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Fibromyalgie Ran an den Schmerz

Autor: Dr. Sonja Kempinski

Schon Einzug gehalten in die Leitlinie hat dagegen die Akupunktur. Schon Einzug gehalten in die Leitlinie hat dagegen die Akupunktur. © TeacherPhoto - stock.adobe.com
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Schmerzen, gestörte Nachtruhe und ausgeprägte Erschöpfung sind die Kardinalsymptome der Fibromyalgie. Sie lassen sich mit naturheilkundlichen und komplementären Maßnahmen lindern. Um effektiv zu sein, müssen diese dem Patiententyp angepasst werden.

Vor gar nicht so langer Zeit galt die Fibromyalgie noch als eine psychisch bedingte Krankheit, bei der sich Betroffene ihre Sym­ptome nur einbildeten. Heute weiß man es besser, schreiben Dr. ­Andrea Langhorst und Prof. Dr. Jost Langhorst von der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde, Klinikum am Bruderwald in Bamberg. Zwar ist die Fibromyalgie häufig mit psychischen Störungen assoziiert – gleichzusetzen damit ist sie jedoch keinesfalls, betonen sie. Denn inzwischen geht man davon aus, dass der Erkrankung pathophysiologisch eine veränderte zentrale Schmerzwahrnehmung, eine Dysfunktion des sympathischen Nervensystems und eine Kleinfaserpathologie zugrunde liegen.

Klinisch haben sich bei der Fibromyalgie zwei Symptomcluster herauskristallisiert, die sich anhand der Schmerz-, Schlaf- und Erschöpfungssymptomatik unterscheiden. Unklar ist jedoch weiterhin, ob die Beschwerden Ursache oder Folge der Erkrankung sind. Zur Behandlung werden in jedem Fall multimodale Therapieansätze empfohlen. Dabei haben vor allem naturheilkundliche und komplementäre Verfahren einen festen Platz. Neben der akuten Symptomlinderung ist die Erhöhung der Resilienz gegenüber Stressoren ein wichtiges langfristiges Ziel. Die medikamentöse Therapie ist von untergeordneter Bedeutung und sollte, wenn überhaupt, nur zeitlich befris­tet zum Einsatz kommen.

Chronische Schmerzen an mehreren Körperregionen sind das vorherrschende Merkmal beim ersten Symptomcluster. Häufig sind die Betroffenen depressiv verstimmt, körperlich kaum aktiv und mitunter übergewichtig. Diese Patienten profitieren vor allem von vermehrter Bewegung. Besonders hilfreich und in der SK3-Leitlinie* empfohlen sind

  • Ausdauertraining über mindes­tens 30 min zwei- bis dreimal die Woche 
  • Krafttraining zweimal die Woche für 60 min
  • Funktionstraining (Wasser- oder Trockengymnastik) zweimal für 30 min/Woche
  • regelmäßiges Yoga und Qigong

Daneben spielt den Autoren zufolge auch die Ernährung eine wichtige Rolle. Sie empfehlen eine nach Vorlieben des Patienten maßgeschneiderte pflanzenbasierte Vollwertkost. Positiv wirkt sich offenbar auch ein fünf- bis siebentägiges Kurzzeitfasten nach Buchinger (unter Anleitung) aus. Um eine evidenzbasierte Empfehlung handelt es sich dabei nicht, Fallserien und die klinischen Erfahrungen der Autoren weisen aber auf einen Effekt hin.

Viele Betroffene nennen psychosoziale Stressoren als Auslöser für Schmerzexazerbationen. Auch nach der Leitlinie gelten z.B. körperliche Misshandlung, sexueller Missbrauch sowie Depressivität als assoziierte Faktoren bei Fibromyalgie. In diesen Fällen helfen eine psychotherapeutische Unterstützung oder ordnungstherapeutische Interventionen. Als Beispiele dafür nennen die Autoren

  • Atemtechnik nach Tuna
  • Progressive Muskelentspannung
  • Mind-Body-Interventionen

Wenn erforderlich, können Antidepressiva wie Amitriptylin begleitend eingesetzt werden. Dies ist die einzige in der Leitlinie empfohlene medikamentöse Therapie – auch wenn der Wirkstoff formal keine Zulassung für die Fibromyalgie besitzt. Je nach Patientenpräferenz gehören auch Phytotherapeutika wie Passionsblume oder Johanniskraut zu den Optionen.

Gegen den chronischen Schmerz helfen zudem warme Bäder, Sauna und Schwimmen im Thermalwasser. Dass der Patient diese Maßnahmen selbstbestimmt ergreifen kann, ist im Sinne der gewünschten Selbstaktivierung besonders vorteilhaft. In ihrer Klinik haben die Bamberger Experten gute Erfahrungen mit der Infrarot-A-Hyperthermie gemacht. Diese wirkt nicht nur schmerzlindernd und antidepressiv. Das Anheben der Körperkerntemperatur auf 38,5 °C setzt auch neuroendokrine und immunologische Reize. Beispielsweise werden T-Lymphozyten gewebegängiger und vermehrt Interleukin-2 und Interferon-g ausgeschüttet. Oft können die Patienten nach der Hyperthermie ihre Schmerzen besser lokalisieren. Das ermöglicht an diesen Stellen weitere Behandlungen wie Trockenbürsten nach Kneipp oder Einreibungen mit Rosmarin- oder Malvenöl. Noch ist die Ganzkörperhyperthermie nicht als Empfehlung in die Leitlinien aufgenommen worden. Zur weiteren Klärung der Effektivität planen die Kollegen eine Sham-kontrollierte Studie am Klinikum Bamberg. Schon Einzug gehalten in die Leitlinie hat dagegen die Akupunktur. Sie wird auf Basis eines Cochrane-Reviews als Körperakupunktur zur Behandlung der Schmerzen empfohlen.

Beim zweiten Fibromyalgie-Symptom-Cluster dominieren nicht-erholsamer Schlaf plus körperliche und/oder geistige Erschöpfungsneigung. Diese Patienten neigen eher zur Unruhe. Brennende Schmerzen und Missempfindungen in Armen und Beinen verhindern die erholsame Nachtruhe. Depressive Verstimmung und Bewegungsmangel stehen bei diesen Patienten nicht im Vordergrund – im Gegenteil: Oft kommen sie tagsüber kaum zur Ruhe. Dabei ist ihre Leistungsfähigkeit und Lebensqualität aufgrund des Schlafmangels jedoch meist eingeschränkt.

Bei diesen Patienten ist es zielführend, den Schlaf durch eine Reduktion der Missempfindungen zu verbessern. Die Hälfte von ihnen weist eine Small-Fiber-Polyneuropathie auf. Diesen Patienten können Trockenbürsten und capsaicinhaltige Salben helfen. Möglich ist zudem ein Therapieversuch mit Schmerzmitteln aus Baumrindenextrakten, schreiben die Autoren. Diese haben weniger unerwünschte Wirkungen als die zur Schmerzlinderung häufig eingesetzten NSAR. Eine zusätzliche Orientierungshilfe bieten die Leitlinien zu Schlafstörungen.

Zur Besserung der Nachtruhe sind außerdem schlafanstoßende Auflagen (Lavendelherzauflagen) und Phytotherapeutika wie Baldrian, Lavendelöl oder Melisse eine Option. Ordnungstherapeutische Interventionen können den Tag-Nacht-Rhythmus wiederherstellen, außerdem sollten achtsame Bewegungsformen wie Qigong etabliert und auf eine gute Schlafhygiene geachtet werden.

*    S3-Leitlinie Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms, AWMF-Reg. Nr. 145-004

Quelle: Langhorst A, Langhorst J. Schmerz 2023; 37: 319-323; DOI: 10.1007/s00482-023-00716-7