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Künstliche Intelligenz im Alltag Digital die Nase vorn

Autor: Manuela Arand

Die Digitalisierung bringt für Kliniken zahlreiche Chancen. Die Digitalisierung bringt für Kliniken zahlreiche Chancen. © mast3r – stock.adobe.com
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Das Universitätsklinikum Essen spielt international ganz vorne mit in Sachen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in der Medizin: Das Magazin Newsweek listet Essen als einziges deutsches Krankenhaus neben der Charité unter den Top 20 der „Smart Hospitals“. In Nordrhein-Westfalen leitet das Klinikum das öffentlich geförderte Projekt „SmartHospital.NRW“. Im Interview erläutert Dr. Anke Diehl, Leiterin der Stabsstelle Digitale Transformation an der Universitätsmedizin Essen, was sie zum digitalen Vorreiter in Deutschland macht.

Bitte erklären Sie kurz das Konzept Smart Hospital.

Dr. Diehl: Letztlich geht es darum, jeden Schritt in der Betreuung von Patienten digital zu unterstützen, soweit es möglich und sinnvoll ist. Das beginnt schon vor der Aufnahme, indem der Patient seinen Aufnahmetermin per Smartphone oder PC vereinbart und sich elektronisch über die geplanten Maßnahmen aufklären lässt. Es setzt sich fort über die Sammlung vorbestehender Daten, KI-gestützte Diagnostik und Therapie bis hin zu Entlassung, Nachsorge und automatischer Fallkodierung.

Smart Hospital – darum geht‘s

„Mit Künstlicher Intelligenz das Krankenhaus von morgen gestalten“, hat sich das 2021 gestartete Projekt SmartHospital.NRW auf die Fahnen geschrieben. Unter Leitung der Universitätsmedizin Essen entwickeln Wissenschaftler der Universitäten Essen, Dortmund und Aachen sowie von zwei Fraunhofer-Instituten gemeinsam mit IT-Partnern ein Modell zur digitalen Transformation von Krankenhäusern. Das Projekt wird vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert und verfügt über ein Gesamtbudget von rund 14 Mio. Euro. Es ist auf fünf Jahre angelegt und läuft noch bis Frühjahr 2026.

Und das funktioniert bei Ihnen in Essen?

Dr. Diehl: Schön wäre es. Das Problem liegt darin, dass wir zwar die Daten aus unseren eigenen Systemen nutzen können – wie, erkläre ich Ihnen gleich. Wir stoßen aber spätestens dann an Schranken, wenn es um sektorenübergreifende Datennutzung geht. Da gibt es vielfältige Probleme, z.B. mit der Interoperabilität der Systeme und Datenformate und mit dem Datenschutz. Für Forschungsprojekte kann ich anonymisierte oder pseudonymisierte Daten nutzen, aber um den einzelnen Patienten zu betreuen, müssen die Daten individuell zuordbar sein. Die elektronische Patientenakte wäre aus meiner Sicht ein Hebel, der das leisten könnte, auch im Longitudinalverlauf.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wo es klemmt?

Dr. Diehl: Nehmen wir einen Diabetespatienten, der von der Schwerpunktpraxis auf kontinuierliches Glukosemonitoring eingestellt ist mit einem Patch und einem intelligenten Pen, der die applizierten Insulineinheiten an eine App meldet. Das Smartphone kennt den Verlauf also sehr genau, sagt Hyper- oder Hypoglyk­ämien voraus und gibt mit KI-Unterstützung Empfehlungen. Kommt dieser Patient zu uns in die Klinik, wären diese Daten wichtig, aber wir können sie nicht auslesen. Die Daten sind in der App, fertig. Dem Patienten klarmachen zu müssen, dass wir sie allenfalls per Hand vom Display abpinseln können – das ist doch ein Armutszeugnis.

Kommen wir zurück nach Essen. Was leisten Ihre Systeme bereits?

Dr. Diehl: Sie können sich vorstellen, dass in einem Krankenhaus der Maximalversorgung mehrere Hundert Subsysteme existieren, die Daten verwalten und keineswegs automatisch kooperieren. Das erfordert eine komplexe Struktur von Datenspeicherung und -verarbeitung. Kollegen aus der Zentralen IT und dem Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin haben einen sogenannten FHIR*-Layer als Zwischenetage eingezogen, der die Metadaten aus den Subsystemen zieht und sie den Apps zur Verfügung stellt, mit denen die Mitarbeiter am Point of Care arbeiten können.

Ein zentrales Element ist das Dash­board, in dem alle wesentlichen Informationen zu dem jeweiligen Patienten zusammenlaufen – Vorbefunde, Bildgebungsresultate, Labor, Medikation und vieles mehr. Der befundende oder die Therapie planende Kollege kann direkt in dieser Dokumentation blättern und muss wesentliche Infos nicht erst anfordern. Wichtig ist, dass solche Anwendungen in Rücksprache mit dem klinischen Personal entwickelt werden, um am Point of Care die Arbeit zu verbessern, Prozesse zu beschleunigen und das Personal von Routinetätigkeiten zu entlasten, damit letztlich auch mehr Zeit für den Patienten bleibt.

Eine Quelle von Ärger bei niedergelassenen Kollegen und Patienten sind schwer verständliche Arztbriefe vom Krankenhaus. Hilft die KI auch dabei?

Dr. Diehl: Das ist ein Arbeitspaket von SmartHospital.NRW. Wir gehen Tausende Dokumente durch und extrahieren mithilfe von Natural Language Processing strukturierte Datenformate aus unstrukturierten Texten, aus denen dann wieder Texte generiert werden, die sich in Entlassbriefe einfügen lassen. Das ist sehr arbeitsaufwändig: Um aus einem zehnseitigen OP-Bericht die essenziellen drei Sätze zu extrahieren, die den Niedergelassenen interessieren, muss die Maschine viel lernen, und das unter menschlicher Qualitätskontrolle. Aber es wird sich lohnen, denken wir. Der Klinikarzt bekommt damit die Möglichkeit, die Summarys für den Entlassbrief
herüberzuziehen, und muss so wenig wie möglich selbst aktiv formulieren.

Pingunauten „entschärfen“ das MRT

Muss ein Kind per MRT untersucht werden, bleibt vielfach keine andere Möglichkeit, als es in Narkose zu legen. Denn der kleine Patient muss lange still liegen, und die ungewohnte Situation und die lauten Geräusche machen Angst. Die Essener Kollegen haben eine App entwickelt, mit der Kinder vorab die Situation im MRT spielerisch trainieren können. Die MRT-Umgebung wird per VR-Brille eingespielt, Ärzte, Pflegepersonal und auch das Kind selbst werden darin von „Pingunauten“ verkörpert. Für jedes geschaffte Level gibt es optische Belohnungen in Form von plastischen Formen im virtuellen Raum wie Einhörnern oder Sternbildern. In Essen konnte die Zahl der notwendigen Narkosen mithilfe der App erheblich reduziert werden.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre ausgefeilte E-Architektur weder Überforderung bei Patienten erzeugt noch Ängste, dass Maschinen über ihr Schicksal entscheiden?

Dr. Diehl: Wir müssen natürlich gewährleis­ten, dass wir alle mitnehmen, auch die, die nicht mit der Digitalisierung aufgewachsen sind. Deshalb müssen wir alle Prozesse, mit denen Patienten direkt in Kontakt kommen, auch analog anbieten. Aber je mehr Daten wir generieren, desto sinnvoller wird es, die Auswertung dem Computer zu übertragen, der das ohne Müdigkeit oder Konzentrationsschwäche, ohne Emotionen oder Ablenkung erledigt. Wie Arzt und Patient gemeinsam mit den Ergebnissen umgehen und welche Entscheidungen sie daraus ableiten, ist davon unabhängig. Zurzeit betreffen die meisten digitalen Anwendungen noch die Diagnostik. Patienten bekommen also kaum mit, wer das auswertet.

Aber natürlich gibt es Ängste aufseiten der Patienten. In der COVID-Pandemie hatten viele Menschen Angst, dass Computer per Triage entscheiden, wer behandelt wird und wer nicht. Das sind berechtigte Bedenken, über die man sprechen muss, und den Menschen die Angst nehmen, dass eine Maschine entscheidet. Um die KI für Laien erklärbar zu machen, haben wir einen Beirat gegründet, dem Bürger und Bürgerinnen verschiedener Nationalitäten, Alters-, Bildungs- und Berufsgruppen angehören. Wir stellen da unsere Projekte vor und holen Rückmeldungen ein, damit wir nicht in einer Bubble vor uns hinwerkeln.

Interview: Manuela Arand

* Fast Healthcare Interoperability Resources

Dr. Anke Diehl; Chief Transformation Officer, Universitätsmedizin Essen
Dr. Anke Diehl; Chief Transformation Officer, Universitätsmedizin Essen © Oliver Hartmann