
Allergologische Odyssee Eine 32-Jährige brachte es bis zur Diagnose auf 20 Anaphylaxien

Als sich eine junge Frau in der HNO-Klinik der RWTH Aachen vorstellte, hatte sie einen ganzen Aktenordner mit ihrer Krankengeschichte dabei. Mehr als 20 Mal war es bei ihr zu einer anaphylaktischen Reaktion und Asthmaanfällen gekommen, die zu einem Notarzteinsatz führten. Wie Dr. Stefani Röseler berichtete, aß die junge Frau nur noch Reis, gegarte Paprika, Hackfleisch, Joghurt, Milchreis, gebratene Zucchini, Hähnchen und Kinderschokolade, weil sie als Ursache eine Allergie gegen verschiedene Nahrungsmittel annahm. Haustiere besaß sie nicht, Feuchtigkeit und Schimmel in der Wohnung verneinte sie. Zur Vorsicht ging die Patientin nur noch mit einer FFP3-Maske aus dem Haus. Sie war aktuell krankgeschrieben und zuvor als Restaurantleiterin tätig gewesen.
Tatsächlich förderte die Anamnese einige Anhaltspunkte für ein allergisches Geschehen zutage. Nach einer atopischen Dermatitis im Kindesalter litt die Patientin seit der Jugend an einer persistierenden allergischen Rhinitis und einem schweren Asthma bronchiale (Erstdiagnose 2010), berichtete Dr. Röseler. Eine Milbenallergie hatte man ebenfalls 2010 festgestellt, eine Sensibilisierung gegen Gräser und Frühblüher kam später hinzu. 2017 erhielt die Frau zudem die Diagnose Zöliakie. Sie nahm hoch dosiert Ebastin ein und das Asthma schien mit zweimal täglich Budesonid/Formoterol und bei Bedarf Salbutamol kontrolliert.
Zu einer ersten anaphylaktischen Reaktion kam es im August 2022 am Arbeitsplatz. Als sich ein stechendes Gefühl und eine Schwellung im Halsbereich, Schwindel und Übelkeit immer weiter verschlimmerten, riefen die Kollegen den Notarzt, der die Frau ins Krankenhaus brachte. Laut Arztbrief wurde aufgrund eines Erythems ein Insektenstich vermutet und ein Notfallset verordnet. Eine Insektengiftallergie konnte nachfolgend aber nicht bestätigt werden.
Eine besonders schlimme Episode mit Dyspnoe, Halsschwellung und Kreislaufbeteiligung ereignete sich im März 2022, als die Patientin fertige Tortellini für ihren Sohn warm machte. Der Notarzt konnte sie stabilisieren, wieder folgte eine stationäre Aufnahme. Die Kontrolle der Tryptase ergab einen Wert von 6,18 µg/l. Bei einem Basiswert von 3,58 µg/l wurde der Schwellenwert für eine Anaphylaxie (> 1,2 x Basiswert + 2 µg/l = 6,29 µg/l) knapp nicht erreicht. Allerdings ist unter Antihistaminika die Tryptase oft erniedrigt, erklärte Dr. Röseler. Leider sei diese Episode die einzige gewesen, bei der Tryptase bestimmt worden ist.
Die allergologischen Abklärung in Aachen ergab ein positives Ergebnis für die Lipidtransferproteine Tri a 14 und Bet v 1. Nicht-spezifische Lipidtransferproteine (nsLTP) sind hitzestabile Allergene, die häufig Anaphylaxien auslösen, erklärte Dr. Röseler. Tri a 14 ist beispielsweise in Bäckereien bei jedem zehnten Mitarbeitenden die Ursache für ein berufsbedingtes Asthma. Die beschriebene Patientin berichtete, in einer Schaupizzeria tätig gewesen zu sein. Die Pizzen habe man direkt im Gastraum produziert, weshalb die Mehlstaubbelastung der Raumluft dort erheblich war.
Es stellte sich heraus, dass sie bereits 2019 zweimal wegen einer Asthmaexazerbation stationär behandelt werden musste und erstmals ein orales Allergiesyndrom berichtet wurde. Der darauffolgende Provokationstest mit Weizenmehl führte zu einer schweren, intensivpflichtigen Anaphylaxie, die eine weitere Tätigkeit in der Schaupizzeria ausschloss.
Die Anerkennung als Berufskrankheit (BK-Nr. 4301) blieb der Frau aber verwehrt, weil die Dokumentation der anaphylaktischen Episoden und der Provokationstestung unzureichend waren und Tryptasewerte fast immer fehlten. Zur Therapie beantragte Dr. Röseler nun Omalizumab. Zudem wurde ein Kostaufbau unter allergologisch versierter Ernährungstherapie sowie eine Behandlung der Angst- und Panikattacken im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung eingeleitet.
Quelle: 65. Kongress der DPG