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Der Stuhl als Lebensretter: Alternativen zum risikoreichen Heimlich-Griff

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Ist kein Ersthelfer zugegen, kann ein Stuhl Leben retten: Einfach überbeugen und die Lehne ins Abdomen stoßen. 
Ist kein Ersthelfer zugegen, kann ein Stuhl Leben retten: Einfach überbeugen und die Lehne ins Abdomen stoßen. © Eigene Darstellung
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Typisch für die Fremdkörper-Aspiration: Der Patient ist bei Bewusstsein, kann aber weder atmen noch sprechen. Mit dem Heimlich-Handgriff lässt sich ein Ersticken verhindern. Er steht aber wegen teils brisanter Nebenwirkungen auch in der Kritik. Britische Forscher haben nun ihn und andere gängige Verfahren getestet.

Das Ersticken durch Fremdkörper in den Atemwegen ist eine häufige Todesursache. Opfer werden meist ältere Patienten, die sich beim Essen „verschlucken“. Als Gegenmittel wird gerne der sog. Heimlich-Handgriff propagiert, bei dem ein Ersthelfer von unten auf das Zwerchfell drückt und so den in Trachea oder Bronchus eingeklemmten Speisebolus lockert. Allerdings kann der plötzliche Vorstoß in den Thorax zu Rippenbrüchen und Organverletzungen, etwa einer Milzruptur, führen.

Ruck, zuck Druck aufs Zwerchfell

Britische Forscher untersuchten nun, ob andere Manöver, die ebenfalls Druck auf das Diaphragma ausüben, weniger riskant sind. Tests an gesunden Freiwilligen ergaben, dass alle im Kas­ten genannten Verfahren (klassischer Heimlich-Griff, zirkulärer Heimlich-Griff, Stuhl-Manöver und Bauchstoß in Selbsthilfe) den erwünschten Druckanstieg erzeugen.

Geringere Verletzungsgefahr mit der Rückenlehne

Ob die Kraft durch einen Ruck nach oben oder kreisförmig appliziert wurde, hatte keinen Einfluss auf den Spitzendruck in Magen und Speiseröhre, schreiben Dr. Matthew Pavitt vom Royal Brompton Hospital in London und Kollegen.

Außerdem fanden die Wissenschaftler heraus, dass vom Patienten selbst verabreichte Bauchstöße ebenso gut wirkten wie die traditionellen Ersthelfer-Methoden. Als besonders effektiv erwies sich die Selbsthilfe mit der Stuhllehne. Dieses Manöver erzeugte sogar höhere Werte als der Heimlich-Handgriff.

Handgriffe gegen Ersticken

  • Zirkulärer Heimlich-Handgriff: Der Helfer umfasst den Patienten hinten, verschränkt die Hände oberhalb des Nabels und übt einen starken zirkulären Zug aus, der den Druck im Thorax erhöht und den Fremdkörper löst.
  • Beim klassischen Heimlich-Handgriff erfolgt der Druckstoß nach oben, in Richtung Zwerchfell.
  • Beim Bauchgriff in Selbsthilfe versucht der Patient mit kräftigen Druckstößen den Fremdkörper zu lösen.
  • Stuhl-Manöver: Der Patient beugt sich über eine Stuhllehne, stützt die Arme auf der Sitzfläche ab und versetzt sich mit der Lehne Stöße ins Abdomen.

Unterschiede muss man auch bei der Sicherheit erwarten: Die Forscher gehen davon aus, dass nach oben gerichtete Kräfte wie beim Heimlich-Handgriff eher zu Verletzungen führen. Sie bevorzugen daher die kreisförmige Druckapplikation über das weiche Abdomen etwa auf Nabelhöhe. Dieses Vorgehen hat gegenüber dem Heimlich-Handgriff noch einen weiteren Vorteil: Es kann auch von Ersthelfern geleistet werden, die wesentlich kleiner sind als der Patient. Eine generelle Ablehnung der abdominellen Verfahren, wie sie in Australien und Neuseeland vorherrscht, teilen die britischen Kollegen nicht. Denn deren negative Studienergebnisse wurden an Leichen, narkotisierten Menschen oder gar Schweinen gewonnen und lassen sich nach Meinung der Experten nicht auf Patienten übertragen, die bei vollem Bewusstsein zu ersticken drohen. Ein weiteres Argument: Auch wenn das abdominelle Befreiungsmanöver mit Risiken einhergeht – angesichts des fast sicheren Todes bei fortbestehender Obstruktion wiegt der Nutzen schwerer.

Sollte auch der Kellner wissen: Betroffene können nicht reden

Ein großes Problem bereitet bei Erstickungs-Unfällen oft die Diagnose – schließlich können die Patienten mit Fremdkörper in der Trachea nicht mehr sprechen. Auch hier verdeutlichen Selbsthilfe-Manöver die Not eher als manche Ges­ten, so die Autoren. Sie empfehlen, schon Schüler in den Hilfsmanövern zu unterrichten, ebenso Teilnehmer von Erste-Hilfe-Kursen und Angestellte in der Gastronomie. 

Pavitt MJ et al. Thorax 2017; online first