Anzeige

Autologe Blutstammzelltransplantation Restart fürs Immunsystem

Autor: Maria Weiß

Mittels Apherese werden die haematopoetischen Stammzellen gewonnen und nach Konditionierung des Patienten reinfundiert. Mittels Apherese werden die haematopoetischen Stammzellen gewonnen und nach Konditionierung des Patienten reinfundiert. © Science Photo Library/PHANIE/GARO
Anzeige

Die autologe Blutstammzelltransplantation wurde in den Medien schon als Wundermittel gegen MS und andere immunvermittelte neurologische Erkrankungen gefeiert. Verständlich, dass viele Patienten danach fragen. Doch für wen ist die Behandlung wirklich geeignet?

Mit einer autologen hämatopoetischen Stammzelltransplantation (aHSCT) soll das autoreaktive Immunsystem quasi zu einem „Reboot“ veranlasst werden. Das Verfahren wird derzeit bei bestimmten immunvermittelten neurologischen Erkrankungen erprobt: vor allem bei Multipler Sklerose (MS), aber auch bei chronischer inflammatorischer demyelinisierender Neuropathie (CIDP), Neuromyelitis optica, Stiff-Person-Syndrom und Myasthenia gravis. Einige ausgesuchte Patienten mit diesen Krankheiten könnten tatsächlich von einer aHSCT profitieren, schreibt Dr. ­Gavin ­Brittain vom Sheffield Teaching Hospitals NHS Foundation Trust. Ein Wundermittel ohne Nebenwirkungen, wie es z.T. im Internet dargestellt wird, sei die Methode aber nicht.

Einige Patienten haben – zumindest in Großbritannien – offenbar das Gefühl, von ihren Ärzten unzureichend über die neue Therapie­option informiert zu werden. Wenn sie dann auf eigene Faust im Internet recherchieren, stoßen sie z.T. auf unseriöse Anbieter und viele Indikationen, die nicht offiziell empfohlen werden. Oft handelt es sich gar nicht um immunvermittelte Erkrankungen. 

Im Register der European Society for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) waren bis 2021 rund 2.000 Behandlungsversuche mit einer aHSCT bei immunvermittelten neurologischen Erkrankungen erfasst, davon 1.875 bei Multipler Sklerose. Nachdem anfangs zumeist MS-Patienten in der progressiven Krankheitsphase und mit bereits hohem Behinderungsgrad behandelt wurden, konzentriert sich die Behandlung heute eher auf die Phase der aktiven Inflammation. Hier lässt sich durch die aHSCT die Krankheitsaktivität bei schubförmiger MS (RRMS) komplett unterdrücken. 

Die drei Phasen der Stammzelltherapie

1. Mobilisierung

Die Patienten erhalten zuerst den Botenstoff G-CSF (Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor) plus Cyclophosphamid gegen die mögliche G-CSF-induzierte Krankheitsaktivierung. Danach werden die Stammzellen mittels Apharese „geerntet“.

2. Konditionierung

Es erfolgte eine kurze (aber intensive) Chemotherapie plus T-Zell-depletierende Serotherapie. Danach werden die autologen Stammzellen reinfundiert. Für etwa vier Wochen, bis zum Angehen des Implantats, müssen die Patienten stationär überwacht werden und erhalten eine supportive Therapie (protektive Isolation, Antiinfektiva, Transfusionen etc.).

3. Follow-up

Nach Entlassung ist über etwa drei Monate ein Schutz durch antifungale und antivirale Medikamente nötig, außerdem Antipneumocystis-Prophylaxe, Screening auf Cytomegalie und Epstein-Barr. Ggf. ist eine Rehabilitation aufgrund der langen Immobilisierung angezeigt.

85 % der Studienteilnehmer blieben fünf Jahre rezidivfrei

In der bisher einzigen prospektiven Studie, in der nur Patienten mit hochaktiver RRMS eingeschlossen waren, lag die Rate an progressionsfreiem 5-Jahres-Überleben bei 90 %. Bei 85 % der Teilnehmer verlief dieser Zeitraum ohne Rezidive.

Grundsätzlich sind schwere Nebenwirkungen auch bei einer aHSCT möglich, schreibt Dr. Brittain, bislang seien diese in den MS-Studien aber nicht aufgetreten. Am häufigsten waren Fatigue, Elektrolytstörungen und eine vorübergehende Transaminasenerhöhung – die Infektionsrate unterschied sich mit 0,19 Infektionen/Patientenjahr nicht von der Standardbehandlung.

Als belastend empfanden viele MS-Patienten die Phase der Isolation und eingeschränkten Mobilität, die z.T. mit einer erhöhten Spastizität und reduzierter Gehfähigkeit einherging. Spezielle Rehabilitationsmaßnahmen können daher erforderlich sein.  

Grad-I-Evidenz für bestimmte RRMS-Fälle

Empfohlen wird die aHSCT heute mit einer Grad-I-Evidenz für Patienten mit hochaktiver RRMS, bei denen die Standardtherapien versagt haben. Auch bei anderen immunvermittelten neurologischen Erkrankungen, die auf Standardtherapie nicht ansprechen, kann eine aHSCT in Erwägung gezogen werden. Wichtig ist in jedem Fall die sorgfältige Selektion geeigneter Patienten. Außerdem sollte die Therapie in akkreditierten Zentren stattfinden, in denen die Patienten von multidisziplinären Teams betreut und in klinische Studien eingeschlossen werden, so Dr. Brittain. Unter dem Strich könnte die aHST auch ökonomisch interessant sein, da auf lange Sicht die Kosten für andere Behandlungen und weitere medizinische Interventionen eingespart werden können.

Quelle: Brittain G et al. Pract Neurol 2022; DOI: 10.1136/pn-2022-003531