Unterschätzte Komorbidität Depression und Adipositas im Doppelpack – das gilt für Diagnostik und Therapie

Autor: Dr. Vera Seifert

Depression und Adipositas treten häufig gemeinsam auf und beeinflussen sich gegenseitig negativ. Depression und Adipositas treten häufig gemeinsam auf und beeinflussen sich gegenseitig negativ. © buritora - stock.adobe.com (Generiert mit KI)

Depression und Adipositas treten häufig gemeinsam auf und beeinflussen sich gegenseitig negativ. Forschende empfehlen ein systematisches Screening auf Komorbidität, ein langfristiges Monitoring und individuelle Therapieziele.

Menschen mit einer Depression leiden häufig auch unter Übergewicht – und umgekehrt. Expertinnen und Experten fordern, die beiden Erkrankungen als Duo zu betrachten. Für diese Strategie gibt es allerdings in puncto Diagnostik, Monitoring und Therapie noch keine klaren Empfehlungen. Das soll sich nun ändern.

Sowohl eine Major Depression als auch Übergewicht beziehungsweise Adipositas sind weit verbreitete Erkrankungen. Laut WHO leiden über 280 Millionen Menschen an einer Depression. Übergewicht (BMI ≥ 25 kg/m2) betrifft ca. 2,5 Milliarden Erwachsene, Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) 890 Millionen, schreibt ein Team um Prof. Dr. Nils Opel, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Personen mit Adipositas haben gemäß einer Metaanalyse ein um 55 % gesteigertes Risiko, eine Major Depression zu entwickeln. Umgekehrt ist die Gefahr einer Adipositas bei Menschen mit Major Depression um 71 % höher.

Wie kommt es zu dieser Komorbidität? Es gibt Hinweise darauf, dass beiden Störungen ähnliche biologische Mechanismen zugrunde liegen. Dazu gehören beispielsweise eine chronische Entzündung, veränderte neuroendokrine Funktionen, hormonelle Dysregulationen und Veränderungen der Darmflora. Außerdem fördert Bewegungsarmut, die bei Patientinnen und Patienten mit Depression häufig vorkommt, eine Gewichtszunahme. Nicht zuletzt führen einige der antidepressiven Medikamente dazu, dass das Körpergewicht ansteigt.

Grund genug, das belastende Duo kombiniert anzugehen, schreiben die Autorinnen und Autoren. Sie haben dafür auf Grundlage einer systematischen Literaturrecherche Empfehlungen zum systematischen Screening, zum Monitoring und zur Therapie beider Erkrankungen zusammengestellt. So sollen zunächst mögliche zugrunde liegende Erkrankungen ausgeschlossen werden, die sowohl eine Major Depression als auch eine Adipositas bedingen können. Dazu gehören eine Schilddrüsenunterfunktion, Morbus Cushing, das polyzystische Ovarsyndrom sowie eine obstruktive Schlafapnoe.

Um den metabolischen Status korrekt beurteilen zu können, gilt es nicht nur das Körpergewicht, sondern auch den Taillenumfang und das Taille-Hüft-Verhältnis zu bestimmen. Auch Parameter, die ein metabolisches Syndrom anzeigen, müssen erfasst werden: Blutfette, Blutdruck und Blutglukose. Die Ernährungsgewohnheiten sowie die physische Aktivität lassen sich mit passenden Fragebogen dokumentieren. Psychische Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle: Chronischer Stress und Gefühle von Einsamkeit können Adipositas und Depression begünstigen. Zwar ist ein Appetitverlust während einer depressiven Episode häufig, in rund einem Drittel der Fälle tritt jedoch der gegenteilige Effekt auf: Die Betroffenen essen mehr als zuvor, teilweise in Form von Essanfällen (binge eating) und mit dem Ziel, negative Gefühle zu regulieren.

Mehr Bewegung durch Apps und Fitnesstracker

Körpergewicht, Stoffwechselparameter wie HbA1c, Lipide und Blutdruck sowie depressive Symptome der Betroffenen müssen regelmäßig kontrolliert werden. Bei einem leicht erhöhten Risiko für Übergewicht sollte primär eine Beratung zur Lebensstilmodifikation (Ernährung, Rauchverzicht, Bewegung) erfolgen. Sportarten wie Walking, Laufen, Yoga und hochintensives Krafttraining hätten sich dabei als besonders wirksam erwiesen, so das Autorenteam. Gute Ergebnisse erziele die Empfehlung, an mindestens fünf Tagen pro Woche ca. 35 Minuten zügiges Gehen oder ca. 20 Minuten moderates aerobes Training einzubauen. Individuelle Vorlieben sollten dabei berücksichtigt werden. Ein gut dokumentiertes Bewegungsprogramm im Sinne einer ärztlichen „Verordnung“ kann motivierend wirken, ebenso die Nutzung von Apps und/oder Fitness-Trackern.

Bei diätetischen Interventionen kommt es in erster Linie auf die Kalorienrestriktion an. Mit 500 kcal weniger pro Tag lässt sich in einem Jahr ein Gewichtsverlust von 5 % erzielen. Zu den Auswirkungen spezieller Diätformen wie Low Carb, Intervallfasten oder mediterraner Ernährung auf eine kombinierte Depression mit Adipositas liegen bisher wenige Daten vor. Eine Ernährungsberatung hinsichtlich ausgewogener Kost sei jedoch sinnvoll, schreibt das Team um Prof. Opel.

Außerdem sind antidepressiv wirkende Substanzen, die einen Gewichtsanstieg begünstigen, zu meiden. Dazu zählen Mirtazapin und bestimmte Trizyklika wie Amitriptylin. Bupropion hingegen hat sich diesbezüglich als günstig erwiesen, insbesondere in einer lang wirksamen Kombination mit Naltrexon. In den ersten Wochen einer antidepressiven Pharmakotherapie sollte man sowohl die psychischen Symptome als auch die metabolischen Parameter gut überwachen und ggf. die Medikation umstellen. Bei einer therapieresistenten Depression kommen neuromodulierende Verfahren sowie Ketamin und Esketamin infrage. 

Bleibt der BMI > 30, sind GLP1-Analoga zu erwägen

Greifen diese Maßnahmen nicht und liegt der BMI weiterhin über 30 kg/m2 (bzw. 27 kg/m2 bei Vorliegen metabolischer oder kardiovaskulärer Komorbiditäten), sollte man Medikamente zur Gewichtsreduktion ins Auge fassen. GLP1-Analoga haben sich in jüngster Zeit als besonders erfolgreich erwiesen. Wie sie sich auf depressive Symptome auswirken, ist bislang noch wenig erforscht, weshalb die Autorinnen und Autoren ein Monitoring empfehlen.

Quelle: Opel N et al. Lancet Psychiatry 2025; doi: 10.1016/S2215-0366(25)00193-2