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Krebstherapie Geriatrische Assessments und entitätsspezifische Therapieempfehlungen

ESMO 2023 Autor: Lara Sommer

Von einer geriatrischen Evaluation könnten betagte Krebserkrankte profitieren. Von einer geriatrischen Evaluation könnten betagte Krebserkrankte profitieren. © masyastadnikova – stock.adobe.com
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Betagte Krebserkrankte können gemäß mehrerer Studien von geriatrischen Evaluationen profitieren. Angesichts der Evidenz aktualisierten Fachleute der ASCO kürzlich ihre Empfehlungen. Außerdem gab es auf dem Kongress einen Überblick zur Pharmakotherapie verschiedener Entitäten im hohen Alter.

Senior:innen stellen eine heterogene Gruppe dar, führte Prof. Dr. ­Laura ­Biganzoli, Krankenhaus von Prato, ein.1 Altersbedingte Risikofaktoren systematisch zu erheben, kann gemäß einer Metaanalyse u.a. die Therapieplanung beeinflussen, Behandlungsabbrüche verringern und sogar die Kommunikation zwischen Mediziner:innen und Erkrankten verbessern. „Wenn wir ein geriatrisches Assessment durchführen, können wir das Risiko reduzieren, dass unsere älteren Krebspatient:innen durch die Behandlungen schwere Toxizitäten erleiden“, hob die Referentin hervor. 

Metastasiertes NSCLC2

  • medianes Diagnosealter bei Lungenkrebs beträgt etwa 70 Jahre
  • Menschen ab 80 machen 14 % der Lungenkrebs-Patient:innen aus

Chemotherapie

  • Carboplatin-haltige Doublette für fitte Erkrankte (70–89 Jahre)
  • Cisplatin ist im Vergleich zu Carboplatin zu toxisch für Ältere!
  • Einzelsubstanz (z.B. Vinorelbin, Gemcitabin) bei Frailty
  • Bevacizumab oder Erhaltungstherapie nicht indiziert

zielgerichte Wirkstoffe

  • keine altersspezifischen Studien
  • Suche nach molekularen Alterationen unabhängig von ECOG und Komorbiditäten verpflichtend!
  • Verträglichkeit wichtiges Kriterium

Immuntherapien

  • eventuell kein Nutzen für Personen über 75, muss aber noch bestätigt werden
  • Ergebnisse der IFCT-1805-Studie (Carboplatin/Paclitaxel vs. Chemotherapie + Atezolizumab) stehen aus

An der ­Studie GAP70+ nahmen mehr als 700 Erkrankte ab 70 Jahren mit unheilbaren Tumoren (Stadium III/ IV) teil, die eine Chemotherapie (87,4 %) oder ähnlich toxische Behandlung begannen. Erhielten die Onkolog:innen zuerst die Ergebnisse eines geriatrischen Assessments inklusive Handlungsempfehlungen, traten Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher in den ersten drei Monaten signifikant seltener auf (51 % vs. 71 %; p = 0,0001). Der beobachtete Unterschied betraf vorrangig nicht-hämatologische Komplikationen (32 % vs. 52 %; p = 0,045).

Wissenschaftler:innen untersuchten in der GAIN-Studie, ob aus einer geriatrischen Begutachtung abgeleitete Interventionen einen zusätzlichen Nutzen bringen. Sie schlossen Patient:innen ab 65 Jahren mit soliden Tumoren ein, die eine neue Chemotherapie starteten. „Bei der allgemeinen Toxizitätsrate gab es einen Vorteil von 10 Prozentpunkten, und dieser Effekt wurde für hämatologische und nicht-hämatologische Nebenwirkungen beobachtet“, fasste die Expertin zusammen.

Fortgeschrittenes Mammakarzinom3

  • In Kohorte von Patient:innen ab 70 Jahren mit ER+ Tumoren: zwei Drittel vulnerabel gemäß G8-Score

Behandlung

  • Mangel an altersspezifischer Evidenz 
  • in der Praxis oft Dosisanpassung 
  • betrifft auch endokrine Therapien, die als verträglicher gelten
  • Chemotherapie: Reduzierte Konzentrationen von Anthrazyklinen gut etabliert; übliche Dosen von Zytostatika verursachen tlw. doppelt so häufig Nebenwirkungen
  • Immuntherapien: scheinen zu wirken, aber mehr/andere UAW
  • HER2+: Trastuzumab, Pertuzumab und metronomische Chemotherapie effizient mit akzeptabler Toxizität; T-DM1 wirksam bei Progress

besonders zu bedenken

  • „time toxicity“ der Behandlung; eventuell andere Prioritäten hinsichtlich Therapiezielen

Geriatrisches Assessment 

Die aktualisierten ASCO-Empfehlungen beinhalten, bei Krebspatient:innen ab 65 Jahren die Ergebnisse eines geriatrischen Assessments zu berücksichtigen. Dieses sollte folgende Teilbereiche umfassen: 

  • Physische Funktionen 
  • Kognitive Fähigkeiten
  • Emotionales Wohlergehen
  • Komorbiditäten
  • Polypharmazie
  • Ernährungszustand
  • Unterstützung im sozialen Umfeld

„ASCO weitete die Empfehlung auf ältere Personen aus, die zielgerichtete Behandlungen oder Immuntherapien erhalten“, merkte Prof. ­Biganzoli an.

Fortgeschrittenes CRC4

  • medianes Diagnosealter liegt bei etwa 70 Jahren
  • ältere Patient:innen haben häufiger rechtsseitige Tumoren, BRAF-Mutationen sowie eine hohe MSI
  • fitte Senior:innen kann man ähnlich wie Jüngere behandeln
  • ESMO-Empfehlungen für unfitte Erkrankte: Fluoropyrimidin + Bevacizumab; Anti-EGFR-Behandlung mit oder ohne Chemotherapie (wenn RAS und BRAF WT)
  • geriatrische Interventionen können Toxizitäten mindern

Im klinischen Alltag lasse sich ein vollständiges geriatrisches Assessment oft schwer umsetzen. Es fehlen Zeit, Ressourcen oder notwendige Kenntnisse. „ASCO erkannte dies an und schlug ein Instrument vor, das Practical Geriatric Assessment“, fuhr die Expertin fort. Im Bereich der körperlichen Fitness berücksichtigt dieses beispielsweise Stürze in den vergangenen sechs Monaten, die Fähigkeit, eine Treppe zu bewältigen und die Gehgeschwindigkeit über vier Meter. 

Aus Sicht von Prof. ­Biganzoli ist es nicht nur höchste Zeit für geriatrische Evaluationen, sondern auch für ein daran orientiertes Handeln. „Es ist angemessen, das geriatrische Assessment an die vorhandenen Ressourcen und das Gegenüber anzupassen“, erinnerte sie hinsichtlich der praktischen Etablierung. Man könne beispielsweise mit Kandidat:innen für eine Chemotherapie beginnen, da in dieser Situation die beste Evidenz existiert.

Quellen:
1.    Biganzoli L. ESMO Congress 2023; Vortrag „Geriatric assessment: Is it primetime now?“ 
2.    Quoix E. ESMO Congress 2023; Vortrag „Optimizing oncologic care in older patients with advanced lung cancer“
3.    Brain E. ESMO Congress 2023; Vortrag „Optimizing oncologic care in older patients with advanced breast cancer“
4.    Papamichael D. ESMO Congress 2023; Vortrag „Optimizing oncologic care in older patients with advanced colorectal cancer“