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Alkoholgebrauchsstörung Online-Therapieangebote nehmen eine neue Gruppe Alkoholkranker ins Visier

Autor: Alexandra Simbrich

Alkohol ist allgegenwärtig. Doch verliert jemand die Kontrolle über seinen Konsum, droht Stigmatisierung. (Argenturfoto) Alkohol ist allgegenwärtig. Doch verliert jemand die Kontrolle über seinen Konsum, droht Stigmatisierung. (Argenturfoto) © New Africa – stock.adobe.com; Photographee.eu – stock.adobe.com
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Von den hierzulande etwa drei Millionen Erwachsenen mit Alkoholgebrauchsstörung ist ein großer Teil unbehandelt. Neue webbasierte Angebote könnten diese Versorgungslücke schließen und etablierte Therapie­ansätze ergänzen.

In der Therapie von Alkoholgebrauchsstörungen setzte man lange Zeit vorrangig auf Selbsthilfegruppen. Mittlerweile gehören psychosoziale und psychotherapeutische Methoden fest zum Behandlungskonzept, schreiben Prof. Dr. ­Michael ­Soyka von der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München und Kollegen. Doch obwohl die Angebote des klassischen Hilfesystems bei Alkoholsucht wissenschaftlich gut untersucht sind, wird nur ein Bruchteil der Betroffenen erreicht: Weniger als 15 % erhalten eine entsprechende Behandlung, oft wird diese erst nach einem jahrelangen Krankheitsverlauf und damit sehr spät begonnen.

Hinzu kommt, dass sich die Zielgruppe für die Interventionen verändert hat. Suchthilfeangebote sind klassischerweise auf Männer und ältere Menschen mit niedrigem Bildungsstatus und Arbeitslosigkeit zugeschnitten. Heute erkranken aber zunehmend auch Jüngere, Frauen  und höher Gebildete an einer Alkoholgebrauchsstörung.

Die Therapie soll sich gut in den Alltag integrieren lassen

Diese Menschen benötigen zielgruppenspezifische Angebote. Wichtig ist, dass sich diese gut in den privaten und beruflichen Alltag integrieren lassen, heißt es in der Arbeit von Prof. Soyka und seinen Ko­autoren.

Großes Potenzial haben ihrer Auffassung nach webbasierte Interventionen, sogenannte eHealth-Angebote. Sie können als alleinige Behandlungsmaßnahme oder therapieflankierend in verschiedenen Stadien der Alkoholgebrauchsstörung durchgeführt werden, etwa zum Austausch in web­basierten Selbsthilfegruppen oder im Anschluss an eine ambulante oder stationäre Behandlung oder Kurzzeit­intervention. Als Beispiel für eine Online-Intervention nennen Prof. Soyka und seine Kollegen das Angebot „Ohne Alkohol mit Nathalie“ (OAmN), das von einer ehemals selbst Betroffenen entwickelt wurde. Um in Eigenregie Abstinenz zu erlangen und zu erhalten, steht den Patienten neben dem Einstiegsprogramm „Die ersten 30 Tage ohne Alkohol“ und dem 60-tägigen Programm „Abstinenz stabilisieren“ auch eine App zur Verfügung. Diese kombiniert persönliche Ansprache per Video und Mail mit Begleitmaterialien wie Tagebüchern, Audiotrainings und einer moderierten Online-Gruppe.

Die 30-Tage-Intervention erwies sich in einer Evaluation als abstinenzförderlich – von den Teilnehmern lebten 78 % einer Befragung zufolge nach Nutzen des Programms abstinent. Es zeigte sich aber noch etwas anderes: Viele der Programmteilnehmer hatten sich zuvor kaum oder noch nie in einer Therapie befunden. Damit war die Web-Intervention offenbar vor allem für jene eine Option, die über das klassische Suchthilfe­system nicht erreicht wurden.

Alkoholproblem in Zahlen

Die Alkoholgebrauchsstörung wird laut ICD-10 definiert als Alkoholabhängigkeit (F10.2) sowie schädlicher Gebrauch von Alkohol (F10.1). In Deutschland

  • leiden 1,6 Mio. Menschen an Alkoholabhängigkeit,
  • weisen 1,4 Mio. einen Alkoholmissbrauch oder einen schädlichen Konsum auf,
  • betreiben 6,7 Mio. Menschen einen riskanten Konsum mit > 12 g (Frauen) bzw. > 24 g (Männer) Reinalkohol an mehr als fünf Tagen/Woche,
  • findet sich bei rund 12,7 Mio. Menschen ein Rauschtrinken (d.h. mehr als fünf alkoholische Getränke) an mindestens einem der letzten drei Tage.

Datenlage ist überschaubar und sehr heterogen

Als Vorteile internetbasierter Angebote nennen Prof. Soyka und Kollegen vor allem die niedrige Hemmschwelle für ihre Anwendung sowie  die Möglichkeit, Stigmatisierung zu vermeiden. Zudem lassen sie sich rasch nutzen. Auf der anderen Seite ist es schwierig, über digitale Interventionen empathische Beziehungen zwischen Betroffenen und Therapeuten aufzubauen oder Begleiterkrankungen mitzubehandeln. Dennoch eröffnen Programme wie OAmN neue Chancen in der Therapie von Alkoholgebrauchsstörungen. Erste Metaanalysen haben den Effekt von digitalen Interventionen bereits untersucht. Die Autoren betonen jedoch, dass die Datenlage zu eHealth-Angeboten insgesamt noch überschaubar und vor allem sehr heterogen ist.

Quelle: Soyka M et al. DNP 2023; 24: 38-41; DOI: 10.1007/s15202-023-5631-7