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Hype oder Unverträglichkeit? „Ich vertrag’ kein Histamin“

Autor: Maria Weiß

Aufgrund der Lokalisation in zahlreichen Organsystemen kann eine zu große Menge Histamin zahlreiche Beschwerden hervorrufen. Aufgrund der Lokalisation in zahlreichen Organsystemen kann eine zu große Menge Histamin zahlreiche Beschwerden hervorrufen. © iStock/Leesle
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Einige Menschen machen eine Unverträglichkeit von oral aufgenommenem Histamin für all ihre gesundheitlichen Probleme verantwortlich. Durch eine strenge Diät schränken sie sich möglicherweise unnötig ein. Eine aktualisierte Leitlinie gibt Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie des umstrittenen Krankheitsbildes.

Histamin ist ein biogenes Amin, das in viele physiologische Prozesse eingebunden ist. Vier verschiedene Rezeptoren vermitteln vor allem lokale Effekte: Über den H1-Rezeptor bewirkt Histamin eine Vasodilatation, Bronchokonstriktion und Juckreiz, über den H2-Rezeptor wird die Magensäureproduktion reguliert, H3-Rezeptoren regulieren den Schlaf-Wach-Rhythmus und H4-Rezeptoren beeinflussen das Immunsystem. Endogenes Histamin wird vor allem in Mastzellen und Basophilen produziert und gespeichert und ist einer der Hauptmediatoren von IgE. Der Abbau erfolgt durch die vorwiegend intrazelluläre Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) und die in Darm und Nieren produzierte Diaminoxidase (DAO).

Aufgrund der Lokalisation in zahlreichen Organsystemen kann eine zu große Menge Histamin zahlreiche Beschwerden hervorrufen. Dazu gehören die klassischen Symptome wie Flush, Juckreiz und Erythem – aber auch gastrointestinale Zeichen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen, respiratorische Beschwerden und in seltenen Fällen auch Blutdruckabfall, Schwindel und Tachykardie. Bei all diesen Symptomen ist eine Vielzahl möglicher Differenzialdiagnosen zu beachten (s. Kasten), heißt es in einer Leitlinie, die unter der Federführung der Ernährungsexpertin Imke Reese aus München entstand.

Was kann ansonsten dahinterstecken?
Symptome
Differenzialdiagnosen
Flushneuroendokrine Tumoren, Mastozytose
JuckreizUrtikaria, Pruritus sine materia, Prurigo
Rhinitisallergische und nicht-allergische Rhinitis
Dyspnoe, Stimmstörungenallergisches und nicht-allergisches Asthma
Übelkeit/ErbrechenMagen- oder Duodenalulzera
Diarrhö und Abdominalschmerzenchronisch-entzündliche Darm­erkrankungen, Laktose- oder Fruktoseintoleranz, Zöliakie, Mastozytose
Blutdruckabfall, Schwindel, TachykardieAnaphylaxie, Mastozytose

Viele Laboranalysen haben keinen diagnostischen Wert

Seit Langem wird diskutiert, ob manche Menschen auch schon auf kleinere Mengen Histamin in der Nahrung mit Beschwerden reagieren. Erklären ließe sich das u.a. mit einer verminderten Produktion des Abbauenzyms DAO. Ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen der Hist­aminaufnahme über die Nahrung und einem gestörten Histaminabbau durch einen DAO-Mangel konnte aber nie belegt werden. Eine Bestimmung der DAO-Aktivität im Serum hat keinen diagnostischen Wert und auch die Effektivität einer Substitution ist nicht belegt und wird daher auch ausdrücklich nicht empfohlen. Auch der diagnostische Wert einer Histaminbestimmung im Stuhl muss angezweifelt werden, da Hist­amin auch durch den Metabolismus der Darmbakterien anfällt. Der Nachweis von Histamin im Serum oder des Abbauproduktes Methylhistamin im Urin ist umstritten und trägt nicht wesentlich zur Diagnose bei. Unter dem Strich gibt es somit keinen objektiven messbaren Parameter, der die Diagnose einer Hist­aminunverträglichkeit unterstützen könnte. Ein wichtiges Ziel der Diagnose und Therapie ist die Vermeidung strikter Diäten. Denn diese können Mangelernährung und eine eingeschränkte Lebensqualität zur Folge haben.

Auslösersuche erfolgt in drei Phasen

Wie soll man dabei aber praktisch vorgehen? Nach Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen sollten die Patienten über sechs bis acht Wochen ein Tagebuch führen, in dem die verzehrten Nahrungsmittel und Symptome aufgeführt sind. Während dieser Zeit wird eine dreiphasige Diät empfohlen.
  • 1. Phase (10–14 Tage): gemüsebasierte Mischkost mit weitgehender Vermeidung biogener Amine (insbesondere Histamin). Unter dieser Diät sollten die Beschwerden eigentlich zurückgehen.
  • 2. Phase (bis zu 6 Wochen): zielgerichtete Wiedereinführung verdächtigter Nahrungsmittel, um die individuelle Histamintoleranz unter verschiedenen Bedingungen zu ermitteln.
  • 3. Phase: Etablierung individueller Ernährungsempfehlungen, die dann dauerhaft befolgt werden sollten.
Führt dieses Vorgehen zu keinerlei Besserung, müssen noch einmal andere Ursachen für die Symptome in Betracht gezogen und abgeklärt werden. Eine orale Histaminprovokation zum Nachweis der Unverträglichkeit ist auch möglich, birgt aber viele Tücken. Wenn man sich dafür entscheidet, empfiehlt sich eine langsame Dosistitration bis zum Auftreten von Symptomen (0,5 mg/kgKG, nach zwei Stunden 0,75 mg/kgKG und nach weiteren zwei Stunden 1,0 mg/kgKG). Die Provokation sollte nur unter medizinischer Aufsicht erfolgen und man muss im Hinterkopf behalten, dass es zahlreiche externe Einflussfaktoren gibt (z.B. ASS-Einnahme, Alkoholkonsum, Hormonstatus, individuelles Darmmikrobiom etc.). Die Dosis, die zu Symptomen geführt hat, sollte dann noch einmal gegen Placebo getestet werden. Nur so lässt sich ausschließen, dass nur der Zufall am Werk war.

Antihistaminika je nach Symptomatik verordnen

Eine andere Möglichkeit wäre es, den Patienten für eine gewisse Zeit Antihistaminika zu verordnen und zu schauen, ob sich die Beschwerden darunter bessern. Auch zur symptomatischen Therapie nach Aufnahme größerer Histaminmengen können Antihistaminika eingesetzt werden. Die Wahl der Substanzen hängt von der vorherrschenden Symptomatik ab. H1-Blocker sind z.B. bei Flush geeignet, H2-Blocker bei Übelkeit und Erbrechen.

Quelle: Reese I et al. Allergologie select 2021; 5: 305-314; DOI: 10.5414/ALX02269E