
Pflanzliche Präparate Top oder Flop bei rheumatischen Erkrankungen?

Chronisch Kranke möchten häufig selbst etwas für ihre Gesundheit tun – und greifen dabei gerne zu komplementären Methoden. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie (DGRh) gründete 2021 die Kommission „Komplementäre Heilverfahren und Ernährung“. Diese Kommission sichtete kürzlich die wissenschaftliche Literatur zu verschiedenen Phytotherapeutika und prüfte mögliche Anwendungen in der Rheumatologie sowie bei nicht-entzündlichen muskuloskelettalen Indikationen. Dabei ging es um die Frage, welche Erkenntnisse es zur Wirksamkeit von Borretschöl, Brennnessel- und Cannabispräparaten sowie von Zubereitungen mit Hagebutte, Rosmarin, Safran und Weidenrinde gibt. Zusätzlich wurde ein bei Rheumapatientinnen und -patienten beliebtes Kombinationspräparat aus Eschenrinde, Zitterpappelrinde und Echtem Goldrutenkraut untersucht.
Herausgekommen sind acht ausführliche phytotherapeutische Einzelporträts, die alle auf der DGRh-Webseite zur Verfügung stehen. Kurz zusammengefasst, kam die Kommission zu folgenden Ergebnissen:
- Phytotherapeutika auf der Basis von Safran und Rosmarin empfiehlt die Kommission nicht.
- Borretschöl aus Samen kann bei standardisierter Herstellung im Rahmen einer gesundheitsbewussten Ernährung eingenommen werden. Eine nennenswerte entzündungshemmende Wirkung sei jedoch nicht zu erwarten.
- Von Präparaten auf der Basis von Brennnessel, Weidenrinde oder Hagebutte müssten Ärztinnen und Ärzte nicht abraten, wenn ansonsten eine sinnvolle Basistherapie eingehalten würde. Dies gelte auch für das Kombinationspräparat aus Esche/Zitterpappel/Echtem Goldrutenkraut.
- Für medizinisches Cannabis existiere keine ausreichende Evidenz, die eine Empfehlung bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zur Krankheitsmodifikation oder zur symptomatischen Therapie rechtfertige. In Einzelfällen könne jedoch die Anwendung zur Reduktion von chronischen, insbesondere neuropathischen Schmerzen sowie Schlafstörungen gerechtfertigt sein.
„Die Ergebnisse zeigen: Der Stellenwert der Phytotherapie für das Fachgebiet ist gering und ihre Anwendung nicht als risikofrei anzusehen“, so das ernüchternde Fazit von Prof. Dr. Christof Specker, Evangelische Kliniken Essen-Mitte.
Jahrzehntelange Anwendung untermauert Verträglichkeit
Dies möchte Dr. Rainer Stange, Charité – Universitätsmedizin Berlin und Immanuel Krankenhaus Berlin, nicht unkommentiert stehen lassen. Der Kollege hinterfragt die Auswahl der Phytotherapeutika und vermisst Porträts zu Teufelskralle, Weihrauch und Curcuma. Zudem kritisiert Dr. Stange die Verträglichkeitseinschätzungen der Kommission als „durchweg sehr oberflächlich beschrieben“. Ein relevantes Verträglichkeitsproblem sei für keine der Pflanzen konkret, d. h. aus Studien oder Fallberichten, nachvollziehbar. Umgekehrt würde eine jahrzehntelange breite Anwendung nicht als mögliches Indiz für gute Verträglichkeit gewertet.
Dr. Stange weist auch auf die Tatsache hin, dass nur wenige Studien neueren Datums sind. Offenbar hätten viele früher aktive Arbeitsgruppen und Hersteller das Interesse an weiteren klinischen Studien verloren. Dies gelte für entzündliche und nicht-entzündliche Indikationen. Ein weiteres Manko sei, dass sowohl wichtige randomisierte, kontrollierte Studien (etwa zu dem erwähnten Kombinationspräparat) als auch Beobachtungsstudien (v. a. zu Brennnessel) nie veröffentlicht worden seien. „Diese Defizite erschweren es uns heute, wissenschaftlich die Bedeutung aufzuzeigen, die zumindest einige der hier vorgestellten Pflanzen in ihrer praktischen Nutzung offenbar haben“, bedauert Dr. Stange.
Die Phytotherapie hatte in der Rheumatologie nie den Anspruch, DMARD ersetzen zu können, betont der Experte. Ansatzpunkt der pflanzlichen Präparate sei vielmehr die Symptomlinderung – und damit liege die Phytotherapie mit NSAR auf einer Ebene. Die Folgen des langfristigen NSAR-Einsatzes (Nierenfunktionsstörungen bis hin zur finalen Niereninsuffizienz, jährlich bis zu 1.000 Todesfälle im Zusammenhang mit NSAR) seien bekannt.
Mit Phytotherapie lassen sich NSAR einsparen
Dr. Stange setzt auf NSAR-Einsparung mithilfe von pflanzlichen Präparaten. „Wenn es gelingt, mit Phytotherapie bei mindestens gleicher Zufriedenheit NSAR einzusparen, sollten alle im Boot sein. Auch wenn bisherige Studien mit randomisierten Vergleichen von Phytos versus NSAR zwar hoffnungsvoll sind, aber die Bedürfnisse der evidenzbasierten Medizin noch nicht 100%ig befriedigt haben.“
Quelle: 1.Pressemitteilung DGRh
2.Stange R. Zeitschrift für Phytotherapie 2025; 46: 3-10; doi: 10.1055/a-2406-0309