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Dermatitis artefacta und Skin-Picking-Syndrome Hausgemachter Hautschaden

Autor: Dr. Anja Braunwarth  

Beim Skin-Picking-Syndrom nehmen die Patienten oft Pinzetten oder Nadeln zu Hilfe, um z.B. in der Haut herumzubohren. Beim Skin-Picking-Syndrom nehmen die Patienten oft Pinzetten oder Nadeln zu Hilfe, um z.B. in der Haut herumzubohren. © Science Photo Library/RICHARD USATINE MD
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Bestens gelaunt präsentiert eine Patientin tiefe Wunden oder nicht erklärbare Ulcera. Diese befremdliche Situation sollte die Alarmglocken schrillen und an selbstschädigendes Verhalten denken lassen. Ansonsten werden Ihre Behandlungsversuche ins Leere laufen.

Wie PD Dr. Cornelia Erfurt-Berge von der Hautklinik am Uniklinikum Erlangen berichtete, hatte sich eine 35-jährige Patientin über Jahre immer wieder mit Ulcera vorgestellt. Es fiel auf, dass sie sich dabei jedes Mal unpassend fröhlich zeigte. Klinisch boten die Läsionen am ehesten das Bild eines Pyoderma gangraenosum und wurden entsprechend behandelt. Doch die Ulcera erwiesen sich auch nach Therapieversuchen mit verschiedenen Biologika als ausgesprochen hartnäckig. Schließlich brachte ein bakterieller Abstrich des Rätsels Lösung: Darin fanden sich Keime aus Blumengießwasser, ein Hinweis darauf, dass die Patientin sich die Wunden selbst zugefügt hatte.  

Eine 36-jährige Frau, ebenfalls Patientin der Erlanger Uniklinik, ging noch weiter: Sie manipulierte an einem Ulkus ihres Vorfußes so lange herum, bis sich eine Gangrän entwickelte und der Vorfuß amputiert werden musste.

Psychosomatisch assoziierte Beschwerden als Hinweis

Als klassische Merkmale einer solchen Dermatitis artefacta nannte die Dermatologin: 

  • Wunden und Verletzungen werden (vermutlich) bewusst zugefügt
  • das selbstverletzende Verhalten findet im Verborgenen statt
  • die eigene Beteiligung wird strikt verneint
  • die Betroffenen nennen andere Ursachen, z.B. Traumata
  • Ziel ist es (oft unterbewusst), Aufmerksamkeit zu generieren, aber der Verantwortung zu entgehen bzw. sie abzugeben 

Zu den Verdachtsmomenten auf eine Dermatitis artefacta gehören – neben dem oft inadäquaten Affekt – psychosomatisch assoziierte Beschwerden wie Myalgien, Kopfschmerzen, Fatigue oder psychiatrische Nebendia­gnosen. Auf Nachfrage lässt sich oft eine psychische Belastungssituation in der Anamnese ermitteln. Die zugefügten Läsionen sind nicht selten bizarr konfiguriert, z.B. polymorph, zirkulär, linear oder gewinkelt, und liegen an gut erreichbaren Körperstellen, vor allem auf der Seite der nicht-dominanten Hand. An der restlichen Haut gibt es keine entzündlichen Veränderungen. 

Daten aus Erlangen

Dr. Erfurt-Berge stellte eine retrospektive Auswertung von 126 Patienten aus der eigenen Klinik vor, die sich zwischen 2011 und 2022 mit der ICD-10-Diagnose einer organischen Halluzinose, Borderline-Störung oder Dermatitis artefacta vorgestellt hatten. Ziel war es, diese Kollektive sowie die Befunde besser zu verstehen, um die Versorgung zu optimieren.

72 % der Kranken waren Frauen, 74 % vorbehandelt. Die Hautläsionen an gut erreichbaren Körperstellen bestanden im Mittel seit 17 Monaten, bei 34 % fanden sich nicht abheilende Wunden. Die Therapie erfolgte mit Basispflege, antiseptisch und antibiotisch, eine psychiatrische Mitbetreuung hatten die wenigsten Patienten erhalten.

Der Weg zur Diagnose gestaltet sich oft schwierig. Zunächst gilt es, eine gute Beziehung zu den Betroffenen aufzubauen und sie nicht direkt mit dem Verdacht zu konfrontieren. Man sollte versuchen, die Motivation für das Verhalten herauszufinden, am besten mithilfe psychologischer oder psychiatrischer Kollegen. Leider werden die Patienten nach der Entlassung mangels ambulanter Betreuer nicht entsprechend weiterversorgt, bedauerte Dr. Erfurt-Berge. 

Von der Dermatitis artefacta abzugrenzen ist das Skin-Picking-Syndrom, das zum Spektrum der Zwangsstörungen zählt. Die Patienten kratzen, reiben oder manipulieren auf andere Weise wiederholt ihre Haut, oft mit Instrumenten wie Pinzetten, Nadeln etc. Als Auslöser kommen beispielsweise Stress, Langeweile oder Angst infrage. Auf Nachfrage wird das Verhalten nicht abgestritten, die Betroffenen schämen sich aber meist zu sehr, um sich Hilfe zu holen. 

Auch Patienten mit einem Münchhausen- oder Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom verletzen sich selbst oder andere Menschen in ihrem Umfeld, für die sie verantwortlich sind – oft trifft es die Kinder. Sie erfinden Krankengeschichten, teils ganze Bio­grafien und wechseln häufig und schnell die Ärzte. Im Gespräch sind sie dann oft fordernd oder sogar unverschämt und werden aggressiv, wenn man ihren Wünschen nicht nachkommt. Das Motiv dahinter ist der Wunsch nach Zuwendung

Selbstverletzungen von Patienten mit einer Borderline-Störung sind oft auffallend gleichförmig oder parallel und oberflächlich. Meist handelt es sich um Schnittverletzungen, seltener um Brandwunden, Blutergüsse, Bissverletzungen oder Läsionen nach Kopfstößen. Die Betroffenen erkennen eine psychische Belastung als Ursache an. 

Schließlich gibt es noch wahnhafte Störungen, die zu mutwilligen Verletzungen führen können. Dazu gehört der Dermatozoenwahn, bei dem die Betroffenen versuchen, die vermeintlich auf oder in der Haut sitzenden Lebewesen durch gründliche Reinigungsmaßnahmen oder Kratzen loszuwerden.

Simulieren die Patienten, um sich Vorteile zu verschaffen?

Hinter selbst zugefügten Wunden kann aber auch eine einfache Simulation stecken. Kennzeichen sind das bewusste und versteckte Erzeugen oder Verschlimmern von Wunden, z.B. mit dem Ziel, ein Rentenbegehren durchzusetzen oder finanzielle Vorteile zu erreichen. Oft hilft schon gezieltes Nachfragen (berufliche Situation?), ein solches Verhalten aufzudecken.

Quelle: Kongressbericht 6. Nürnberger Wundkongress