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Essen auf Rädern Querschnittsgelähmte individuell und bedarfsgerecht ernähren

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Für die bedarfsgerechte Energie- und Nährstoffzufuhr bei Patienten mit Querschnittslähmung gelten dieselben Prinzipien wie bei Gesunden. Für die bedarfsgerechte Energie- und Nährstoffzufuhr bei Patienten mit Querschnittslähmung gelten dieselben Prinzipien wie bei Gesunden. © NDABCREATIVITY – stock.adobe.com
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Eine Schädigung des Rückenmarks verändert auch die Verdauungs- und Darmfunktion. Bei Patienten mit Querschnittslähmung gilt es u.a. deshalb in Bezug auf die Ernährung einiges zu beachten. Allein die Berechnung des Grundumsatzes ist gar nicht so einfach.

In der Phase des spinalen Schocks bei akuter Querschnittslähmung ist der Darm atonisch und weist nur eine geringe Peristaltik auf. Wesentlich sind in dieser Phase eine geregelte Darmentleerung und die Vermeidung von Komplikationen. Es dauert bis zu einem Jahr, bis sich ein stabiler Zustand der neurologischen Defizite einstellt. Die nun folgende lebenslange Phase der chronischen Querschnittslähmung ist mit Blick auf die Verdauung geprägt durch neurogene Darmfunktionsstörungen, die sich durch multifaktorielle Einflüsse verändern.

Für die bedarfsgerechte Energie- und Nährstoffzufuhr bei Patienten mit Querschnittslähmung gelten dieselben Prinzipien wie bei Gesunden. Beachtet werden muss jedoch, dass der Grundumsatz um 13–21 % reduziert ist. Allerdings stammen gängige Formeln zu dessen Berechnung aus Studien mit Gesunden. Sie berücksichtigen somit weder die lähmungsbedingte Muskelatrophie, die den Grundumsatz senkt, noch die Spastik mit ihrem grundumsatzsteigernden Effekt. Eine ausgeprägte Spastik bedingt einen enorm hohen Energieverbrauch. Die besten Verfahren, um den Grundumsatz festzustellen, sind die indirekte Kalori­metrie oder die Dual-Energy-X-ray-Absorptiometrie.

Aktivität des Patienten bedingt Energiebilanz

Über den Grundumsatz hinaus bestimmt der Umfang der physischen Aktivität den Nahrungsbedarf. Bei Rollstuhlfahrern mit wenig Aktivität nimmt man ein physical activity level (PAL) von 1,1 an, bei mäßig aktiven Rollstuhlfahrern 1,2–1,4 und bei sehr aktiven 1,5–1,6. Liegt eine starke Spastik vor, sollte man den höchstmöglichen PAL-Wert ansetzen. Schließlich muss auch die Thermogenese berücksichtigt werden, d.h. die Energie, die der Körper aufwenden muss, um Nahrung zu verstoffwechseln. Bei Proteinen ist diese am höchsten, gefolgt von Kohlenhydraten und Fetten. Durchschnittlich verbraucht die Verstoffwechselung der Nahrung etwa 10 % der zugeführten Energie.

Für einen Menschen mit Querschnittslähmung und einem PAL-Wert von 1,2 beispielsweise berechnet sich der Energiebedarf folgendermaßen: Grundumsatz 1.400 kcal x 1,2 (PAL) = 1.680 kcal. Dieser Wert erhöht sich auf 1.848 kcal, wenn man 10 % Thermogenese einkalkuliert.

Die Art der Ernährung wirkt sich auf den Krankheitsverlauf, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit des Patienten aus. Aufgrund der gelähmten Muskulatur sollte der Kohlenhydratanteil geringer sein als bei Gesunden. Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe braucht der Querschnittsgelähmte in unveränderter Menge. Proteine von hoher Qualität und pflanzlichen Ursprungs sind zu bevorzugen.

Eine rasche Orientierung zur Zusammensetzung der Nahrung für den Alltag gibt das Tellermodell: Bei geringer körperlicher Aktivität sollten drei Fünftel Gemüse und je ein Fünftel Fleisch/Fisch/Ei/Milchprodukte sowie Kartoffeln/Nudeln/Reis auf dem Teller sein. Bei höherer Aktivität verschieben sich diese Anteile zu ½ (Gemüse) und je ¼ der beiden anderen Nährstoffgruppen. Muss die Ernährung aufgrund veränderter Begleitumstände modifiziert werden, sollte dies langsam und schrittweise geschehen, damit sich die Darmfunktion anpassen kann.

Besonders wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von 1,5–2 Liter ungesüßter Getränke pro Tag. Darauf muss man die Patienten explizit hinweisen. Denn viele haben eine gestörte Blasenfunktion und neigen deshalb dazu, zu wenig zu trinken, um Inkontinenzepisoden zu vermeiden. Geachtet werden muss auch darauf, dass eine regelmäßige Darmentleerung im Abstand von ein bis zwei Tagen stattfindet. Dies beugt Komplikationen wie Obstipation und einem Ungleichgewicht der intestinalen Mikrobiota vor.

Quelle: Obereisenbuchner J et al. Ernährungs Umschau 2022; 12: M678-M687