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Enzephalitis Niedrige Titer gegen Hirnantigene nicht immer harmlos

Autor: Friederike Klein

Eine regelmäßige Apherese taugt nicht in jedem Fall Eine regelmäßige Apherese taugt nicht in jedem Fall © peterschreiber.media
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 Autoantikörper im Serum können auf schwerwiegende Erkrankungen hinweisen. Niedrige Titer ausschließlich im Serum sind allerdings nicht relevant – das gilt auch bei Enzephalitis.

Was heißt „niedrigtitrig“ im Serum bei Autoantikörpern? Prof. Dr. Christian Bien, Universitätsklinik für Epileptologie im Krankenhaus Mara, Bielefeld, nannte dafür als Faustregel Werte von 1:200 bis 1:300. Das ist in etwa die Schwelle, ab der Antikörper im Liquor überhaupt positiv werden. Dass niedrigtitrige Autoantikörper im Serum meist keine Relevanz haben, illustrierte er an einer eigenen Untersuchung von 64 Fällen mit nachgewiesenen Antikörpern gegen das Contactin-assoziierte Protein-2 (CASPR2). Bei Patienten mit Autoimmunenzephalitis waren die Titer hoch, bei Betroffenen mit anderen Erkrankungen niedrig.1 Als Schwellenwert identifizierten er und sein Team ≥ 1:200.

Eine andere Studie untersuchte allgemein Autoantikörper gegen Hirnantigene bei 1.703 Gesunden und 2.533 neuropsychiatrisch Erkrankten im Serum und fand keinen Unterschied zwischen Gesunden und Kranken in der Prävalenz von NMDAR* -, CASPR2- oder GAD** -IgG-Antikörpern.2 Immer waren es niedrigtitrige Serumbefunde. Prof. Bien räumte aber ein, dass es einen Graubereich gebe. Spezifisch sei ein Antikörperbefund dann, wenn die Klinik zum jeweiligen Antikörper passe, so sein Credo. Außerdem nannte er als Ausnahme Antikörper gegen leucinreiches, inaktiviertes Gliom 1 (LiG1). Sie muss man schon in niedrigen Konzentrationen im Serum ernst nehmen.

Prof. Dr. Harald Prüß von der Charité – Universitätsmedizin Berlin bestätigte, dass relevante Titer vor allem diejenigen sind, die auch im Liquor positiv ausfallen. Im Tiermodell hat er untersucht, wie Antikörper, die bei niedrigem Titer im Serum unbedeutend sein können, mit Auftreten im Liquor pathologisch werden. Wie so oft gilt: Die Dosis macht das Gift. Erzeugt man beispielsweise hohe GABA(A)-Rezeptor-Antikörper im Gehirn von Mäusen, führt das sofort zu epileptischen Anfällen bis hin zum Status epilepticus – wie auch bei betroffenen Menschen.3 Geringe Antikörpertiter im Gehirn können ebenfalls Anfälle auslösen, jedoch sehr viel seltener.

Ganz vernachlässigen sollte man niedrige Antikörpertiter im Serum dennoch nicht, sagte Prof. Prüß. Menschen mit NMDAR-Antikörpern im Serum weisen nach verschiedenen Untersuchungen häufiger Gedächtnisstörungen oder Demenz auf als Personen ohne sie. Die Antikörper waren in den Studien insbesondere mit rasch progredienten und atypischen Demenzen assoziiert.

So selbstverständlich wie Hypertonie behandeln

Mehr durch Zufall hatte der Referent in seiner Sprechstunde Mütter mit NMDAR-Antikörpern im Serum entdeckt, deren Kinder später gehäuft neurologische Entwicklungsstörungen wie ADHS oder ein Tourette-Syndrom aufwiesen. Dieser Zusammenhang ließ sich im Tiermodell ebenfalls nachvollziehen. Das könne dann doch nicht völlig bedeutungslos sein, meinte Prof. Prüß. Wenn man ganz selbstverständlich Bluthochdruck behandle, obwohl sich der Patient gesund fühle, müsse das möglicherweise auch für Autoantikörper gegen Hirnantigene gelten.

Neben der Frage der Relevanz der niedrigen Autoantikörpertiter im Serum ist ein wesentliches Problem die bislang fehlende spezifische Behandlungsoption, meinte der Kollege. Eine regelmäßige Apherese komme sicher nicht für alle Patienten infrage. Spezifische Antikörpertherapien befänden sich aber in der Entwicklung.

*    N-methyl-D-Aspartat-Rezeptor
**    Glutaminsäure Decarboxylase

Quellen:
1.    Bien CG et al. Eur J Neurol 2017; 24: 175-186;  DOI: 10.1111/ene.13180
2.    Dahm L et al. Ann Neurol 2014; 76: 82-94;  DOI: 10.1002/ana.24189
3.    Kreye J et al. J Exp Med 2021; 218: e20210012;  DOI: 10.1084/jem.20210012