Schwindel gezielt diagnostizieren Leitlinie bringt Klarheit zur Vertigo im Praxisalltag
Erste Hinweise auf die Ursache des Schwindels liefert die Symptomdauer.
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Zahllose Ursachen, vielfältige diagnostische Möglichkeiten – die Abklärung von Schwindel kann im Praxisalltag jeden Zeitrahmen sprengen. Umso wichtiger ist es deshalb, das Symptom strukturiert anzugehen, um häufigen, aber auch potenziell gefährlichen Auslösern rasch auf die Spur zu kommen.
Schwindel ist sowohl Leit- als auch Begleitsymptom von ganz unterschiedlichen Krankheiten. Diese können das periphere vestibuläre System betreffen, aber auch ZNS, Herz, andere innere Organe sowie den Stoffwechsel. Zudem wird Schwindel mitunter durch Medikamente, Drogen und Alkohol hervorgerufen oder ist psychisch bedingt, heißt es in der aktualisierten DEGAM-Leitlinie „Schwindel in der Hausarztpraxis“.
Einen ersten anamnestischen Hinweis auf die im Einzelfall vorliegende Ursache liefert die Symptomdauer:
- Hält eine Schwindelattacke nur Sekunden bis wenige Minuten an, ist vor allem an den benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPPV), Orthostaseprobleme sowie Herzrhythmusstörungen zu denken.
- Bei einem Schwindel über viele Minuten bis Stunden kommen in erster Linie die vestibuläre Migräne (bis zu 72 h), Morbus Menière (20 min bis 12 h), eine TIA sowie eine Hypoglykämie in Betracht.
- Ein Infarkt bzw. eine Blutung im Bereich des Hirnstamms oder des Kleinhirns kann mit einem wochenlangen Schwindel einhergehen. Gleiches gilt für die akute unilaterale Vestibulopathie.
- Über Monate bis Jahre persistierende Beschwerden können auf eine Polyneuropathie sowie einen zerebellären, einen extrapyramidalen oder einen funktionellen Schwindel hindeuten.
Ist der „zeitliche Rahmen“ geklärt, sollte man im nächsten Anamneseschritt nach der Art des Schwindels fragen. Liegt ein Dreh-, Schwank- oder Benommenheitsschwindel vor? Letzterer kommt vor allem bei kardiovaskulärer Ursache, bei Hypoglykämien, Intoxikationen und bei funktionellem Schwindel vor.
Auch auf begleitende Symptome achten
Potenzielle Auslösemechanismen sind ebenfalls relevant. Stellt sich der Schwindel beim Gehen, bei Bewegungen von Kopf bzw. Körper, beim Husten, Pressen, Niesen oder beim Lagewechsel des Kopfes relativ zur Schwerkraft ein? Nicht zuletzt sind vorliegende Begleitsymptome zu erfassen. So kann z. B. ein episodisch verstärkter Tinnitus oder eine Hypakusis auf einen M. Menière sowie eine Hirnstammischämie hindeuten. Episodische Kopfschmerzen und/oder Licht- bzw. Lärmempfindlichkeit sind mit einer vestibulären Migräne vereinbar. Übelkeit und Erbrechen gelten als unspezifisch, kommen bei funktionellem Schwindel aber nur sehr selten vor. In jedem Fall ist auf Warnzeichen zentraler und damit potenziell gefährlicher Ursachen zu achten (siehe Kasten), die ggf. eine sofortige Klinikeinweisung erfordern.
Erscheint ein Notfall ausgeschlossen, wird man den anamnestischen Verdachtsmomenten mit entsprechenden Tests bzw. Untersuchungen nachgehen. Im Fall von vestibulären Störungen gelingt dies häufig nur eingeschränkt. „Das Erlernen dezidierterer Diagnostikmanöver ist für den hausärztlichen Bereich nicht realistisch“, heißt es in der Leitlinie. Zudem gebe es häufig keine M- oder Frenzelbrille, um einen Nystagmus sicher zu erfassen.
Gefahrenpotenzial erkennen
Bei der Untersuchung von Patientinnen und Patienten mit Schwindel sollte man abwendbar gefährliche Verläufe immer auf dem Schirm haben. Dazu zählen z. B. zerebrale Blutungen/Infarkte, Herzrhythmusstörungen und Infektionen. Von knapp 24.000 Menschen, die sich binnen eines Jahres in einer neurologischen Notaufnahme vorstellten, kamen 11 % wegen Schwindel. Fast jeder vierte hatte eine lebensbedrohliche Erkrankung, bei etwa jedem achten lag eine zerebrovaskuläre Ursache der Beschwerden vor. Als Warnzeichen gelten:
- Kopf-, Hals-, Nackenschmerzen
- Schluck-, Sprechstörungen, Heiserkeit
- Doppelbilder, hängendes Augenlid
- motorische und/oder sensible Ausfälle
- Koordinationsstörungen
- Synkope, Bewusstseinsstörung
- kardiale Arrhythmien
- vorausgegangenes Trauma
- auffällige Vitalparameter
Nystagmus als Indiz für eine Kanalolithiasis
Zum Nachweis des sehr häufigen BPPV könne allerdings das einfache Dix-Hallpike-Manöver ausreichen. Mit diesem Verfahren lässt sich eine Kanalolithiasis des posterioren Bogengangs, die in 80–90 % der Fälle von paroxysmalem Lagerungsschwindel vorliegt, nachweisen. Für den Test sitzt die Patientin/der Patient längs auf der Liege. Der Kopf wird vom Untersuchenden mit beiden Händen um 45 Grad zur testenden Seite gedreht. Anschließend legt man den Oberkörper schnell nach hinten in eine Kopfhängelage. Der Befund ist positiv, wenn sich nach einer Latenz von wenigen Sekunden ein vertikaler Nystagmus (in Richtung Stirn schlagend) mit torsioneller Komponente (in Richtung des unteren Ohres schlagend) zeigt. Den torsionellen Nystagmus kann man auch mit bloßem Auge erkennen, schreiben die Expertinnen und Experten der DEGAM.
Quelle: S2k-Leitlinie „Schwindel in der Hausarztpraxis“; AWMF-Register-Nr. 053-018; awmf.org