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„Sie sterben alle“

Autor: Michael Brendler

Die kleinen Patienten werden bei den Untersuchungen von ihren Eltern unterstützt. Die kleinen Patienten werden bei den Untersuchungen von ihren Eltern unterstützt. © Kai Gebel und Uta Dirksen
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Seit 2011 engagieren sich deutsche Entwicklungshelfer in einem Projekt für krebskranke Kinder in Eritrea. Eine alte Kinderklinik soll nun eine onkologische Station bekommen. Ihr Ziel ist es, die einheimischen Mitarbeiter zu kinderonkologischen Fachleuten auszubilden.

Ein Stück Papier – mit viel mehr Hilfe kann ein krebskrankes Kind in Eritrea aktuell nicht rechnen. Die Ausreiseerlaubnis wird den Eltern vom Gesundheitsministerium in die Hand gedrückt. Einen Arzt im Ausland und das Geld müssen sich diese dann selber organisieren.

Professor Dr. Uta Dirksen von der Universitätskinderklinik Essen hat so einen Fall erlebt. Ein Jahr brauchten die Eltern, bis es der Junge endlich zu ihr nach Deutschland schaffte. Vor allem die deutschen Behörden hatten ihnen Steine in den Weg gelegt – sie wollten das Kind zunächst nicht allein ins Land lassen. „Man kann nur von Glück sagen, dass er ein Hodgkin-Lymphom hatte“, sagt die Professorin für Pädiatrische Onkologie. Denn diese wachsen nicht so schnell.

Die Abteilung muss stehen, bevor behandelt wird

Vielen ergeht es anders: Geschätzte 500 Kinder erkranken jedes Jahr in dem afrikanischen Land an Krebs. Ihr Schicksal fasst Prof. Dirksen kurz und traurig zusammen: „Sie sterben alle“.

Fast zehn Jahre dabei

Mit der Arbeit in Eritrea erfüllt sich Prof. Dirksen einen alten Jugendtraum – schon als Studentin wollte sie in die Entwicklungshilfe. 2011 waren die eigenen Kinder dann endlich groß genug, um erstmals als Helferin nach Eritrea zu reisen. Die katastrophalen Zustände, die sie dort erlebte, veranlassten die Ärztin, zusammen mit ArcheMed das aktuelle Projekt zu starten. Momentan fährt alle sechs Wochen mindestens eine onkologisch ausgebildete Fachkraft Richtung Afrika, später möchte man die Zügel mehr schleifen lassen. In fünf Jahren, so die Hoffnung, sollen die meisten krebskranken Kinder im Land behandelt werden können. Und wo sieht sich die Onkologin in zehn Jahren? „Dann“, sagt sie, „fahre ich nur noch zum Urlaub machen nach Eritrea.“

Gemeinsam mit der Hilfsorganisation ArcheMed – Ärzte für Kinder in Not e.V. hat sich die 54-Jährige vorgenommen, das zu ändern. Ganz sorgfältig und auf Augenhöhe mit den eritreischen Partnern soll die Möglichkeit einer onkologischen Behandlung eingeführt werden. Aktuell wird in einer alten Kinderklinik in Asmara, die noch von der früheren italienischen Kolonialmacht stammt, ein Trakt mit zwei Behandlungszimmern und insgesamt sechs Betten zur onkologischen Station umgebaut. Über drei Jahre ziehen sich die Arbeiten nun schon hin. „Bevor die Abteilung steht, dürfen wir keine Kinder behandeln“, sagt die Ärztin, denn so lautete die Vorgabe der eritreischen Partner. Und den Draht zu ihnen gilt es unbedingt zu pflegen, wenn das Projekt eine Zukunft haben soll.

Wie hilft man, wenn man eigentlich nicht helfen darf?

Aus einem ähnlichen Grund will man zunächst auch nur Kinder mit einem Burkitt-Lymphom, einem Hodgkin-Lymphom oder einem Wilms-Tumor behandeln – alles Krankheiten, die in Deutschland fast hundertprozentige Heilungsraten haben. Schwere Komplikationen könnten zur Entmutigung der Partner führen, wie die Onkologin es ausdrückt. Erst später soll das Aufgabenfeld auch Erkrankungen wie Leuk­ämien mit höheren therapieassoziierten Sterberaten umfassen. Momentan konzentrieren sich die deutschen Helfer darauf, ein solides Fundament für die Zukunft zu schaffen. Der nächste Besuch von Prof. Dirksen ist bereits geplant. Mit dabei wird neben einer jüngeren Kollegin auch ein Pharmakologe sein sowie zwei MTLA aus dem Essener Labor und einige Pflegekräfte. In Eritrea angekommen, wird man die einheimischen Kollegen bei ihren Besprechungen und Stationsvisiten begleiten, auch ein paar dia­gnostische Eingriffe sind geplant. Wichtigste Aufgabe sei aber die Ausbildung. In klassischen Unterrichtseinheiten, aber auch am Krankenbett wollen die Entwicklungshelfer die Pfleger, Laborkräfte und Ärzte vor Ort zu kinder­onkologischen Fachleuten machen.

Vertrauen schaffen – auf allen Ebenen

„Es ist sehr wichtig, dass die einheimischen Fachkräfte die Arbeit auch allein machen können“, betont Prof. Dirksen. Ein ausländischer Fachmann sei in Zukunft schließlich nicht immer in der Nähe. Das Stichwort Nachhaltigkeit steht bei dem Projekt ganz oben auf der Agenda. Dazu gehört es auch, auf allen Ebenen Vertrauen zu schaffen. Den Pharmazeuten und Pflegekräften müsse das Team aktuell zum Beispiel ihre „wahnsinnige“ Angst vor den Chemotherapeutika nehmen. „Sie dachten, wenn sie die Medikamente aufziehen, bekommen sie selber Krebs“, erzählt die Kinderärztin. Das müsse man ihnen jetzt erst einmal ausreden.

Das Projekt ist bisher ein voller Erfolg

Trotzdem: Die Resonanz auf das Fortbildungsangebot ist sehr groß. Viele verzichten sogar oft auf ihre Freizeit, um mitmachen zu können. Allerdings gibt es auch die bitteren Stunden zu durchstehen, wie Prof. Dirksen es nennt. 16 krebskranke Kinder hat sie bei ihrem letzten Besuch in gerade einmal zwei Wochen kennengelernt, und keinem von ihnen durfte sie helfen. Das sei schwer zu ertragen. Es ist nur ein schwacher Trost, aber in mancherlei Hinsicht können die Eigenschaften der Eritreer die Entwicklungshilfe auch erleichtern. „Die Eritreer sind sehr sortiert, man könnte es fast preußisch nennen“, sagt die Ärztin. Alles werde notiert, alles mindes­tens dreimal nachgerechnet. Patienten, die ihre Behandlungstermine nicht einhalten? In Eritrea unvorstellbar.

Medical-Tribune-Bericht