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Krankhafte Müdigkeit Erschöpft ohne erkennbare Ursache?

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Um der Ursache einer unangemessenen Müdigkeit auf die Spur zu kommen, ist planvolles Vorgehen erforderlich. Um der Ursache einer unangemessenen Müdigkeit auf die Spur zu kommen, ist planvolles Vorgehen erforderlich. © fizkes – stock.adobe.com
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Nicht jede chronische Müdigkeit lässt sich unmittelbar einer Erkrankung zuordnen. In der Praxis kommt es darauf an, Unter- und Überdiagnostik zu vermeiden und eine passende Therapie zu finden. Eine Leitlinie für den Hausarzt hilft dabei.

Müdigkeit gehört zum Leben dazu. Nur in Ausnahmefällen suchen Menschen deswegen medizinische Hilfe. Etwa dann, wenn sie sich ihre ständige Müdigkeit, Erschöpfung und Schlappheit nicht erklären können, wenn sie sich in ihrer Lebensführung stark beeinträchtigt fühlen oder wenn sie einfach nicht mehr weiter wissen.

Um der Ursache einer unangemessenen Müdigkeit auf die Spur zu kommen, ist planvolles Vorgehen erforderlich. Die Diagnostik soll stets mit der sorgfältigen Anamnese starten, heißt es in der komplett überarbeiteten S3-Leitlinie der ­DEGAM* und anderer Fachgesellschaften. Erfasst werden sollen die allgemeinen Charakteristika der belastenden Müdigkeit mit Dauer und Schwere, vorangegangene Beschwerden wie Infektionserkrankungen oder Fieber, das Ausmaß der Beeinträchtigung im Alltag und ähnliches. Auch das Schlafverhalten ist zu eruieren. Kommt es beim Schlafen zu Atemaussetzern? Schnarcht der Patient? Nickt er womöglich tagsüber ungewollt ein?

Anhand von Screeningfragen kommt man einer Depression oder einer Angststörung auf die Spur. Der Arzt soll gezielt nach müdigkeitsauslösenden Arzneimitteln und Substanzen fragen, nach dem Verlauf des Körpergewichts und dem Tabak- und Alkoholkonsum. 

Familiäre und berufliche Situation abfragen

Ebenso soll er sich nach der familiären, sozialen und beruflichen Situation erkundigen. Hält die ungeklärte Müdigkeit bereits länger als drei Monate an, raten die Leitlinienautoren, die ME/CFS**-­Kriterien nach dem ­Institute of ­Medicine zu eruieren. Im Fall eines konkreten ME/CFS-­Verdachts ist der Befund nach einem halben Jahr zu reevaluieren. 

Wichtige Hinweise auf die Genese der Müdigkeit liefert häufig die körperliche Untersuchung. Diese sollte Schleimhäute, Atemwege, Herz, Puls und Blutdruck sowie Abdomen und Lymphknoten erfassen. Außerdem ist eine orientierende neurologische Examination angezeigt. Dazu zählt die Prüfung von Eigenreflexen, Muskeltonus, Parästhesien, Paresen und Muskelatrophien. Ferner sollten Gleichgewichtssinn, Koordinationsfähigkeit und mögliche Seh-, Hör-, Riech- und Schmeckstörungen erfasst werden.

Das Ausmaß der Labordiagnostik richtet sich nach den Ergebnissen von Anamnese und körperlicher Untersuchung. Wenn die Müdigkeit schon länger als vier Wochen anhält, ohne dass eine Ursache gefunden wurde, sollen folgende Laboruntersuchungen erfolgen:

  • TSH-Bestimmung
  • Blutglukosespiegel
  • Differenzialblutbild
  • Blutsenkung, alternativ ­CRP-Wert
  • Transaminasen oder ­Gamma-GT

Bei Frauen im gebärfähigen Alter kann eine Kontrolle des ­Ferritins sinnvoll sein, um einen Eisenmangel erkennen zu können. 

Die Überprüfung der Nierenfunktion anhand des Kreatininwerts und der eGFR ist nur bei Anhaltspunkten für eine Nieren­erkrankung, bei entsprechenden Risikofaktoren oder bei einer potenziell nephrotoxischen Medikation indiziert.

Weitere Laboruntersuchungen und apparative Tests sind nur bei auffälligen Vorbefunden oder Hinweisen aus der Basisdiagnostik angezeigt. Zu bedenken ist, dass weitergehende Untersuchungen ohne klare Indikation eine erhebliche Gefahr für falsch-positive Befunde bergen. 

Therapeutisch sollte bedacht werden, dass das Symptom Müdigkeit oft im Rahmen schon länger bestehender chronischer Erkrankungen auftritt. Hierzu zählen Herzinsuffizienz, Multiple Sklerose, Morbus Parkinson und rheumatoide Arthritis, aber auch Malignome, Niereninsuffizienz und Prostata­hyperplasie. Häufig wird Müdigkeit als Symptom allerdings nicht nur durch diese Erkrankungen ausgelöst. Mangelnde Kompensationsmöglichkeiten, Schmerzen, gestörter Schlaf und körperliche Inaktivität sind oft bedeutsamer, was in der Therapie zu berücksichtigen ist. 

Aktivierende Maßnahmen können oft helfen

Bei relevanter psychosozialer Belas­tung plädieren die Leitlinienautoren dafür, feste Folgetermine zu vereinbaren. Patienten mit Substanzabusus oder schädlichem Gebrauch insbesondere von Alkohol, Tabak oder Cannabis können von einer Kurz­intervention und ggf. einer Entwöhnungstherapie profitieren. Bei vielen zugrunde liegenden Störungen verbessern aktivierende Maßnahmen und Verhaltenstherapie Müdigkeit, Antrieb und Allgemeinbefinden.

Eine Ausnahme bilden Patienten mit nachgewiesenem ­ME/CFS oder entsprechender Verdachtsdiagnose. Bei ihnen ist eine körperliche Aktivierung auf Basis des Dekonditionierungskonzeptes laut Leitlinie nicht indiziert (s. Kasten). Ihnen soll aber zur Behandlung von Begleitsymptomen Verhaltenstherapie angeboten werden.

Sondervotum zu ME/CFS

Die vier Fachgesellschaften DKPM, DGPM, DGIM und DGPPN* geben in einem Sondervotum zum Doppelakronym ME/CFS zu bedenken, dass das Kürzel ME für myalgische Enzephalomyelitis (oder Enzephalopathie) eine organische Erkrankung von Gehirn und Rückenmark impliziert. Das könne bei den Betroffenen ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit zur Folge haben. Die Bezeichnung ME sollte daher nach Ansicht der Fachgesellschaften nicht unkritisch weiterverbreitet werden.

Nicht einverstanden ist man bei den vier Fachgesellschaften auch mit der Empfehlung, ME/CFS-­Patienten keine körperliche Aktivierung auf der Basis eines Dekonditionierungskonzeptes anzubieten. Vielmehr sollten gerade diesen Personen nach sorgfältiger Untersuchung eine gestufte Aktivierung sowie geeignete Psychotherapieverfahren nahegelegt werden. 

Die Autoren der DEGAM-Leitlinie stellen fest, dass sich in der internationalen Literatur der Begriff ­ME/CFS etabliert hat. Da ein inflammatorischer zentralnervöser Prozess nicht gesichert ist, werde alternativ die Bezeichnung myalgische Enzephalopathie verwendet.

*    Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin; Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie; Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin; Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde

*    Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V.
**    myalgische Enzephalomyelitis (oder Enzephalopathie)/chronisches Fatigue-Syndrom
Quelle: S3-Leitlinie „Müdigkeit“, AWMF-Register-Nr. 053-002, www.awmf.org