
Forschungsansätze bei Typ-1-Diabetes „Krankheitsverändernde Therapien, keine Heilung“

Über all Ihren Forschungsansätzen steht der biologische Betazellersatz beim Typ-1-Diabetes. Welche internationalen Ansätze gibt es hierzu und was tut sich in Deutschland?
Prof. Dr. Barbara Ludwig: Die Pankreas-Organ- und Inseltransplantation sind die klassischen Verfahren des Betazellersatzes, die heute an vielen Standorten durchgeführt werden und grundsätzlich auch sehr erfolgreich sind, aber eben zwei große Einschränkungen haben: die limitierte Verfügbarkeit von Spenderorganen und die Notwendigkeit einer potenten Immunsuppression, um Abstoßungen zu verhindern, sowohl bei Pankreas- als auch bei Inseltransplantation. Weltweit arbeiten viele Forschergruppen an Möglichkeiten, diesen Problemen zu begegnen. In Deutschland spielt unter anderem das Netzwerk des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) eine wichtige Rolle.
Ein weiterer Fokus Ihrer Arbeit liegt auf Versuchen, alternative Zellquellen zu identifizieren. Sie verfolgen hier zwei Richtungen …
Prof. Ludwig: Das ist richtig: Im Fokus stehen zwei Ansätze, einerseits, aus sogenannten IPS, also induzierten pluripotenten Stammzellen, inselartige Cluster im Labor zu generieren. Diese Protokolle funktionieren mittlerweile gut, sind aber noch nicht sehr effizient. Andererseits ist das Thema Xenotransplantation, also die Verwendung tierischer Zellen, relevant. In den letzten Jahren hat sich hier viel getan aufgrund der Tatsache, dass wir heute in der Lage sind, genetisch modifizierte Spendertiere zu generieren. Da liegt auch Deutschland weit vorn, insbesondere mit der Forschung von Professor Dr. Eckard Wolf in München. Bei den Inseltransplantationen gibt es hier ebenfalls erste erfolgreiche Ansätze. Diese beiden Felder könnten hochattraktive alternative Zellquellen sein.
Ob Stammzell- oder Xenotransplantation: Es gibt das Problem Immunsuppression. Wie weit ist man hier inzwischen?
Prof. Ludwig: Wenn wir weiter für diese Transplantationen solch eine potente systemische Immunsuppression brauchen, wird es nie für eine breitere Gruppe von Patient*innen eine sinnvolle Therapie sein.
Bei der Stammzelltransplantation werden neue Betazellen entweder aus dem eigenen Körper oder von Spendenden erzeugt. Wo genau liegt hier das Potenzial?
Prof. Ludwig: Die Transplantation von aus Stammzellen generierten Inselclustern ist eine neue Entwicklung mit sehr hohem Potenzial – sie stünden praktisch unlimitiert zur Verfügung und könnten durch Manipulation so verändert werden, dass keine Immunsuppression notwendig wäre. Erste klinische Studien dazu laufen aktuell und zeigen sehr vielversprechende Ergebnisse. Dennoch ist der Weg bis zu einem breiteren Einsatz, wie gesagt, sicherlich noch weit.
Einem chinesischen Forscherteam ist eine Transplantation von autologen Stammzellen bei einer 25-Jährigen mit Typ-1-Diabetes gelungen. Seit über einem Jahr weist sie einen stabilen Blutzuckerspiegel auf und benötigt kein zusätzliches Insulin. Werten Sie das als Durchbruch?
Prof. Ludwig: Das ist schon ein großer Erfolg, zumal sie nach wie vor insulinunabhängig ist, wie ich von Kollegen gehört habe. Aber obwohl hier autologe Zellen transplantiert wurden, ist eine Immunsuppression im Spiel, da die Patientin zuvor schon transplantiert war. Es wurde in dieser Publikation ein sehr spezielles Protokoll verwendet für die Generierung der Inselcluster. Das ist schon sehr beachtlich.
Was Stammzellen im Körper anrichten könnten, weiß man heute noch nicht, oder?
Prof. Ludwig: Das ist Gegenstand der Untersuchungen in den klinischen Studien. Es gibt sehr tiefgehende Testungen dieser Zellen und sehr umfängliche präklinische Forschung dazu in Tiermodellen. Bislang gibt es keinen Hinweis darauf, dass von diesen Zellen eine Gefahr der Entartung ausgeht. Die Zellen müssen fertig ausdifferenziert sein, um dann nicht Gefahr zu laufen, sich zum Beispiel in Tumorzellen zu differenzieren.
Wie gefährlich sind die tierischen Zellen bei Xenotransplantation?
Es gibt intrinsische Risiken wie zum Beispiel die Übertragung von Keimen. Zusammen mit dem Leibniz-Institut für Polymerforschung in Dresden entwickeln wir momentan Systeme, bei denen wir die Inseln in sogenannten Makrokapseln platzieren, sodass sie vom Immunsystem abgeschirmt sind und man auf Immunsuppression verzichten und ein hohes Maß an Sicherheit gewährleisten kann. Man hätte damit auch die Möglichkeit, sollten die Zellen nicht ausreichend funktionsfähig sein, diese Devices in toto wieder aus dem Körper zu entfernen.
Wird das schon an Patient*innen getestet?
Es gab in der Vergangenheit bereits Testungen mit solchen Systemen, die mehr oder weniger erfolgreich verlaufen sind. Wir selbst haben vor einigen Jahren einen ersten Patienten mit Typ-1-Diabetes mit unserem Prototyp transplantiert, mit allogenen humanen Inseln, was grundsätzlich sehr erfolgreich und die Basis für die Weiterentwicklung dieses Systems war, das wir jetzt in der Präklinik, sprich im Tiermodell, in den Händen haben.
Gilt für Zell- oder Organtransplantationen nach wie vor, dass nur schwer oder schwerstkranke Patient*innen mit Typ-1-Diabetes dafür infrage kommen, Menschen mit Typ-2-Diabetes aufgrund ihrer Insulinresistenz aber ohnehin nicht?
Prof. Ludwig: Das ist richtig. Bei notwendiger Immunsuppression muss man Nutzen und Risiko abwägen. Glücklicherweise gibt es die klassischen Patient*innen mit Typ-1-Dia-betes und schweren Hypoglykämien, die früher auf der Warteliste für eine Inseltransplantation standen, heute fast nicht mehr. Es ist eine extrem erfreuliche Entwicklung, dank Sensortechnologie und AID-Systemen. Dennoch gibt es spezielle Patientengruppen, die aus diversen Gründen damit nicht behandelbar sind, beispielsweise bei peripherer Insulinresistenz oder Unverträglichkeiten gegenüber diesen Systemen.
Erschweren AID-Systeme etwa Ihre Forschungsaktivitäten?
Prof. Ludwig: Diese Techniken werden immer besser, die Messlatte für alternative Therapien liegt immer höher. Denn ich muss rechtfertigen, wenn ich Patient*innen mit Zellen behandle und immunsupprimiere.
Neben den symptomatischen Therapien gibt es nun den Wirkstoff Teplizumab, mit dem sich Typ-1-Diabetes um etwa drei Jahre verzögern lässt. Wie schätzen Sie den Erfolg ein?
Prof. Ludwig: Es wäre tatsächlich eine kausale Therapie der Erkrankung, also der Versuch einer wirklichen Heilung des Typ-1-Diabetes. Mit einer Immuntherapie wie dem Teplizumab, einem monoklonalen Anti-CD3-Antikörper, geht man ja an den eigentlichen Kern der Erkrankung, an die fehlgeleitete Autoimmunreaktion. Die Ergebnisse aus den USA mit diesem Wirkstoff zeigen einen relevanten Erfolg. Es ist ein Anfang, der Ansatz ist grundsätzlich zielführend.
Ein weiterer wichtiger Ansatz ist eine Art „Insulinimpfung“, wie er etwa durch die Gruppe um Prof. Dr. Anette Ziegler verfolgt wird. Dabei werden Menschen identifiziert, die eine Hochrisikokonstellation für Typ-1-Diabetes haben, und primär präventiv behandelt, das sind sehr vielversprechende und Hoffnung machende Ansätze.
Wie weit sind wir von einer Heilung des Typ-1-Diabetes entfernt?
Prof. Ludwig: Für meinen Forschungsbereich spreche ich lieber von einer sog. „funktionellen Heilung“: Wir versuchen, die Funktion der Insulinproduktion wiederherzustellen, um den Stoffwechsel zu stabilisieren und Komplikationen zuverlässig zu verhindern. Mit den verschiedenen Ansätzen sind wir auf einem guten, wenn auch noch weiten Weg. Interview: Angela Monecke