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Es gibt keinen erträglichen Verkehrslärm: Dauerkrach belastet immer Stoffwechsel und Herz-Kreislauf-System

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Nicht als störend empfunden, dennoch schädlich. Nicht als störend empfunden, dennoch schädlich. © Fotolia/Animaflora PicsStock
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Brauchen wir Grenzwerte für Verkehrsgeräusche? Forscher haben den Einfluss des allgegenwärtigen Lärms auf kardiovaskuläre Todesfälle und Diabeteserkrankungen untersucht. Die Ergebnisse stimmen nachdenklich.

Bisher war unklar, auf welche Weise der Krach des Straßen-, Schienen- oder Luftverkehrs zu Gesundheitsschäden führt. Diese Lücken schließt nun die SiRENE-Studie. Besondere Stärke der Arbeit ist die Modellierung der Lärmexposition für die komplette Schweizer Bevölkerung, schreibt das Autorenteam um Professor Dr. Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel.

In einer bevölkerungsbasierten Stichprobe wurde in der Studie die subjektiv empfundene Belastung durch die Verkehrsgeräusche erfasst. Analysen im Schlaflabor dienten dem experimentellen Nachweis der Lärmfolgen. Zwei weitere Studien, die SAPALDIA-Kohorte und die Schweizer Nationale Kohortenstudie SNC lieferten Daten zum Einfluss des Verkehrsgetöses auf Herz-Kreislauf-System und Stoffwechsel.

Mit zunehmendem Radau sinkt die körperliche Aktivität

Demnach reagiert offenbar der Glukosemetabolismus auf die Geräusche: Nach vier „Lärmnächten“ hatten junge Testpersonen eine schlechtere Glukosetoleranz und Insulinsensitivität als in der ruhigen ersten Nacht. Bei hohem Intermittenzverhältnis (s. Kasten) hielt der negative Effekt auch in der darauffolgenden Nacht an. Dazu passen die Ergebnisse der ­SAPALDIA-Studie, wonach Patienten, die viel Straßenlärm ausgesetzt sind, häufiger an Diabetes erkranken, unabhängig von der Luftbelastung. Ein weiterer ungünstiger Effekt auf den Stoffwechsel: Mit zunehmendem Krach nimmt die körperliche Aktivität ab.

 

Neues Maß für Dauerkrach

Auch der Geräuschcharakteristik trugen die Wissenschaftler Rechnung: Mit dem Intermittenzverhältnis (intermittency ratio, IR) entwickelten sie eigens ein neues Maß, mit dem sich zwischen kontinuierlichem Lärm (z.B. hat Autobahnrauschen ein niedriges IR) und ereignishafter Exposition (Zugdurchfahrt und Überflug haben ein hohes IR) unterscheiden lässt. Je nach IR fallen die Folgen für die Gesundheit sehr unterschiedlich aus.

Die SAPALDIA-Studie befasste sich auch mit dem Einfluss von Verkehrsgeräuschen auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Tatsächlich sorgte Bahnlärm am Wohnort für eine höhere arterielle Steifigkeit. Den stärksten Zusammenhang mit dem Geräuschpegel ermittelte die SNC-Studie für Sterbefälle infolge eines Herzinfarkts. Hypertoniebedingte Todesfälle, Herzinsuffizienz und ischämische Schlaganfälle waren am stärksten mit Straßenverkehrslärm assoziiert. Nächtlicher Radau scheint vor allem akute Herzerkrankungen zu befördern, Verkehrsgedröhn am Tag begünstigt eher die Entstehung einer Herzinsuffizienz.

Zuggedröhn sorgt für steifere Arterien

Unklar war bisher, ob bestimmte Lärmquellen „gesünder“ sind als andere. Oft werde angenommen, Bahnverkehr sei weniger belastend als Straßenkrach, so die Autoren. Das sei aber ein Irrtum, wie die SiRENE-Studie ergab. Auch bei lärmbedingten Schlafstörungen scheint es keinen Unterschied zwischen Schienen- und Straßenlärm zu geben. Allerdings hing der Zugverkehr weniger stark mit Herzinfarktsterblichkeit und Diabeteserkrankungen zusammen. Noch nicht abschließend klären konnte die SiRENE-Studie, ob die individuelle Empfindlichkeit das Erkrankungsrisiko erhöht. Die SAPALDIA­-Studie ergab keinen Hinweis, dass Lärm für Menschen, die sich durch ihn gestört fühlen, gefährlicher wäre. Oder anders formuliert: Krach schadet auch, wenn man ihn als nicht belästigend empfindet. Einen Schwellenwert, unterhalb dessen Lärm nicht mehr schädlich wäre, konnte auch SiRENE nicht nachweisen. Es gibt wohl also ein lineares Dosis-Wirkungs-Modell. Das bedeutet aber auch, dass aktuelle Grenzwerte keinen zuverlässigen Schutz bieten. Umgekehrt dürfte jede lärmverringernde Maßnahme auch die Gesundheit der Bevölkerung verbessern.

Quelle: Röösli M et al. Swiss Med Forum 2019; 19: 77-82