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ME/CFS Erkrankte berichten von Mangel an Fachwissen und Fortbildungsbereitschaft

Autor: Dr. Andrea Wülker

Viele Ärzt:innen kennen sich mit ME/CFS immer noch zu wenig aus und nehmen Patient:innen nicht ernst. (Agenturfoto) Viele Ärzt:innen kennen sich mit ME/CFS immer noch zu wenig aus und nehmen Patient:innen nicht ernst. (Agenturfoto) © Monster Ztudio – stock.adobe.com
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Obwohl ME/CFS auch zu den Folgeerkrankungen von COVID-19 gehört, scheint das Syndrom bei Ärzten immer noch wenig bekannt bzw. akzeptiert zu sein. Die Betroffenen frustriert das.

Die myalgische Enzephalomyelitis/das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) wird vorwiegend als eine schwere neuroimmunologische Multisystemerkrankung betrachtet, schreiben Dr. Lotte Habermann-Horstmeier, Villingen Institute of Public Health, und Dr. Lukas  Horstmeier vom Universitätsklinikum Freiburg. ME/CFS tritt meist als Folge einer Infektion auf und kann mit verschiedensten Symptomen einhergehen (s. Kasten), die sich charakteristischerweise bereits nach leichter körperlicher oder geis­tiger Anstrengung anhaltend verstärken (postexertionelle Malaise, PEM). Die Lebensqualität der Patienten sinkt, manche entwickeln eine hochgradige körperliche Behinderung. Derzeit gibt es keine kausalen Therapieoptionen.

Da sich die Symptomatik teilweise mit der anderer (insbesondere psychosomatischer) Erkrankungen überschneidet, lehnen manche Ärzte das biomedizinische Krankheitsmodell ab und fordern eine biopsychosoziale Sicht auf die Erkrankung. Andere verstehen ME/CFS zwar als somatische Erkrankung, gehen aber davon aus, dass die postexertionelle Malaise psychotherapeutisch behandelt werden sollte.

Obwohl es seit Jahren internationale Konsensus-Diagnosekriterien für ME/CFS gibt, vergeht oft lange Zeit, bis die korrekte Diagnose gestellt wird. Viele Betroffene erhalten entweder gar keine oder eine Fehl­diagnose, insbesondere aus dem psychiatrischen/psychosomatischen Bereich. 

Um zu untersuchen, wie ME/CFS-Kranke die Zeit bis zur Diagnose erleben, legten die beiden Forscher 544 Patienten mit einer ärztlichen ME/CFS-Diagnose einen Fragebogen vor. Die Teilnehmer sollten schildern, welche Erfahrung sie seit Beginn ihrer Erkrankung mit Medizinern gemacht hatten, welche Unterschiede es im Vergleich zu einer „normalen“ Erkrankung wie Grippe oder Herzinfarkt gegeben habe und ob eine Fehldiagnose gestellt worden war.

Nach den subjektiven Erlebnisberichten der Befragten gibt es an der Art und Weise, wie Ärzte mit ME/CFS und den betroffenen Patienten umgehen, viel zu kritisieren:

  • Viele Kollegen haben demnach zu wenig Fachwissen über ME/CFS und/oder kaum Erfahrung im Umgang mit Erkrankten.
  • Ein Teil der von den Patienten aufgesuchten Ärzte ließ keine Fortbildungsbereitschaft erkennen, sondern beharrte auf dem eigenen Wissensstand.
  • Einige Ärzte stritten die Existenz von ME/CFS ab oder ordneten das Krankheitsbild als rein psycho­somatisch oder psychiatrisch ein.
  • Manche Kollegen ignorierten das Patientenwissen und wollten sich nicht mit dem mitgebrachten wissenschaftlichen Informations­material auseinandersetzen.
  • Einigen Ärzten wurde „Schub­ladendenken“ und „Vorgehen nach Standardprogramm“ vorgeworfen.

Viele ME/CFS-Erkrankte empfanden den Ablauf der Diagnosefindung als mangelhaft und frustrierend und beschrieben diese Erfahrung als zentralen Faktor einer problematischen Arzt-Patienten-Beziehung. Die Autoren planen, aus den Erkenntnissen der Studie in einem weiteren Schritt Handlungsempfehlungen für eine bessere Versorgung der Betroffenen zu entwickeln.

Quelle: Habermann-Horstmeier L, Horstmeier LM. Dtsch Med Wochenschr 2024; 149: e19-e36; DOI: 10.1055/a-2197-6479