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Tuberkulose Klinische Standards für die Prävention

Autor: Manuela Arand

Nicht jeder, der sich mit Mycobacterium tuberculosis infiziert hat, erkrankt. Wann präventiv behandelt wird, richtet sich nach dem individuellen Risiko für eine manifeste Tuberkulose. Nicht jeder, der sich mit Mycobacterium tuberculosis infiziert hat, erkrankt. Wann präventiv behandelt wird, richtet sich nach dem individuellen Risiko für eine manifeste Tuberkulose. © wikimedia/CDC/Elizabeth „Libby“ White (PHIL #8433)
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Tuberkulose ist ein globales Problem, das globale Strategien erfordert. Experten haben daher erstmals Standards formuliert, die weltweit gelten sollen.

Seit drei Wochen klagte eine 30-Jährige über Husten und Auswurf. Das Röntgenbild zeigte bilaterale Kavernen, im Sputum fanden sich massenhaft säurefeste Stäbchen, die PCR bestätigte die Tuberkulose. Eine MDR-Tuberkulose (Multidrug-resistant tuberculosis) lag bei der aus Osteuropa stammenden Patientin nicht vor. Ihr Ehemann wurde wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung mit einem TNF-Inhibitor behandelt, war aber genauso wie die ein und acht Jahre alten Kinder und die 75-jährige Großmutter symptomfrei. Wie ist in einem solchen Fall vorzugehen? Bis zum Beweis des Gegenteils muss davon ausgegangen werden, dass sich die Familienmitglieder angesteckt haben, erklärte Prof. Dr. Marc Lipman, Royal Free & University College London. Je nach Immunstatus beträgt das Risiko eines Infizierten, eine manifeste Tbc zu entwickeln, bis zu 20 %, was eine präventive Behandlung ins Spiel bringt. Sie sollte bei all jenen erfolgen, die ein hohes Risiko dafür haben, dass ihr Immunsystem die Mykobakterien nicht ausschalten kann und die Krankheit ausbricht, betonte der Kollege.

Tatsächlich wird diese Strategie aber nur unzureichend umgesetzt, wie der WHO-Report von 2021 aufzeigt. Die von den VN 2018 gesetzten Präventionsziele wurden lediglich bei HIV-Patienten mit Tbc-Koinfektion erreicht: Statt der angestrebten sechs Millionen wurden sogar 7,2 Millionen präventiv behandelt. Sowohl in der Gesamtgruppe der Infizierten als auch bei den Haushaltskontakten im Alter unter fünf Jahren betrug die Quote weniger als 30 %. Von den Haushaltskontakten über fünf Jahre erhielten lediglich 1,6 % eine Tbc-präventive Behandlung.

„Wir brauchen Versorgungsstandards, um die Präventionsziele zu er­reichen“, forderte Prof. Lipman. Standards legen fest, wie die Dia­gnostik und die Behandlung bei einem be­stimmten Typ Patient, ei­ner definierten Krankheit oder klinischen Situation erfolgen sollten. Sie for­mu­lieren universelle Prinzipien, die an das jeweilige Gesundheitssystem anzupassen sind, sowie überprüfbare Zielgrößen. Sie gelten nicht nur für hochspezialisierte Zentren, sondern für alle Ärzte, die mit Tuberkulose zu tun haben. Prof. Lipman: „Wir reden von Mindestversorgung, die allen Patienten weltweit zukommen soll.“

Eine internationale Expertengruppe hat 2022 im Delphi-Verfahren acht klinische Standards im Hinblick auf die Tbc-Prävention erarbeitet.

  1. Alle Angehörigen von Hochrisikogruppen sollen auf latente Tbc getestet werden. 
  2. Alle, für die eine präventive Therapie infrage kommt (bei Kindern inklusive der Angehörigen),  sollen Beratung und Gesundheitsschulung erhalten.
  3. Timing und Testauswahl sollen optimiert werden.
  4. Vor Beginn einer präventiven Behandlung muss eine manifeste Tbc ausgeschlossen sein.
  5. Alle Kandidaten für eine präventive Therapie sollen einer medizinischen Basisuntersuchung unterzogen werden.
  6. Die präventive Therapie soll mit einem der folgenden empfohlenen Regimes erfolgen: 
    - täglich INH/RIF (Isoniazid/Rifapentin) für drei ­Monate
    - täglich RIF mono für vier Monate
    - täglich INH mono für sechs Monate
    - täglich INH plus 1x/Woche Rifapentin für zwölf Wochen
    - täglich RIF/INH für einen Monat (Regime bei Nachweis von sensiblen M.-tuberculosis-Stämmen)
  7. Alle, die eine präventive Therapie begonnen haben, sollen mindestens so lange nachverfolgt werden, bis die Behandlung abgeschlossen ist.
  8. Ein Tuberkulosescreening und -Register sollen etabliert werden, um Versorger besser informieren zu können.

Der eingangs beschriebene Fall zeigt, dass Standards zwar individuelle Entscheidungen leiten, aber nicht ersetzen können, so Prof. Lipman. Die Patientin hatte eine offene Tbc. Damit war klar, dass die Familie sich angesteckt haben könnte und getestet werden sollte.

Man kann jedoch darüber debattieren, ob das auch für die Großmutter gilt, so Prof. Lipman. „Wenn Sie testen, müssen Sie bereit sein, präventive Therapie anzubieten.“ Bei der 75-Jährigen würde der Kollege die Indikation aufgrund der hepatischen Nebenwirkungen der eingesetzten Medikamente zumindest kritisch überdenken.

Quelle: Migliori GB et al. Int J Tuberc Lung Dis 2022; 26: 190-205; doi: 10.5588/ijtld.21.0753