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MS-Biomarker sNfL oder sGFAP? Sowohl als auch!

DGN 2023 Autor: Friederike Klein

Mit der Berechnung von sNfL-Perzentilen oder Z-Scores lassen sich sensitiver jene Patienten mit MS identifizieren, die ein hohes Risiko für einen Progress aufweisen. Mit der Berechnung von sNfL-Perzentilen oder Z-Scores lassen sich sensitiver jene Patienten mit MS identifizieren, die ein hohes Risiko für einen Progress aufweisen. © MQ-Illustrations - stock.adobe.com
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Biomarker für die Prognose und die Kontrolle des Behandlungserfolgs bei Multipler Sklerose sind seit Langem Gegenstand der Forschung. In absehbarer Zeit könnten Neurofilament-Leichtketten, die inzwischen im Serum bestimmt werden können, Einzug in die Klinik halten. Das saure Glia-fibrilläre Protein wird keine Konkurrenz, sondern Ergänzung dazu sein.

Neurofilament-Leichtketten (NfL) im Liquor oder im Serum sind Ausdruck der axonalen Schädigung bei neurodegenerativen Prozessen – ob bei Multipler Sklerose, Alzheimer, der Parkinsonerkrankung oder einem Schädel-Hirn-Trauma. Der NfL-Wert im Serum (sNfL) wird aber auch durch das Alter beeinflusst und muss daher entsprechend interpretiert werden, betonte Prof. Dr. ­Jens ­Kuhle vom Multiple-Sklerose-Zentrum der Universitätsklinik Basel. Fixe Sollwertbereiche führen beispielsweise bei jungen Patienten unter Umständen zu falsch-negativen und bei alten Patienten zu falsch-positiven Ergebnissen.

Mit der Berechnung von sNfL-Perzentilen oder Z-Scores lassen sich sensitiver jene Patienten mit MS identifizieren, die ein hohes Risiko für einen Progress aufweisen. Auch wenn es keinen Hinweis auf Krankheitsaktivität nach den ­NEDA-3-Kriterien gibt, prädiziert der sNfL-Wert die Krankheitsaktivität im nächsten Jahr, berichtete Prof. Kuhle. Zudem ließ sich anhand der sNfL-Z-Scores die Langzeitwirksamkeit der MS-Therapien vergleichen: Monoklonale Antikörper (mAB) reduzierten die sNfL am schnellsten; mAB und orale krankheitsmodifizierende Therapien führten im Verlauf häufig zu einem normalisierten sNfL-Z-Score. Erhöhte Werte sind auch mit einer schubfreien Verschlechterung von Symptomen (PIRA) ein bis zwei Monate später assoziiert. Das unterstreicht die Bedeutung der Normalisierung der Werte, meinte Prof. Kuhle. Zum PIRA-Zeitpunkt selbst ist der sNfL-Z-Score dagegen nicht unbedingt erhöht.

Wann wird die sNfL-Testung Routine?

Derzeit bemühen sich verschiedene Hersteller, die in allen großen deutschen Laboren vertreten sind, um die Zulassung von sNfL-Tests. Daher rechnet Prof. Dr. ­Stefan ­Bittner von der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz mit einer Verfügbarkeit ab 2024 oder 2025. Auf dem Befundschein sollten seiner Meinung nach sowohl der absolute Wert als auch alters- und Body-Mass-Index-korrigierte Perzentile und Z-Scores angegeben werden, wobei sich Perzentile und Z-Scores ineinander umrechnen lassen. Ein Wert von 0 auf dem Z-Score entspricht der Norm in der Referenzpopulation, ein Wert von 1 einer Standardabweichung über dem Normalwert. Gemessen werden sollte das sNfL mindestens drei Monate nach einem Schubereignis oder einer fokalen Krankheitsaktivität im MRT. Gesichert ist dann die prognostische Wertigkeit des sNfL für Schübe, EDSS-Verschlechterung und neue T2-Läsionen in den nächsten zwei Jahren. Zeigen sich bei wiederholter Messung ansteigende sNfL-Werte, ist das mit einem späteren Risiko für PIRA und SPMS-Konversion assoziiert. GFAP ist als Biomarker noch weniger gut etabliert und hinkt den sNfL wahrscheinlich bezüglich der Einführung in der Routine um zwei Jahre hinterher, meinte Prof. Bittner.

Das saure Gliafaserprotein (glial fibrillary acidic protein, GFAP) ist ein Strukturprotein von Astrozyten, das im Serum als Biomarker auf die Neurodegeneration vor allem bei progredienter MS (PMS) hindeutet. Der sGFAP-Wert ist in dieser Situation signifikant gegenüber einer stabilen MS erhöht. Bei Berücksichtigung anderer Einflussfaktoren ist der Unterschied zwischen progredienter und stabiler MS nur für sGFAP, nicht aber für sNfL signifikant. Das sGFAP ist auch ein Prädiktor für PIRA innerhalb von vier Jahren unter einer hochwirksamen MS-Therapie.

Vorläufige Ergebnisse deuten laut Prof. Kuhle darauf hin, dass die sGFAP bei PMS im Verlauf signifikant und deutlicher als sNfL ansteigt, bei schubförmiger MS (RMS) dagegen nicht. Prof. Kuhle präsentierte eine noch nicht publizierte Auswertung der Schweizerischen MS-Kohorte, in der Geschlecht, Krankheitsdauer, EDSS-Score**, Therapie und kürzlich aufgetretene Schübe als Einflussfaktoren berücksichtigt wurden. Nur anhand der sGFAP-Z-Scores, nicht aber anhand der sNfL-Z-Scores, ließen sich Patienten mit und ohne Entwicklung einer PIRA differenzieren. Die sGFAP-Z-Scores im höchs­ten Quartil waren gegenüber den drei anderen Quartilen mit einem 2,4-fach erhöhten Risiko für eine PIRA assoziiert.

Prof. Kuhle geht davon aus, dass sGFAP als Biomarker die Bestimmung von sNfL nicht ersetzt, sondern ergänzt: sNfL helfen im Fall einer schubförmigen MS bei der Prognoseeinschätzung und der Beurteilung der Krankheitsaktivität, auch unter Therapie. Der sGFAP-Wert dagegen könnte insbesondere bei PMS als Biomarker zukünftig eine wichtige Rolle spielen. 

Quelle: DGN*-Kongress 2023

*    Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.
** Expanded Disability Status Scale