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HbA1c gegen TiR: Welcher Wert setzt sich in der Diabetologie durch?

Autor: Manuela Arand

Time in Range: hip oder Hype? Time in Range: hip oder Hype? © iStock/jarun011; bigpa, Tyler Olson – stock.adobe.com
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Die Time in Range (TiR) spaltet die Diabetologie: Denen, die den neuen Parameter in der Patientenführung schätzen und ihn über kurz oder lang als Wachablösung des HbA1c sehen, stehen jene gegenüber, die methodische Herausforderungen der Messung und der Softwareauswertung kritisieren.

Die beiden Positionen zu HbA1c und Time in Range (TiR) diskutieren nachfolgend Dr. Guido Freckmann, Institut für Dia­betes-Technologie an der Universität Ulm, und Professor Dr. Thomas Danne, Krankenhaus auf der Bult, Hannover.

„Die TiR wird das HbA1c auf absehbare Zeit nicht ersetzen können“

Aus den Parametern, die CGM liefert, können wir ohne Zweifel viele Zusatzinfos gewinnen für unsere Patienten. Aber die TiR wird das HbA1c auf absehbare Zeit nicht ersetzen können, vielleicht irgendwann in Zukunft. Diesen Wert erhalten wir ja ohnehin nur bei Patienten, die CGM tatsächlich nutzen. Der HbA1c-Wert erfüllt viele Aufgaben in der täglichen Praxis, nicht zuletzt als dia­gnostisches Kriterium für den Typ-2-Diabetes. Er hat sich in großen Studien als Marker bestätigt, der zuverlässige Rückschlüsse auf die Stoffwechseleinstellung und das Risiko für Folgeerkrankungen zulässt. Als Surrogatparameter für mikrovaskuläre Endpunkte ist er spätestens seit der DCCT-Studie auf breiter Basis anerkannt. Solche Daten muss die CGM erst noch liefern. Wir wissen schlicht nicht, wie gut TiR, postprandiale Blutzuckerwerte oder Glukosetagesprofile mit dem Outcome korrelieren. Messresultate lassen sich nicht überprüfen Qualitätskontrolle und Vergleichbarkeit von Daten sind wichtig. Beim HbA1c hat sich in den letzten 20 Jahren viel getan in Sachen Standardisierung, da gibt es eine gute Vergleichbarkeit der Messwerte. Bei der CGM ist das anders. Da bestehen Unterschiede zwischen den Messsystemen, der Software und den Algorithmen. Es gibt kein Kon­trollmaterial, anhand dessen sich die Messresultate überprüfen lassen. Erste Publikationen zeigen, dass die Ergebnisse eines Patienten mit verschiedenen Geräten unterschiedlich ausfallen. Dabei variiert die Time in Range gar nicht so stark, aber die Time Below Range, die Aufschluss gibt über das Hypoglykämierisiko. Den Arzt, der seine Patienten anhand der Daten aus solchen Systemen behandeln will, stellt das vor Schwierigkeiten. Wir haben uns die Softwares mal angeschaut: Sie sind unterschiedlich in der Funktionalität, haben nicht unbedingt die gleichen Parameter. Um halbwegs verlässliche Daten zu liefern, sind die Systeme auch auf halbwegs verlässliche Patienten angewiesen. Wenn es heißt: Wir brauchen soundso viele Messwerte über 14 Tage, stellt sich auch die Frage, hat der Patient wirklich die ganze Zeit Daten geliefert? Welchen Zeitbereich schließt die Software für die Auswertung ein? Da fehlt es noch an Standardisierung. Eingesetztes System entscheidet über Therapie Als Arzt muss man die Besonderheiten jedes Systems kennen und damit arbeiten, um damit umgehen zu können. Wenn mir ein System ausgibt, dass der Patient in einer Woche eine Stunde Below Range ist, mit dem anderen aber fast zwei Stunden, wie wir das in einer aktuellen Untersuchung festgestellt haben, führt das zu unterschiedlichen Therapieentscheidungen. Zugespitzt formuliert hängt es nicht von der Qualität der Stoffwechseleinstellung, sondern davon ab, welches System gerade im Einsatz ist, wie der Patient behandelt wird. Das ist derzeit die Crux.

„Den Wert der TiR für das Patientenwohl sehen wir tagtäglich.“

Die DDG hat im Mai eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie die TiR als Ergänzung zum HbA1c wertet, v.a. aber auf die methodischen Probleme abhebt. Ich habe mich darüber geärgert, weil die Argumentation den Punkt verpasst, dass wir mit der CGM in der Patientenbetreuung einen Riesenschritt nach vorne gemacht haben. Ich verstehe Kollegen, die methodisch argumentieren und sagen: Da kommt etwas anderes raus, je nachdem welches System ich verwende. Das ist sicherlich richtig. Da aber die Patienten in der Regel das gleiche CGM-Gerät und somit die gleiche Software verwenden, spielen die Unterschiede der Auswertungssoftwares für die individuelle Beratung keine Rolle. Den Wert dieses Parameters für das Patientenwohl sehen wir täglich in unserer Arbeit. Zeit im Zielbereich und Zeit unterm Zielbereich – das ist etwas, das die Patienten nachvollziehen können und woraus wir direkte Konsequenzen für die Therapie ziehen können. Patienten verstehen, wenn ich sage: „Ihre Time in Range ist besser geworden, wir sind auf dem richtigen Weg“, oder auch: „Es ist schön, dass Sie jetzt 10 % mehr Time in Range haben, aber wir haben andererseits 5 % mehr Unterzuckerung, wir müssen etwas ändern.“ Spricht man mit Zulassungsbehörden oder Krankenkassen, kommt schnell das Argument, da fehlten noch randomisierte Endpunktstudien. Aber das wird nicht funktionieren. Die Geräte entwickeln sich so schnell, dass die Testgeräte gar nicht mehr up to date sind, wenn die Studien abgeschlossen sind. Die DCCT-Studie, die den HbA1c-Wert als Maß für Folgeerkrankungen etabliert hat, hat neun Jahre gedauert! Ein Biofeedback im besten Sinne Zurzeit sind vor allem Patienten mit Typ-1-Diabetes mit CGM-Geräten versorgt, aber ich bin überzeugt, dass diese Entwicklung beim Typ-2-Diabetes relativ zügig nachvollzogen wird. Denn die Vorteile liegen auf der Hand. Nehmen Sie einen Patienten mit Prädia­betes: Wenn er abends sieht, meine Zuckerwerte steigen an, und dann noch mal eine Runde mit dem Hund dreht und sieht, wie der Wert runter geht, weil er sich bewegt, ist das Biofeedback im besten Sinne. Wenn wir davon ausgehen, dass Verhaltensmodifikation der erste Schritt in der Behandlung des Typ-2-Diabetes ist, gibt so ein Gerät ein perfektes Feedback. Bei den Patienten ist die Akzeptanz der CGM-Systeme hoch. Die Entwicklung geht ja auch ständig weiter, wir haben inzwischen schon Systeme, die wenig Aufwand erfordern, nicht mehr kalibriert werden müssen, einfach abzulesen sind. Ich bin überzeugt, dass die Geräte immer kleiner und einfacher zu bedienen sind und auch die automatische Befundinterpretation rasch fortschreiten wird. Natürlich muss man mit dem Patienten kommunizieren, was erwartet wird, wenn er ein solches System verwendet. Dass es Mühe macht, die Werte zu interpretieren, dass eine Schulung notwendig ist. Aber Autofahren können Sie auch erst, wenn Sie Fahrstunden genommen haben. Bedeutung des HbA1c wird abnehmen Dass die TiR den HbA1c-Wert ergänzt und nicht ersetzt, ist in gewisser Hinsicht Konsens. Aber die Bedeutung des HbA1c wird mit der Zeit immer mehr abnehmen. Ihn zu ersetzen, wird nur möglich sein, wenn wir nachweisen können, dass die TiR für die Vorhersage von Folgeerkrankungen ebenso gut oder besser ist. Aber in der täglichen Patientenberatung hilft mir der HbA1c-Wert nicht wirklich weiter, weil er viel zu abstrakt und für den Patienten nicht intuitiv erfassbar ist.