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Divertikulitis Die drei Fragezeichen

Autor: Friederike Klein

Beim Kolonkontrasteinlauf werden im Röntgenbild neben schattengebenden Konturen auch Divertikel sichtbar (gelb). Beim Kolonkontrasteinlauf werden im Röntgenbild neben schattengebenden Konturen auch Divertikel sichtbar (gelb). © Science Photo Library/Living Art Enterprises, LLC
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Leitlinien sind nie perfekt, auch nicht die zur Divertikelkrankheit. Kritik entzündet sich vor allem an drei Empfehlungen, die in der kürzlich aktualisierten Version geändert wurden. Es fehlt die Evidenz, beklagt ein Kollege. 

Seit Oktober letzten Jahres gibt es sie, die aktualisierte S3-Leitlinie zur Divertikelkrankheit / Divertikulitis. Mit den meisten Empfehlungen ist PD Dr. ­Johannes ­Lauscher von der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie der Charité – Universitätsmedizin Berlin einverstanden, drei kann er jedoch nicht nachvollziehen. Seine Einwände betreffen die folgenden Aspekte:

  1. Klassifikation Typ 2a/2b (Mikro- und Makroabszess)
  2. Indikation zur OP bei Typ 2b
  3. Erhalt der Arteria mesenterica inferior vs. zentrale Ligatur

Die Definition eines Mikro- bzw. Makroabszesses bei der komplizierten Divertikulitis (Typ 2) wurde geändert: Bisher lag der Schwellenwert bei 1 cm. Nun bezeichnet man Abs­zesse mit einem maximalen Durchmesser von 3 cm als Mikro- und über 3 cm Durchmesser als Makroabs­zesse. In einer S3-Leitlinie könne man eigentlich die Nennung von Studien erwarten, die seit der letzten Überarbeitung veröffentlicht wurden und neue Festlegungen durch Behandlungsergebnisse untermauern. Die gebe es aber zu diesem Punkt nicht, monierte Dr. Lauscher.

Von den sieben für die neue Definition herangezogenen Arbeiten waren sechs retrospektiv und eine nur eine Fall-Kontroll-Studie. Die Grenzwerte für ein erhöhtes Risiko variierten in den Analysen. Ein Durchmesser von 3 cm findet sich z.B. in einer niederländischen Studie mit 447 zunächst konservativ behandelten Divertikulitispatienten als Risikofaktor für ein Therapieversagen.

Eigene Daten bestätigen den bisherigen Cut-off

Bei einem Abszess ≥ 3 cm kam es etwa doppelt so häufig zu Perforationen, Kolonobstruktionen, Kolonfisteln, stationärer Wiederaufnahme und persistierender Divertikulitis wie bei kleineren Abs­zessen. Ein erhöhtes Risiko für eine Notfall-OP bestand aber erst ab 5 cm Abs­zessgröße.

In einer eigenen prospektiven Beobachtungsstudie mit 172 Patienten an zwei Zentren konnte Dr. Lauscher die prognostische Relevanz der Abs­zessgröße bei Divertikulitis Typ 2a/b bestätigen – mit dem alten Cut-off von 1 cm. „Es gibt nicht genügend Evidenz für die Änderung von 1 cm auf 3 cm“, fasste er zusammen.

Kritisch sah der Experte auch eine Umformulierung der OP-Indikation. Gemäß der bisherigen Leitlinie sollte dem Patienten nach erfolgreich behandelter komplizierter Divertikulitis Typ 2b (inklusive Makro­perforation, Abszess) zu einer Operation im entzündungsfreien Intervall geraten werden. Diese Empfehlung wurde nun abgeschwächt zu „kann angeboten werden“. Dr. Lauscher beurteilte die Evidenz anders als die Leitlinienautoren. Seiner Erfahrung nach versagt die konservative Therapie relativ häufig und die Lebensqualität der Patienten ist nach zusätzlicher operativer Versorgung oftmals besser. 

Deutlich geringere Mortalität nach elektiver Kolektomie

Bei rein konservativem Management ist die Rezidivrate im Langzeitverlauf hoch, wie eine kalifornische Veröffentlichung belegt: Von 185 initial behandelten Patienten erlitten 60,5 % nach durchschnittlich 5,3 Monaten ein Rezidiv. In einer weiteren US-amerikanischen Studie waren bei konservativem Management der akuten abszedierten Erkrankung nach fünf Jahren 1,9 % divertikulitis­assoziierte Todesfälle zu verzeichnen; die postoperative Mortalität bei elektiver Kolektomie hingegen lag bei 0,2 %. 

Dr. Lauscher zufolge liefern diese Ergebnisse gute Argumente für eine Operation im entzündungsfreien Intervall. Er wies allerdings auf eine Schlussfolgerung hin, zu der die Autoren der populationsbasierten Registerstudie kamen: Sie halten es für sinnvoll, eine konservative Therapie zunächst zumindest zu versuchen. Durch dieses Vorgehen seien weniger Stomaanlagen und stationäre Tage sowie geringere Kosten beob­achtet worden.

Ebenfalls als umstritten gilt die zentrale Ligatur der Arteria mesenterica inferior, die nach der neuen Leitlinie explizit nicht erfolgen sollte. Dr. Lauscher erklärte, dass die Ligatur nach einer Metaanalyse nicht mit einem signifikant höheren Risiko für eine Anastomoseninsuffizienz assoziiert ist. Auch sei die Funktion dadurch nicht verschlechtert. Zudem käme es ohne Zentralligatur signifikant häufiger zur Konversion von der laparoskopischen zur offenen Operation. 

Kongressbericht: 48. Deutscher Koloproktologen-Kongress