Neue Pandemie mit alten Zoonosen? In Vogelgrippe- und Coronaviren steckt viel Potenzial

Autor: Friederike Klein

Eine neue Variante des aviären Influenzavirus H5N1 wirft die Frage auf: Wie wahrscheinlich ist eine Massenerkrankung? Eine neue Variante des aviären Influenzavirus H5N1 wirft die Frage auf: Wie wahrscheinlich ist eine Massenerkrankung? © fizkes – stock.adobe.com

Zirkulierende virale Lungeninfektionen werden seit der COVID-19-Zeit noch argwöhnischer als bisher verfolgt. Ob beispielsweise H5N1 oder neue Coronaviren das Zeug zu einer Massenerkrankung haben, ist schwer vorherzusagen.

Das aviäre Influenzavirus H5N1, der Erreger der Vogelgrippe, ist schon lange bekannt, kommt aber inzwischen in neuem Gewand daher, berichtete Dr. Victor Corman, Virologe von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die erste Beschreibung einer Infektion beim Menschen stammt aus den 1990er Jahren. Aktuell kursiert besonders häufig das Cluster 2.3.4.4b, das mehrere neuen Mutationen aufweist. Im April 2025 waren Wildvögel und Nutzgeflügel überall in Europa betroffen, sagte Dr. Corman. Auch Säugetiere werden häufiger als früher infiziert – zuletzt beispielsweise Milchkühe in den USA.

Eine entscheidende Rolle bei der Infektion des Wirts spielen α-2,3-gebundene Sialinsäuren als Rezeptoren, erläuterte Dr. Corman. Diese Sialinsäuren kommen bei Vögeln im Verdauungstrakt vor, bei Menschen insbesondere in den tiefen Bereichen der Lunge, weshalb Betroffene entsprechend Infekte der unteren Atemwege entwickeln. In den oberen Atemwegen des Menschen findet sich nur die α-2,6-gebundene Sialinsäure. Deshalb ist der Mensch insgesamt nicht so empfänglich für H5N1. Die Übertragung auf Milchkühe erfolgt beim Melken – im Euter ist α-2,3-gebundene Sialinsäure häufig. Beim Menschen gibt es diese Rezeptoren auch an den Konjunktiven. In einer Fallserie von 45 Personen, die in der Viehzucht arbeiteten (hälftig in Geflügel- und Rinderzucht) und eine H5N1-Infektion erlitten, wiesen 93 % eine Konjunktivitis auf, 36 % eine Lungenbeteiligung.1 Keine Person starb, schwere Verläufe traten nicht auf. Frühere Fälle von schwerer H5N1-Pneumonie brachten es dagegen auf eine Letalität von 50 %, erläuterte Dr. Corman. Für die Diagnose sollte man das Virus dort suchen, wo die Symptome sind, empfahl er. Bei einer Konjunktivitis ist demnach ein Augenabstrich angezeigt, bei einer Pneumonie eine bronchoalveoläre Lavage und ein Abstrich.

Ob von H5N1 eine neue Pandemie ausgehen könnte, lässt sich schwer sagen. Die Exposition ist derzeit so groß wie nie zuvor, und es besteht die Gefahr der Rekombination mit saisonalen Influenzaviren. „Aber wir haben eine Impfung für den Notfall in der Tasche und auch Therapien, die zumindest mäßig effektiv sind“, sagte Dr. Corman.

Auch Coronaviren könnten uns weiter beschäftigen, ist er überzeugt. Die bisherigen hochpathogenen Formen (SARS-CoV-1 und -2, MERS) wurden aus einem tierischen Reservoir (vermutlich Fledermäuse) über Säugetiere auf den Menschen übertragen. Wie wahrscheinlich eine Weitergabe neuer, veränderter Coronaviren vom Tier an den Menschen ist, weiß man nicht. Der Prozess könnte von verschiedenen Tierarten ausgehen. Für SARS-CoV-2 waren Carnivoren besonders empfänglich. Als Beispiel nannte Dr. Corman Nerze. Überall dort, wo es entsprechende Zuchtbetriebe gab, kam es zu COVID-19-Ausbrüchen. Aus China, dem Hauptroduzenten der Pelztiere, fehlen leider Angaben, die eine genauere Analyse der Übertragungswege ermöglichen könnten. Hunde waren für SARS-CoV-2 wenig empfänglich, wohl aber Katzen. Bekannt sind Übertragungen von Mensch auf Katze und von Katze auf Katze. In den USA waren Bestände der Weißwedelhirsche stark durchseucht, die Tiere zeigten zudem eine Diversifizierung der SARS-CoV-2-Viren. Sollte die nächste Pandemie wieder eine Coronavirus-Pandemie sein, gilt laut Dr. Corman: Es gibt ein Vakzin und es existieren wirksame Therapien. Zudem haben die meisten Menschen dank Impfungen und Erkrankungen eine gewisse Immunität gegen Coronaviren entwickelt.

Quelle:
Garg S et al. N Engl J Med 2025; 392: 843-854; doi: 10.1056/NEJMoa2414610