Vom Modellprojekt zur Verstetigung Schulgesundheitsfachkräfte: Kein Kostentreiber, sondern Effizienzreserve

Autor: Antje Thiel

Für eine flächendeckende Einführung von Schulgesundheitsfachkräften stehen die politischen Zeichen aktuell günstig wie nie. Für eine flächendeckende Einführung von Schulgesundheitsfachkräften stehen die politischen Zeichen aktuell günstig wie nie. © SATITI - stockadobe.com (Generiert mi KI)

Auch in Deutschland könnten nach Überzeugung von Fachleuten ausgebildete Pflegefachpersonen an Schulen künftig bald Standard sein.

Für eine flächendeckende Einführung von Schulgesundheitsfachkräften stehen die politischen Zeichen aktuell günstig wie nie. Profitieren würden insbesondere Kinder mit chronischen Erkrankungen wie Typ-1-Diabetes. 

Wenn es um die Unterstützung von Kindern mit Typ-1-Diabetes im Schulalltag geht, sind derzeit in erster Linie die Eltern zuständig. Damit jemand Glukosewerte und Symptome für Hypo- bzw. Hyperglykämien im Blick hat und bei Bedarf beim Berechnen von Kohlenhydraten hilft, müssen sie oft einen Flickenteppich unterschiedlicher Hilfen koordinieren. Um Hilfe in Form einer Einzellösung zu erhalten, führt sie ihr Weg vom Kinderarzt zur Krankenkasse, vom Schulamt zur Kommune – und am Ende fühlen sie sich häufig genug alleingelassen. Die Folge sind Lücken in der Betreuung, unnötige Fehlzeiten am Arbeitsplatz, belastete Familien und Lehrkräfte, die im Notfall improvisieren müssen.

„Am Ende passiert oft gar nichts“ – das soll ein Ende haben

Abhilfe könnten Schulgesundheitsfachkräfte (SGFK) schaffen, wie sie bereits in vielen anderen Ländern gang und gäbe sind. Sie leisten medizinische Hilfe im Notfall, kümmern sich um die besonderen Bedarfe chronisch kranker Kinder, vermitteln Gesundheitskompetenz und leisten wertvolle Präventionsarbeit. Bei einem Fachtag im Mai 2025, veranstaltet vom Gesundheitsamt Stuttgart unter Leitung von Professor Dr. Stefan Ehehalt und dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) im Gesundheitsamt in Stuttgart, wurde diskutiert, wie die flächendeckende Einführung von SGFK in öffentlichen Schulen gelingen kann.

Für Professor Dr. Heidrun Thaiss, Kinderärztin und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ), ist klar: „Kinder haben einen Anspruch darauf, im Schulalltag die Unterstützung zu bekommen, die sie für ihre gesundheitliche Sicherheit brauchen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dafür sollte kein schrecklicher Gang durch die Instanzen nötig sein.“ Schulgesundheitsfachkräfte sollten aus ihrer Sicht daher neben Schulpsycholog*innen und Schulsozialarbeiter*innen fester Bestandteil der interdisziplinären Teams an Schulen sein.

Bislang ging es auf dem Weg dorthin in Deutschland allerdings nur zäh voran. Für Bildung, Gesundheit und Soziales sind unterschiedliche Akteure zuständig. Bund, Länder, Kommunen und Krankenkassen schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. „Der Bund sagt, das ist Ländersache, die Länder zeigen auf die Kommunen – und am Ende passiert oft gar nichts“, kritisiert Professor Dr. Andreas Neu, Kinderdiabetologe aus Tübingen.

Erhebliche Entlastung – und immense Einsparungen

Doch mittlerweile zeigen Daten aus etlichen befristeten Modellprojekten in mehreren Bundesländern, dass Schulgesundheitsfachkräfte Eltern und Lehrkräfte erheblich entlasten, die Betreuung von Kindern mit chronischen Erkrankungen erleichtern und die Gesundheitskompetenz der Schüler*innen verbessern. Den Kosten für die Pflegepersonen stehen daher immense Einsparungen gegenüber, weil weniger Rettungseinsätze und Schulbegleitungen nötig sind und sowohl Schüler*innen als auch ihre Eltern weniger Fehlzeiten im Unterricht bzw. am Arbeitsplatz verzeichnen.

Auch ein weiteres häufig vorgebrachtes Gegenargument ist in den Augen von Prof. Thaiss längst widerlegt: „Es heißt oft, dass es zu wenig Pflegekräfte gibt, und mit Schulgesundheitsfachkräften würden dem System weitere Kräfte entzogen.“ Tatsächlich aber könnten viele Pflegekräfte ihren anstrengenden Beruf gar nicht bis zur Rente ausüben. Für sie sei der Wechsel in die Schulgesundheitspflege eine Möglichkeit, bis zum Schluss in einem pflegerischen Beruf zu arbeiten. „Damit konnten wir tatsächlich schon Pflegekräfte zurückgewinnen, die sich bereits umorientiert hatten – das macht den Beruf sogar attraktiver!“

Sind Schulgesundheits-fachkräfte bald Standard?

Und so zeichnet sich inzwischen ein klarer Aufwärtstrend ab. In zehn von 16 Bundesländern laufen aktuell Projekte oder Vorhaben, teilweise mit explizitem Ausbauauftrag. Hessen gilt als Vorreiter mit 50 unbefristeten Stellen, in Stuttgart sind zehn festangestellte Schulgesundheitsfachkräfte tätig. Bundesweit sind es rund 150 – ein Bruchteil gemessen an den etwa 30.000 Schulen in Deutschland, aber dennoch ein wichtiger Schritt. Prof. Neu sagt: „Ich denke, dass Schulgesundheitsfachkräfte in einigen Jahren in Deutschland Standard sind.“ Und Prof. Thaiss ist ebenfalls optimistisch: „Wir nähern uns rasant dem Ziel, ich sehe fünf Jahre als realistisch an.“ 

Treiber dieser Entwicklung sind mehrere Faktoren: Da sind zum einen der gesetzlich verankerte Ausbau der Ganztagsbetreuung, die steigende Zahl chronisch kranker Kinder sowie wachsende gesellschaftliche Erwartungen an Teilhabe und Inklusion. Gleichzeitig wächst in der Politik die Einsicht, dass sich Bildungs- und Gesundheitsfragen nicht voneinander trennen lassen. Prof. Thaiss verweist in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des Sozialgerichts Darmstadt (Az. S 13 KR 262/23), wonach die Schulbegleitung bei Kindern mit Typ-1-Diabetes keine Eingliederungshilfe darstellt, sondern eine Leistung, die von der Krankenkasse übernommen werden muss. „Die Kosten für diese Individualhilfen sind in den vergangen Jahren derart stark gestiegen, dass man mit dem Geld überall Schulgesundheitsfachkräfte einsetzen könnte – inklusive Urlaubsvertretung“, erklärt sie.

Auch der Zusammenschluss von Bildung und Familie in einem Bundesministerium stimmt Prof. Thaiss hoffnungsvoll, ebenso wie die Besetzung des Ressorts mit Karin Prien. Denn die CDU-Politikerin ist aus ihrer Arbeit als Kultusministerin von Schleswig-Holstein mit den Vorteilen von Schulgesundheitsfachkräften vertraut – schließlich gehören diese in den Schulen der dänischen Minderheit zur Grundausstattung.

Zudem entstehen Strukturen, die eine flächendeckende Einführung erleichtern: In Kooperation mit der Robert Bosch Stiftung wird eine bundesweit einsetzbare Dokumentationssoftware entwickelt, die 2026 starten soll. „Sie ermöglicht eine standardisierte Erfassung von Attesten, Behandlungsplänen und Einsätzen – vergleichbar mit einer digitalen Patientenakte für den schulischen Kontext“, erklärt Prof. Neu. Erste Krankenkassen und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) in Baden-Württemberg hätten bereits Unterstützung signalisiert, etwa durch Zuschüsse für Erstausstattung der Behandlungsräume und Erste-Hilfe-Material. Und die Erfahrung zeigt: „Wenn eine Kasse erst mal dabei ist, wollen die anderen meist nicht nachstehen. Das ist also ein sehr gutes Zeichen.“

Mehr zum Thema

  • Die DDG setzt sich seit Jahren intensiv für die Einführung von Schulgesundheitsfachkräften ein. Wer auf ddg.info nach „Schulgesundheitsfachkraft“ sucht, hat Zugriff auf alle Dokumente – darunter ein Positionspapier von u. a. DDG, diabetesDE, DGKJ und DGSPJ.
  • Der Projektbericht zum Modellprojekt „Schulgesundheitsfachkräfte“ in Stuttgart 2021–2024 ist hier einsehbar: www.stuttgart.de/medien/ibs/projektbericht_zum_modellprojekt_final.pdf
  • Der Kindergesundheitsbericht 2024 der Stiftung Kindergesundheit zum Thema „Schule & Gesundheit“ enthält mehrere Beiträge über den Einsatz von Schulgesundheitsfachkräften: www.kindergesundheit.de/Die-Stiftung/
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