
Schwindel, Stolpern und Synkopen Strukturierte Sturzanamnese deckt Ursachen auf und verhindert Folgeereignisse

Rund ein Drittel der über 65-Jährigen stürzt mindestens einmal im Jahr, mit zunehmendem Alter werden solche Ereignisse häufiger. Vor allem Frakturen der Hüfte, Wirbelkörper, der oberen Extremitäten und des Kopfs führen zu oft schweren späteren Einschränkungen im Alltag. Um erneute Stürze möglichst zu vermeiden, ist eine umfassende Sturzanamnese entscheidend. Wie Dr. Markus Hobert vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck beschreibt, ist zunächst zwischen Risikofaktoren und akuten Sturzursachen zu differenzieren. Frühere Stürze, weibliches Geschlecht, eingeschränkte kognitive Fähigkeiten, Sehstörungen und höheres Alter sind typische Risikofaktoren. Als jeweilige Ursache des Ereignisses kommen Schwindel, Stolpern, ein Unfall oder eine Synkope infrage. Probleme mit dem Gleichgewicht und Gehen sind Risikofaktoren und Sturzursache zugleich.
Anamnestisch sind ausführlich die Vorgeschichte sowie möglichst Mechanismus und Ursache des Sturzes zu ermitteln, am besten auch per Fremdanamnese. Unterschieden werden synkopale Stürze, denen ein Bewusstseinsverlust voranging, von extrinsischen Stürzen im Sinne eines Unfalls durch Einwirkung von außen und lokomotorisch-intrinsischen Ereignissen. Letztere machen 80 % der Stürze aus und entstehen bei eigentlich üblichen Alltagsaktivitäten. Sie können auf z.B. auf neurologische Erkrankungen, Gebrechlichkeit oder kognitive Defizite hinweisen. Wichtige Hinweise liefern u.a. auch die Häufigkeit der Stürze, die Richtung des Fallens, der Ort und die Frage nach verwendeten Hilfsmitteln. Zu erfragen ist zudem die Medikation: „FRIDs“ (fall risk increasing drugs), wie Sedativa, Opioide etc., aber auch Blutdrucksenker oder Diuretika, erhöhen das Sturzrisiko. Einige Personen berichten auch über eine Sturzangst – dies zieht oft Inaktivität und motorische Unsicherheit nach sich, die wiederum das Sturzrisiko erhöhen.
Bei der klinischen Untersuchung gilt es zunächst, die Bewegungsabläufe zu beurteilen: Aufstehen, Gehen, Hinsetzen und Drehen. Dreht eine Person sich rückwärts, besteht eine eher höhere Sturzgefahr. Die Testung des Gleichgewichts, etwa per Romberg-Test, und die Untersuchung der Muskelkraft bzw. Erkennen von Paresen schließen sich an. Kann die Person bei passiver Drehung des Kopfs den Blick fixieren (Kopfimpulstest), spricht dies für ein intaktes Vestibularorgan. Die Prüfung des Vibrationsempfindens per Stimmgabel erlaubt Hinweise auf eine mögliche Polyneuropathie oder Hinterstrangschädigung. Die Blutdruckmessung im Liegen und Stehen sowie ein geriatrisches Assessment, inklusive Bewertung von Frailty, der kognitiven Fähigkeiten mithilfe des Montreal Cognitive Assessment-Tests sowie der Motorik z.B. mit dem Timed-up-and-go-Test oder der Short Physical Performance Battery, komplettieren die Untersuchung. Für die Beurteilung v.a. der motorischen Fähigkeiten können zusätzlich Wearables, etwa Fitnesstracker, hilfreich sein, sind aber für eine breite Anwendung oft noch zu ungenau.
Ermöglichen eine entsprechend strukturierte Anamnese und Untersuchung es, sich ein genaues Bild der Sturzursache und Begleitfaktoren zu machen, lassen sich präventive Maßnahmen individueller durchführen. Diese reichen von der Therapie vorliegender Grunderkrankungen über die Umstellung der Medikation bis zur Beseitigung häuslicher Stolperfallen.
Quelle: Hobert MA. Internistische Praxis. 2025; 69: 100–108