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Krebserkrankung Primärtumor besiegt und dann?

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Es besteht ein 10 % höheres Risiko für eine nachfolgende primäre Krebserkrankung. Es besteht ein 10 % höheres Risiko für eine nachfolgende primäre Krebserkrankung. © vitanovski- stock.adobe.com
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Verbesserte Früherkennung und Fortschritte bei der Behandlung haben dazu geführt, dass es immer mehr Patienten gibt, die ihre Krebserkrankung überleben. Viele von ihnen entwickeln aber zum Teil Monate oder Jahre nach Abschluss der Therapie Spätfolgen, von Rezidiven ganz zu schweigen.

Spät- und Langzeitfolgen der Therapie, Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg in den Beruf –  und immerfort die Angst, dass der Krebs zurückkommt. Die Probleme, mit denen Menschen auch Jahre nach einer Tumorerkrankung zu kämpfen haben, sind vielfältig. Tatsächlich haben Krebsüberlebende ein um etwa 10 % erhöhtes Risiko für eine nachfolgende primäre Krebserkrankung und ein höheres Risiko, daran zu sterben. Das ist im Wesentlichen auf gemeinsame Risikofaktoren der ersten und der zweiten Krebserkrankung zurückzuführen, insbesondere auf Rauchen und Übergewicht.

Eine Gewichtszunahme nach einer Krebsdiagnose als Folge einer Steroid- oder Hormontherapie ist keine Seltenheit. Um dem von vornherein entgegenzuwirken, sollte die Energieaufnahme begrenzt und die körperliche Aktivität erhöht werden. Empfehlenswert ist die Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining mit mindestens 150 Minuten moderater Bewegung pro Woche, schreiben Prof. Dr. Jon ­Emery von der Universität Melbourne und Kollegen. Um die individuellen Trainingsziele zu erreichen, eignen sich beispielsweise mobile Apps oder die Teilnahme an Bewegungsprogrammen. In jedem Fall sollte man in diesem Zusammenhang auf den Kaloriengehalt alkoholischer Getränke sowie der oft damit verbundenen Snacks oder Mahlzeiten hinweisen und zudem  das Krebsrisiko ansprechen, das von übermäßigem Alkoholkonsum ausgeht.

Hinsichtlich der Raucherentwöhnung bieten sich neben individuellen verhaltenstherapeutischen Ansätzen oder einer Gruppentherapie auch verschiedene Medikamente an. Es sollten dann Kombinationen von kurz- und langwirksamen Nikotinersatzpräparaten zur Unterstützung der Entwöhnungsversuche zum Einsatz kommen, deren jeweilige Nebenwirkungen und Kosten zuvor mit dem Patienten erörtert werden müssen.Eine ausführliche Krebsanamnese, die sämtliche vorangegangene Behandlungen umfasst, ist wichtig, um das Rezidivrisiko einschätzen und die Überwachungsintervalle individuell festlegen zu können, so die Experten. Weiterhin sollte eine Familienanamnese erfolgen, um Merkmale eines familiären Krebssyndroms zu erkennen und den Betroffenen gegebenenfalls einer Gendiagnostik zuzuführen.

Prof. Emery und Kollegen raten, bei jedem Follow-Up-Termin Symptomen, die auf ein Rezidiv hindeuten, gezielt nachzugehen und Überwachungstests, wie in den Leitlinien für die jeweilige Entität empfohlen, durchgeführt werden. Einige Therapien stehen mit einem erhöhten Risiko für nachfolgende Krebserkrankungen in Verbindung und können zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen erforderlich machen.

Je nach vorangegangener Behandlung treten mitunter noch Monate oder Jahre nach Abschluss der Behandlung körperliche Folgen auf, die es zu erkennen und zu behandeln gilt. Hierzu gehören Herzfunktionsstörungen, metabolisches Syndrom, Lymphödeme, periphere Neuropathie und Osteoporose. Darüber hinaus sind im Rahmen spezifischer Immuntherapien unerwünschte immunbedingte Effekte möglich. Sie manifestieren sich in der Regel innerhalb von Wochen bis Monaten nach Behandlungsbeginn, manchmal jedoch auch erst nach Absetzen der Therapie. Symptome, die auf eine immunbedingte unerwünschte Wirkung hindeuten, sind:

  • wässriger Durchfall mit Blut oder Schleim und starken Bauchschmerzen (Kolitis)
  • Kopfschmerzen mit Übelkeit oder visuellen Symptomen (Hypophysitis)
  • Photophobie und Nackensteifigkeit (Meningitis) oder Verwirrtheit (Enzephalitis)
  • Müdigkeit mit Gewichtsveränderung (Schilddrüsenerkrankung, Hypophysitis, Nebenniereninsuffizienz)
  • Hautausschläge mit Juckreiz
  • Husten und Kurzatmigkeit (Pneumonitis)
  • Gelenk- oder Muskelschmerzen (Arthritis, Myositis)

Bei neu auftretenden oder akuten Schmerzen sollte ein Rezidiv oder die Progression der Krebserkrankung in Betracht gezogen werden. Schmerzsyndrome können darüber hinaus mit den Therapien zusammenhängen. Hierzu zählen:

  • osteoporotische Frakturen bei Patienten, die langfristig Stero­ide, Antiandrogene oder Aromatasehemmer einnehmen, oder die im betroffenen Bereich bestrahlt wurden
  • Arthralgien und Myalgien aufgrund einer Therapie mit selektiven Östrogenrezeptormodulatoren oder Aromatasehemmern
  • Symptome einer Zystitis oder Proktitis und Mononeuropathien aufgrund vorangegangener Strahlentherapie
  • postoperative Schmerzsyndrome einschließlich Schmerzen nach Mastektomie und Phantomschmerzen nach Amputation

Die Behandlung sollte nicht-pharmakologische wie auch pharmakologische Ansätze umfassen. Es gibt gute Belege für den Nutzen von Bewegung, Akupunktur, Wärme- und Kälteanwendung. Auch Physiotherapie, Ergotherapie und eine psychologische Betreuung gehören für die Experten ggf. mit zu einem integrativen Konzept zur Schmerzbehandlung. Bei der Pharmakotherapie kommen zunächst nicht-opioide und adjuvante Analgetika zum Einsatz, wobei sich die Auswahl nach der Schmerzursache richtet. Auf Opioide sollte erst bei unzureichendem Ansprechen zurückgegriffen werden.

Die häufigsten psychosozialen Probleme, die es bei der Behandlung von Krebsüberlebenden zu berücksichtigen gilt, umfassen die Angst vor einem Rückfall, Fatigue, Schlaf- und Wahrnehmungsstörungen sowie Auswirkungen auf Sex, Intimität, Finanzen und Beruf.

Quelle: Emery J et al. Lancet 2022; 399: 1537-1550; DOI: 10.1016/S0140-6736(22)00242-2