisiko etabliert. © jarun011 – stock.adobe.com
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Das Netzwerk aus zertifizierten universitären Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs hat wegweisende Projekte zur Identifikation und Versorgung von Menschen mit familiär bzw. erblich erhöhtem Brustkrebsrisiko etabliert. Nun müssen die Angebote verstetigt werden, betont Prof. Dr. Rita Schmutzler. 

Frau Prof. Schmutzler, wie viele Gene ziehen – Stand heute – ein erhöhtes Brustkrebsrisiko nach sich? 

Prof. Schmutzler: Wir kennen Hunderte solcher Gene, aber sie unterscheiden sich erheblich in ihrem Risikopotenzial. Bei manchen beträgt das Lebenszeitrisiko, an Brustkrebs zu erkranken, bis zu 70 Prozent, bei anderen liegt es nur zwischen 20 und 30 Prozent, im Vergleich zu rund 12 Prozent in der Allgemeinbevölkerung. Dann gibt es noch Niedrigrisikovarianten , die einzeln das Risiko nur sehr wenig beeinflussen, in der Kombination miteinander und mit nicht-genetischen Faktoren das Risiko jedoch relevant erhöhen können.

Wie identifiziert man Personen mit einem relevanten Risiko?

Prof. Schmutzler: Das Deutsche Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs schließt 23 universitäre Zentren ein, die ihrerseits mit über 200 zertifizierten Brustzentren und gynäkologischen Krebszentren zusammenarbeiten. Dort wird obligat bei jeder an Brustkrebs erkrankten Patientin geprüft, ob die von uns definierten und validierten Einschlusskriterien für einen familiären bzw. genetischen Hintergrund erfüllt sind. Wenn die Wahrscheinlichkeit eines Mutationsnachweises mindestens 10 Prozent beträgt, dann wird eine Testung angeboten.

Welche Vorsorgeleistungen gibt es?

Prof. Schmutzler: Hier ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass mit Entdeckung eines neuen Risikogens zunächst nicht klar ist, welche klinischen Maßnahmen wann angeboten werden sollen. Denn zu diesem Zeitpunkt haben wir noch erhebliche Wissenslücken zum klinischen Nutzen: Wir wissen noch nichts über altersabhängige Erkrankungsraten, das klinische Erscheinungsbild, den histologischen Subtyp und den Krankheitsverlauf. Wie wir das Risiko neuer Gene einschätzen und damit umgehen müssen, versuchen wir im Konsortium im Rahmen der Wissen generierenden Versorgung herauszufinden. Für BRCA1- oder -2-Trägerinnen heißt das dann z.B.: engmaschige Früherkennung schon ab dem 25. Lebensjahr, multimodal, insbesondere gestützt durch die Kernspintomografie. Das andere Standbein ist die prophylaktische Operation. Es ist natürlich eine Herausforderung, Betroffene in die Lage zu versetzen, sich zwischen diesen Optionen zu entscheiden. Denn selbst in einer Gruppe mit sehr hohem Risiko gibt es Personen, die keinen Krebs entwickeln werden. Wenn sie Prävention betreiben, dann schadet das auch potenziell. Und deshalb ist es uns hier besonders wichtig, dass die Betroffenen das Für und Wider abwägen und ihre eigene Entscheidung treffen können.

Wie gelingt das?

Prof. Schmutzler: Das Konsortium hat eine Reihe von Entscheidungshilfen entwickelt und bietet ein Entscheidungscoaching durch Fachpersonal an. In einer Studie konnten wir zeigen, dass diese Maßnahmen den Entscheidungskonflikt deutlich reduzierten. Es ist den Betroffenen viel leichter gefallen, die für sie passende Entscheidung zu finden.

Ein Satz wie „Ich an Ihrer Stelle würde …“ kommt Ihnen nie über die Lippen?

Prof. Schmutzler: In der Tat nicht. Wir sind wirklich seit Jahren in der Beratung tätig, da habe ich gelernt: Was für mich richtig ist, muss es nicht für einen anderen Menschen sein, oder es muss nicht zu diesem Zeitpunkt richtig sein. Wenn sich eine Frau heute nicht zu einer prophylaktischen Operation durchringen kann, dann kann sie es vielleicht in ein paar Jahren. Man muss auch in einer Hochrisikosituation nicht unbedingt operieren und schon gar nicht sofort. Wir haben ja auch die engmaschige Früherkennung, von der wir wissen, dass sie ebenfalls effizient ist.

Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen?

Prof. Schmutzler: Es gibt noch viele offene Fragen rund um den erblichen Brustkrebs. Ein sehr wertvolles Instrument, um sie zu beantworten, ist unsere Datenbank, die größte weltweit, mit über 140.000 erfassten Risikopersonen. Die Daten aus deren Versorgung werten wir laufend aus und bringen die Erkenntnisse zurück in die Versorgung. Die Versorgung selbst wird nach § 140 im Rahmen von Selektivverträgen durch die Krankenkassen finanziert, nicht jedoch die Dokumentation und Evaluation. Und hier entsteht gerade ein Problem: Wir haben über die Jahre hinweg Förderungen erhalten, aber die laufen jetzt aus, und es gibt bislang kein Finanzierungsinstrument für die Verstetigung der Datenbank. Das gilt auch für die anderen Projekte des Konsortiums, wie die bereits erwähnten Entscheidungshilfen, das Entscheidungscoaching sowie für eine E-Learning-Plattform für kooperierende zertifizierte Kliniken. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit den Leis­tungsfinanzierern neue Finanzierungsoptionen finden werden, um die Wissen generierende, zukunftsorientierte und solidarische Versorgung langfristig zu garantieren.

Hoffentlich hören alle den Donner rechtzeitig. Kann die Expertenrunde Brustkrebs dazu beitragen?

Prof. Schmutzler: Es waren Kolleg:innen vor Ort, die sehr engagiert und an den Schnittstellen zur Versorgungsforschung tätig sind. In den Vorträgen und Diskussionen wurden Bedarfe formuliert und gute Vorschläge gemacht, wie es jetzt weitergehen kann. Auch Vision Zero e.V. tut viel dafür, unsere Anliegen publik zu machen. Deshalb sind solche Veranstaltungen auch sehr wertvoll.

Was sollte in zehn Jahren Standard bei erblichem Brustkrebs sein?

Prof. Schmutzler: Meine Vorstellung ist, dass dann wirklich jeder Frau eine individualisierte Risikoprädiktion angeboten wird, die auf genetischen und nicht-genetischen Faktoren beruht. Auf deren Basis könnte man, eingebettet in das Mammografie-Screening-Programm, ein risikoadaptiertes Präventions- und Früherkennungsprogramm entwickeln, welches die Effektivität der allgemeinen Früherkennug deutlich steigern kann. Ich kann mir vorstellen, dass Personen eher zu Verhaltensänderungen bereit sind, wenn man sie mit ihrem individuellen Risiko konfrontiert, als wenn man ihnen nur unspezifisch rät, sich gesund zu ernähren und Sport zu machen. Dann würden wir damit auch zur Primärprävention beitragen. Das würde ich mir wünschen.

Interview: Günter Löffelmann

Prof. Dr. Rita Schmutzler, Direktorin des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs, Uniklinik Köln
Prof. Dr. Rita Schmutzler, Direktorin des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs, Uniklinik Köln © Christian Wittke/Medizin Foto Köln