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Nahtoderlebnisse Ein Licht am Ende des Tunnels

Autor: Dr. Angelika Bischoff

In zwei Dritteln der Fälle haben Nahtod­erlebnisse einen positiven Charakter. 
In zwei Dritteln der Fälle haben Nahtod­erlebnisse einen positiven Charakter. © Nicolas Bellet – stock.adobe.com
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Nahtoderleben ist kein Blick ins Jenseits, sondern in das eigene Gehirn, das spontan und verzerrt bereits gespeicherte Inhalte reproduziert. Die Phänomene lassen sich durch neurophysiologische Prozesse erklären, die in lebenskritischen Situationen im Gehirn ablaufen.

Etwa 10–20 % der Menschen, die nach einem Herzstillstand erfolgreich reanimiert wurden, erinnern sich später an Nahtoderlebnisse, die sie trotz scheinbarer Bewusstlosigkeit wahrgenommen haben. Bei vielen prägen sie das ganze weitere Leben, erklärte Prof. Dr. Wolfgang Heide von der Klinik für Neurologie am AKH Celle. Mit einem Blick ins Leben oder die Welt nach dem Tod hat das eher nichts zu tun, obwohl es oft so vermittelt wird. Keiner der Menschen, die über Nahtoderlebnisse berichten, hatte „kurz mal“ die Schwelle des klinischen Tods überschritten, stellte der Kollege klar.

In zwei Dritteln der Fälle haben Nahtoderlebnisse einen positiven Charakter: Patienten sehen einen Tunnel mit einem starken Licht am Ende. Viele nehmen sich selbst auch außerhalb des eigenen Körpers wahr und empfinden Frieden und Geborgenheit. Jeder dritte Bericht hat negative Inhalte, etwa das Empfinden höllenartiger Situationen.

An tatsächliche Ereignisse erinnerten sich nur 2 %

In der AWARE-Studie wurden vor einigen Jahren Interviews mit 140 Überlebenden eines Herzstillstands geführt und ausgewertet. 46 % der Teilnehmer erinnerten sich an die Akutphase der Reanimation und berichteten über sieben verschiedene Themen: helles Licht, Tiere oder Pflanzen, Furcht, Verfolgung bzw. Gewalt, Déjà-vu-Erlebnisse, verstorbene Angehörige und frühere eigene Erlebnisse. Nahtoderlebnisse im engeren Sinne, d.h. Licht am Ende des Tunnels, Out-of-Body-Empfinden und Depersonalisation, hatten 9 % der Befragten. Ereignisse, die tatsächlich während der Reanimation stattgefunden hatten, waren 2 % der Patienten noch bewusst.

Nahtoderlebnisse sind nichts Para­normales, sondern können mit Hirnfunktionsmechanismen erklärt werden, so Prof. Heide. Visuelle Phänomene sind z.B. mit einem deutlich erhöhten CO2-Spiegel assoziiert, wie eine prospektive Studie zeigte. Die Wahrnehmung eines zentralen Tunnels mit Licht am Ende lässt sich damit erklären, dass bei Sauerstoffmangel in der Sehrinde des Gehirns der foveale Bereich des zentralen Sehens als Letztes erhalten bleibt.

In der Literatur wird berichtet, dass Menschen, die unter Migräne­auren leiden, signifikant häufiger Nahtoderleben erfahren. Assoziiert wird es mit dem gemeinsamen Mechanismus der „Spreading Depression“. Dabei entstehen Spikes, die kurzzeitig den visuellen Kortex stimulieren können. Auch Patienten, die REM-Intrusionen zeigen, also kurze REM-Schlaf-Phasen im Wachzustand, oder die stark religiös sind, neigen verstärkt zu Nahtoderleben. Zudem spielen Neurotransmitter eine Rolle. Das Gehirn setzt z.B. unter extremem Stress Endorphine frei. Halluzinogene wie der NMDA-Rezeptorantagonist Ketamin können auch Nahtoderlebnisse provozieren.

Diese sind ebenfalls durch tiefe Meditation induzierbar. Denn beim Meditieren wird der rechte Parietallappen inaktiviert, der eine wichtige Rolle für die Raumorientierung und Selbstperzeption spielt. Durch elektrische Stimulation der Region im temporo­parietalen Übergang („Nahtodregion“) lassen sich reproduzierbare Out-of-Body-Erfahrungen triggern. Möglicherweise werden Nahtod­erfahrungen auch durch epileptische Aktivität im Temporal­lappen verursacht.

Kongressbericht: Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin