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Hämochromatose Leberrettende Maßnahmen

Autor: Dr. Melanie Söchtig; Stephanie Käufl

Hyperpigmentierung und arthritische Deformierungen: zwei typische Kennzeichen der Hämochromatose. Hyperpigmentierung und arthritische Deformierungen: zwei typische Kennzeichen der Hämochromatose. © Science Photo Library/ Clinical Photography
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Männer haben bei einer Hämochromatose deutlich schlechtere Karten als Frauen. Sie leiden häufiger unter klinischen Komplikationen, und nur bei ihnen ist das Risiko für primären Leberkrebs drastisch erhöht. Regelmäßige Aderlässe können Fibrose und Karzinom vorbeugen.

Die häufigste Hämochromatose, die 95 % aller Fälle ausmacht, basiert auf einer homozygoten C282Y-Mutation im HFE-Gen, welches für das Hereditäre-Hämochromatose-Protein kodiert (HFE-Hämochromatose, im Folgenden Hämochromatose). Dadurch wird die Hepcidin-Sekretion eingeschränkt, was zu einer gesteigerten Eisenresorption führt. Einer von 150 bis 220 Nordeuropäern ist von der Störung betroffen. Heterogenizität für die Mutation kommt bei einem von sieben Nordeuropäern vor. Sie führt nur zu einer leicht erhöhten Eisenaufnahme ohne klinische Folgen. Weitaus seltener wird eine Hämochromatose durch Mutationen in Genen, die für Hämojuvelin, Hepcidin, Transferrinrezeptor 2 oder Ferroportin kodieren, verursacht.

Die Folgen der durch die Hämochromatose erhöhten Eisenresorption unterscheiden sich bei Männern und Frauen schon bei den Blutwerten, schreiben Dr. John Olynyk von der Edith Cowan University in Joondalup und Prof. Dr. Grant Ramm vom Berghofer Medical Research Institute in Herston. Eine erhöhte Transferrinsättigung (> 45 %) liegt bei 94 % der erkrankten Männer und bei 73 % der Frauen vor, erhöhte Ferritinspiegel bei 88 % der Männer und 57 % der Frauen.

Unter einer klinisch signifikanten Eisen­überladung leiden bis zu 40 % der Männer und 13 % der Frauen. Das höhere Risiko der Männer ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die schützenden Effekte von Menstruation, Schwangerschaft oder anderen hormonbedingten Unterschieden fehlen.

Die wichtigste Folge der Überladung ist die Fibrosierung der Leber. Eine fortgeschrittene Leberfibrose oder -zirrhose (Fibrosestadium F3 und F4 nach Scheuer) tritt bei etwa 8 % der Frauen und 25 % der Männer mit Hämochromatose auf.

Jeder vierte Patient entwickelt eine Arthritis

Darüber hinaus haben Männer ein zwölfmal höheres Lebenszeitrisiko für primären Leberkrebs als Männer ohne die Erkrankung. Bei Frauen konnte kein entsprechender Zusammenhang festgestellt werden.

Eine hämochromatosebedingte Arthritis entwickelt sich bei mindestens 24 % der Patienten. Sie ist eine der Hauptursachen für Behinderungen und eine eingeschränkte Lebensqualität. Klassischerweise betrifft die Arthropathie die Metakarpophalangealgelenke, gefolgt von den Hüft-, Knöchel-, Radiocarpal-, Ellbogen-, Schulter- und Kniegelenken sowie der Lendenwirbelsäule.

Die Hämochromatose geht oft mit weiteren Auswirkungen einher, wie Hyperpigmentierung (bronzefarbene Haut), Diabetes mellitus, ­hypogonadotropem Hypogonadismus mit Libido- und Potenzstörungen sowie Kardiomyo­pathie. Erkrankte Personen haben zudem ein erhöhtes Risiko für Infektionen mit Vibrio vulnificus und opportunistische Infektionen. Außerdem ist ihr Risiko für Brust- und Darmkrebs doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung.

In folgenden Fällen sollte dem Verdacht auf eine Hämochromatose auf den Grund gegangen werden:

  • positive Familienanamnese: Gentest auf C282Y-Mutation (oder seltene Varianten), bei Homozygotität regelmäßige Blutkontrollen
  • erhöhte Serum-Transferrinsättigung oder erhöhte Ferritinwerte: Gentest
  • erhöhte Aminotransferase-Werte: Blut kontrollieren. Bei erhöhten Hämochromatose-Parametern: Gentest
  • Vorliegen von Symptomen (z.B. Leberzirrhose, Arthralgien, Hyperpigmentierung): Blutkontrolle und Gentest

Die Leber zunächst in den Fokus rücken

Nach Sicherung der Diagnose muss die Gefahr für eine Leberschädigung ermittelt werden. Das Risiko für eine fortgeschrittene Leberfibrose ist deutlich erhöht, wenn mindes­tens einer der folgenden Faktoren vorliegt:

  • Arthritis
  • Ferritin >1.000 µg/l
  • AST/Thrombozyten-Ratio-Index (APRI) > 0,44
  • Fibrose-4-Index (FIB-4) über 1,1

Bei hohem Risiko ist es sinnvoll, die Eisenkonzentration der Leber zu messen und Zirrhose und portale Hypertension per Biopsie oder nicht-invasiv abzuklären.

Trifft keiner der vier genannten Parameter zu, ist das Risiko für eine fortgeschrittene Leberfibrose niedrig. Eine weitere Leberdiagnostik muss dann nicht erfolgen.

Die Standardtherapie für Hämochromatosepatienten ist der regelmäßige Aderlass durch Phlebotomie. Pro 500 ml Blut werden etwa 250 mg Eisen eliminiert. Die Behandlung wird wöchentlich durchgeführt, bis ein Ferritin-Zielwert von 50–100 µg/l erreicht ist. In der Erhaltungsphase können Behandlungen in unterschiedlichen Abständen nötig sein, meist alle drei Monate. Daneben sollten die Patienten auf den Verzehr von rohen Meeresfrüchten (wegen dem Risiko einer Infektion mit Vibrio vulnificus) und Alkohol verzichten.

Personen mit fortgeschrittener Leberfibrose (Stadium F3 oder F4)müssen aufgrund des erhöhten Leberkrebsrisikos alle sechs Monate per Ultraschall gescreent werden. Hat sich die Fibrose durch die Behandlung auf das Stadium F2 oder darunter zurückgebildet, kann man  die Screeninguntersuchungen einstellen. Darüber hinaus sollten alle Patienten mit Hämochromatose über das erhöhte Risiko für Brust- oder Darmkrebs informiert werden und eine entsprechende Beratung zur Vorsorge erhalten.mes/SK

Quelle: Olynyk JK, Ramm GA. N Engl J Med 2022; 387: 2159-2170; DOI: 10.1056/NEJMra2119758