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Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Eine neue Dimension der Krebsforschung

Medizin und Markt Autor: Günter Löffelmann

Die Netzwerkpartner verpflichten sich, nach einheitlichen Qualitätsstandards zu arbeiten. Die Netzwerkpartner verpflichten sich, nach einheitlichen Qualitätsstandards zu arbeiten. © iStock/Asawin_Klabma
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Mit vier neuen Standorten will das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) onkologische Spitzenforschung und Patientenversorgung weiter zusammenbringen. Professor Dr. Angelika Eggert erläutert, wie Krebspatienten davon profitieren werden und was die geplanten Forschungsschwerpunkte am NCT Berlin sind.

Frau Professor Eggert, wie ergänzt das NCT in seiner künftigen Aufstellung die bereits bestehenden Initiativen und Forschungsverbünde in der Onkologie?

Professor Dr. Eggert: Das NCT ermöglicht es den Zentren der Spitzenforschung und der Universitätsmedizin vor allem gemeinsam frühe klinische Studien durchzuführen. Und wir können diese Studien zur personalisierten Medizin so gestalten, dass wir aus den Ergebnissen der Grundlagenforschung das Maximum für die Patienten herausholen. Das ist in Deutschland eine neue Dimension der Krebsforschung.

Professor Dr. Angelika Eggert ist Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit dem Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité, Berlin und Standortsprecherin für Berlin im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK). Darüber hinaus ist sie Mitglied im Direktorium des NCT Berlin, zusammen mit Professor Dr. Christof von Kalle (BIH-Chair und Direktor des Clinical Study Center von Charité und Berlin Institute of Health BIH), Professor Dr. Ulrich Keilholz (Direktor des Comprehensive Cancer Center der Charité) und Professor Dr. Lars Bullinger (Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie der Charité, Campus Virchow-Klinikum)

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Wenn man Patienten in klinischen Studien mit neuen Medikamenten behandelt, dann ist es praktisch immer so, dass einige sehr gut ansprechen, andere weniger, manche gar nicht. Oder man stellt fest, dass das Ansprechen im Krankheitsverlauf schlechter wird. Woher diese Unterschiede und Entwicklungen rühren, ist oft noch nicht bekannt. Wir wollen daher beispielsweise untersuchen, ob molekulare Eigenschaften des Tumors oder andere Resistenzmechanismen dafür verantwortlich sind. Eine weitere wichtige Fragestellung ist, wie man das Ansprechverhalten unter der Therapie überwachen kann, ohne dass man Patienten jedes Mal Tumorgewebe entnehmen muss. Könnte hier beispielsweise die Liquid Biopsy hilfreich sein? Wenn wir die Antworten auf diese und viele weitere Fragen haben, dann können wir die Krebstherapie noch viel besser als bisher auf den einzelnen Patienten zuschneiden.

Wie viele Patienten werden von der Arbeit des NCT profitieren?

Wir rechnen damit, über alle sechs Standorte hinweg 50.000 bis 60.000 neue Patienten pro Jahr zu behandeln. Das ist schon mal eine sehr gute Größenordnung, aber angesichts von rund 500.000 neuen Krebserkrankungen pro Jahr natürlich nicht ausreichend. Defizite gibt es beispielsweise in der Anbindung des ländlichen Raumes an spezialisierte zentrale Strukturen. Da wird es sicherlich internetbasierte Lösungen geben, Videosprechstunden, Telemedizin, Telepathologie usw. Ein weiteres Problem sind Zugangsbarrieren für Patienten mit Migrationshintergrund. Auch diesbezüglich wollen wir Lösungen entwickeln, um beispielsweise Sprachbarrieren zu durchbrechen und die Menschen besser abzuholen. Darüber hinaus hat jeder NCT-Standort über das angegliederte Comprehensive Cancer Center ein Outreach-Programm, also Kooperationen mit onkologischen Einrichtungen in der jeweiligen Region. Das bedeutet dann, dass sich die Netzwerkpartner verpflichten, nach einheitlichen Qualitätsstandards zu arbeiten, an Tumorkonferenzen teilzunehmen, Patienten für klinische Studien zu rekrutieren usw.

Wird es denn künftig überhaupt noch onkologische Einrichtungen geben, die nicht an ein Netzwerk angeschlossen sind?

Wir hoffen, dass das immer weniger der Fall ist und die meisten Patienten Zugang zu einem Netzwerk finden. Am wenigsten lässt sich das bislang im niedergelassenen Bereich sicherstellen. Allerdings sind viele Patienten dort ja durchaus sehr gut aufgehoben. Wenn eine Krebserkrankung mit der Standardtherapie heilbar ist, dann muss der Patient nicht an ein NCT und benötigt auch keine personalisierte Medizin. Es geht also darum, herauszufinden, welche Patienten eine personalisierte Medizin brauchen, und sie dann einem NCT zuzuweisen. Wenn wir das schaffen, ist es ein Gewinn für alle Beteiligten. Die Zentren werden nicht durch einfach zu behandelnde Patienten überlastet, der niedergelassene Sektor nicht durch komplexe Erkrankungen überfordert, und die Patienten erhalten genau die Versorgung, die sie benötigen.

Wann startet das NCT in der neuen Aufstellung mit sechs Standorten?

Unser Programmantrag ist fertig. Wenn er von den internationalen Gutachtern für gut befunden wird, kann die Finanzierung im zweiten Halbjahr 2022 fließen. Wir werden dann zunächst wichtige Infrastrukturen aufsetzen, mit den Projekten können wir vermutlich im vierten Quartal 2022 starten.

Lassen Sie uns über den NCT-Standort Berlin sprechen. Auf welche Bereiche richtet sich das Augenmerk?

In Berlin widmen wir uns drei Forschungsschwerpunkten. Der eine ist die Präzisionsonkologie, die eine sehr präzise molekulare Diagnostik des Tumorgewebes und eine auf die Befunde abgestimmte zielgerichtete Therapie umfasst. Unsere besondere Stärke in diesem Zusammenhang ist der Einsatz von Einzelzelltechnologien. Das bedeutet, dass wir innerhalb des Tumorgewebes wirklich einzelne Tumorzellen molekulargenetisch analysieren und herausfinden wollen, welche Zellen genau die Probleme bereiten und wie wir sie gezielt treffen können. Den zweiten Schwerpunkt bilden die Immuntherapien, insbesondere die sogenannten adoptiven T-Zell-Therapien. Deren Prinzip besteht vereinfacht gesagt darin, dem Patienten körpereigene Lymphozyten zu entnehmen und sie gentechnologisch so zu modifizieren, dass sie Krebszellen im Körper finden und abtöten. Die Grundlagenforschung dazu betreiben wir bereits seit Jahren, nun wollen wir diese zellbasierten Immuntherapien auch selbst herstellen und in klinischen Studien testen. Dazu wird es ein eigenes Gebäude geben, das Berlin Center of Advanced Therapies BeCAT. Es wird 2023 den Betrieb aufnehmen.

Das heißt, Sie können diese Therapien dann auch unabhängig von der pharmazeutischen Industrie herstellen?

Richtig, zumindest können wir die frühen klinischen Studien unabhängig durchführen und die Therapien weiterentwickeln. Wenn man sie dann breit verfügbar machen will, wird man auch Kooperationen suchen müssen.

Wie können solche Therapien, die ja auf den einzelnen Patienten zugeschnitten sind, zugelassen werden?

Das ist in der Tat ein großes Problem. In Deutschland haben wir es mit einigen bürokratischen Hürden zu tun, was die Zulassung dieser zellbasierten Therapien anbelangt; einerseits weil die Auslegung von rechtlichen Vorgaben oft besonders streng ist – auch im EU-Vergleich – zum anderen, weil sich die Auslegung auch noch von Bundesland zu Bundesland unterscheidet. Wir hoffen, dass wir dieses Problem als NCT gemeinsam lösen können.

Zurück zu den Forschungsschwerpunkten, Sie sprachen von drei.

Der dritte Schwerpunkt ist die Digitalisierung. Die moderne Diagnostik liefert eine Fülle an Daten für jeden einzelnen Patienten. Die Frage ist, wie kann man diese Daten intelligent auswerten, wie kann man sie zusammenführen und mit jenen von anderen Patienten vergleichen, und wie kann man sie in Netzwerken austauschen? Dazu braucht es neue datenwissenschaftliche Lösungen und künstliche Intelligenz.

Sie sind auf pädiatrische Onkologie spezialisiert. Wird diese Disziplin am NCT eine Rolle spielen?

Innerhalb des NCT-Netzwerks unterhalten insbesondere Heidelberg und Berlin Programme für die Kinderonkologie – in Heidelberg vor allem im Bereich der molekularen Diagnostik und der frühen klinischen Studien, in Berlin sind wir insbesondere bei der akuten lymphoblastischen Leukämie, den Neuroblastomen und den niedriggradigen Gliomen aktiv und betreiben dabei das ganze Spektrum von Grundlagenforschung, über translationale und Begleitforschung bis zu Studien der Phasen I bis III.

Welche Projekte wollen Sie in der Kinderonkologie in den nächsten Jahren voranbringen?

In der Erstlinien-Therapie sind wir bereits gut aufgestellt, wie die Heilungsraten von fast 84 Prozent über alle Krebsentitäten hinweg zeigen. Deshalb wollen wir jetzt die Behandlung von Kindern mit sehr komplexen und rezidivierenden Krebserkrankungen verbessern, indem wir frühe klinische Studien auf der Basis einer präzisen molekularen Diagnostik auf den Weg bringen. Darüber hinaus möchten wir bei den zellbasierten Immuntherapien weitere Impulse setzen. In Berlin beginnen wir jetzt mit einer Studie, in der wir die T-Zelltherapie im Anschluss an eine Stammzelltransplantation prüfen. Dabei werden wir weltweit erstmals nicht die T-Zellen des Patienten, sondern die des Stammzellspenders gegen den Krebs aktivieren. Tests bei einigen Pilotpatienten lassen den Schluss zu, dass dieser Ansatz bei aggressiven Leukämien wirksamer sein könnte.

Damit ist die Vision Zero in der Kinderonkologie ein realistisches Ziel?

Wir haben in den vergangenen fünf Jahren enorme Fortschritte erzielt und viele neue Therapien entwickelt. Diese Dynamik werden wir erhalten. Insofern ist die Vision Zero aus meiner Sicht durchaus ein realistisches Ziel – auch wenn wir für die noch fehlenden Prozentpunkte einen hohen Aufwand betreiben müssen.

Medical-Tribune-Interview