
Den Fettstoffwechsel ins Lot bringen Praxistipps gegen hohe LDL-C- und Triglyzeridwerte

In der Beratung von Patientinnen und Patienten mit einem gestörten Fettstoffwechsel ist der Aspekt Lebensstil der allerwichtigste. Es geht ums Essen und ums Trinken (Letzteres kommt oft zu kurz), um Bewegung bzw. Sport, wobei der Terminus „Sport“ so manchen verschreckt und deshalb gemieden werden sollte. Rauchen, Schlaf und Stress sowie weitere Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle. Dennoch sollte man den Kranken gegenüber nur vorsichtig andeuten, dass sie eventuell selbst schuld an ihren hohen Werten sind, erklärte Dr. Anja Vogt von der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV der LMU München.
Ein erhöhtes LDL-C kann man durch Lebensstilmodifikation nur bedingt beeinflussen. Hilfreich ist zwar die vermehrte Zufuhr löslicher Ballaststoffe – aber davon muss man schon sehr viel essen. „Das schafft man kaum“, sagte Dr. Vogt. Der Effekt einer gesunden Lebensweise auf Triglyzeride ist dagegen massiv. Lässt man beispielsweise zwei Liter Cola am Tag weg, fallen die Werte schon mal von 2.000 auf 150 mg/dl, berichtete die Kollegin. Welche Trinkgewohnheiten im Einzelfall tatsächlich vorliegen, erfahre man allerdings nur durch eine ausführliche Anamnese.
Auch Patientinnen und Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie (FH) profitieren von einem günstigen Lebensstil. In einer japanischen Studie fragte man 961 Personen – 699 von ihnen mit FH-Mutation – nach Ernährungsverhalten, Bewegung, Rauchen und Übergewicht bzw. Adipositas und beobachtete sie im Mittel 12,6 Jahre nach. Nicht überraschend stieg die Hazard Ratio für ein schweres kardiovaskuläres Ereignis mit zunehmend ungesunder Lebensweise deutlich an – sowohl bei Teilnehmenden ohne als auch bei denen mit FH. Man darf einem Menschen mit angeborener Stoffwechselstörung also nicht einfach sagen, „das ist genetisch, da können Sie selbst nichts tun“, betonte die Expertin. Im Gegenteil, es sei wichtig zu vermitteln, dass man durch eigenes Verhalten Einfluss auf seine Gesundheit hat und die Therapie mit in die Hand nehmen kann. Gleichzeitig sollte man gegenüber den Erkrankten den hohen Stellenwert von Medikamenten verdeutlichen, um das LDL-C-Ziel zu erreichen. Dieses unterscheidet sich abhängig vom individuellen kardiovaskulären Risiko. Generell gilt aber: je niedriger, desto besser und je früher im niedrigen Bereich, desto besser.
Die wichtigsten Substanzen sind nach wie vor die Statine. Dr. Vogt bevorzugt bereits initial die hochpotenten (Rosuvastatin und Atorvastatin). Um einen Nocebo-Effekt zu vermeiden, legt sie ihren Patientinnen und Patienten die Medikamente als „super wirksam“ und „fantastisch verträglich“ ans Herz. Zudem spricht sie nicht vom Steigern der Dosis, sondern vom Anpassen bzw. Optimieren sowie von Ziel- statt Höchstdosis. „Alles gute Wörter, die positiv im Kopf ankommen.“
In diesem Sinn vermeidet sie auch das Wort Statinintoleranz und wählt bei den wenigen Betroffenen den Begriff reduzierte Toleranz. Von den allermeisten Menschen werden Statine sehr gut vertragen, aber trotz eindeutig positiver Studienlage hat man mit dem schlechten Ruf der Substanzen zu kämpfen, sagte Dr. Vogt. Das A und O sei deshalb die Kommunikation. Wird sie z. B. gefragt „muss ich das Statin jetzt immer nehmen“, antwortet sie „Sie müssen gar nichts, es ist Ihre Entscheidung, aber sie dürfen das“. Man putze sich ja auch die Zähne und warte nicht, bis man Karies bekommt, um erst dann damit anzufangen.
Ein motivierendes Gespräch kann die Adhärenz steigern
Gewinnt man den Erkrankten durch Argumentation und entscheidet er sich letztlich bewusst für die Therapie, kann man mit einer sehr viel besseren Adhärenz rechnen als wenn er nur das tut, was Ärztin oder Arzt ihm sagen. Nach Erfahrung der Kollegin ist es für die Sprechstunde äußerst hilfreich, motivierende Gesprächsführung zu erlernen.
Ezetimib kann zusätzlich zum Statin, aber auch in Monotherapie bei reduzierter Statintoleranz gegeben werden. Die Kombination führt meist zu einer besseren Absenkung des LDL-C als eine verdoppelte Statindosis. Insbesondere nach einem akuten kardiovaskulären Ereignis ist es sinnvoll, Ezetimib früh in die Therapie mit aufzunehmen. Dafür spricht unter anderem eine Metaanalyse von elf randomisierten kontrollierten Studien mit knapp 20.300 von akutem Koronarsyndrom betroffenen Teilnehmenden. Die Hinzunahme von Ezetimib zu hoch dosierten Statinen führte bereits ab Tag 7 nach dem akuten Ereignis zu einer signifikanten Reduktion des LDL-C um 19,6 mg/dl im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne die additive Behandlung. Nach drei bis sechs Jahren lagen unter der Doppelstrategie mit Ezetimib die Gesamtmortalität sowie die Zahlen schwerer kardiovaskulärer Ereignisse und nicht-tödlicher Schlaganfälle deutlich niedriger. Trotz dieser Erfolge sind die Verordnungszahlen für das Medikament immer noch gering, bedauerte Dr. Vogt: „Für mich unverständlich, es ist so lange auf dem Markt.“ Sie kritisierte die in Leitlinien empfohlene Stufentherapie und hofft, das sie in den überarbeiteten Empfehlungen zumindest für Hochrisikopatientinnen und -patienten verlassen wird.
Hyperlipidämie ist keine Diagnose
Wer z. B. auf einen Überweisungsschein nur Hyperlipidämie schreibt, macht es sich zu leicht. Man sollte klar benennen, um welche Fettstoffwechselstörung es sich bei der Patientin bzw. dem Patienten handelt, forderte Dr. Vogt: Liegt eine Hypercholesterinämie mit erhöhtem LDL-C vor oder eine kombinierte Hyperlipoproteinämie, bei der sowohl das LDL-C als auch die Triglyzeride zu hoch sind? Kommen Zusatzdiagnosen wie eine HDL-C-Erniedrigung oder eine Lp(A)-Erhöhung hinzu? Oder handelt es sich um eine diabetische Dyslipoproteinämie? Diese ist definiert als Vorliegen von small dense LDL (sdLDL) bei oftmals normalem LDL-C-Wert, erhöhten Triglyzeriden und erniedrigtem HDL.
Als dritten Wirkstoff kann man zusätzlich zu Statin und/oder Ezetimib die Bempedoinsäure einsetzen. Aus dem eingenommenen Prodrug wird enzymatisch die wirksame Substanz gebildet. Dies geschieht ausschließlich in der Leber. In der Muskulatur ist das Medikament nicht aktiv. Es kann also auch keine Muskelschmerzen verursachen, selbst wenn Patientinnen und Patienten anderes behaupten, so Dr. Vogt. Die Vorstellung „Cholesterinsenkung macht Muskelschmerzen“ sei oft fest in den Köpfen verankert. Vor und im Verlauf der Behandlung muss man die Harnsäure kontrollieren. Ein vorausgegangener Gichtanfall gilt nicht als Kontraindikation.
Unter einer Statintherapie ist der Effekt der Bempedoinsäure auf das LDL-C sehr variabel. Dr. Vogt kontrolliert den Wert deshalb vor dem Start der zusätzlichen Behandlung und danach. Zeigen sich keine positiven Veränderungen, setzt sie das Medikament wieder ab. Besteht die Vortherapie ausschließlich aus Ezetimib, erreicht man durch Bempedoinsäure als Add-on ein Absinken des LDL-C um bis zu 36 %.
PCSK9-Inhibitoren sind als Add-on gedacht
Die subkutan zu applizierenden PCSK9-Inhibitoren sollen zusätzlich zu den oralen Fettsenkern und nicht stattdessen gegeben werden. Die Praxis sieht allerdings oft anders aus. Wie eine Registerstudie aus Norwegen anhand der Daten von knapp 4.800 Patientinnen und Patienten zeigte, werden Statine im ersten Jahr einer PCSK9-Behandlung in 56 % und Ezetimib in 40 % der Fälle abgesetzt. „Das ist nicht Sinn der Sache“, kommentierte Dr. Vogt.
Fibrate haben heute keinen großen Stellenwert mehr. Zur Senkung von Triglyzeriden (TG) bzw. triglyzeridreichen Lipiden können sie jedoch indiziert sein, sofern die Modifikation von Lebensstilfaktoren dafür nicht ausreicht. Einen fixen TG-Schwellenwert zu definieren, ab dem Fibrate gegeben werden sollen, ist jedoch schwierig. Dr. Vogt zieht die rote Linie bei 500 mg/dl. Allerdings müsse man immer genau evaluieren, ob es evtl. eine Ursache für den hohen Messwert gibt, etwa Diätsünden oder Partyexzesse am Vortag der Blutabnahme.
Quelle: Kongressbericht - 20. Diabetologie-Update-Seminar