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Trainingsprogramme Undefinierte Post-COVID-Reha

DGP-Kongress 2024 Autor: Birgit Maronde

Diesen positiven wissenschaftlichen Publikationen scheint die Einschätzung vieler Patienten entgegenzustehen. Diesen positiven wissenschaftlichen Publikationen scheint die Einschätzung vieler Patienten entgegenzustehen. © tilialucida - stock.adobe.com
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Die Reha für Post-COVID-Patienten steht unter Beschuss: Statt zu helfen, verschlechtere sie die Situation, beklagen viele Betroffene. Experten verweisen dagegen auf Erfolge. Wird die post-exertionelle Malaise angemessen berücksichtigt, ist eine effektive Rehabilitation möglich, sagt einer von ihnen.

Die Verordnungen für eine Post-COVID-Rehamaßnahme haben in Deutschland massiv zugenommen – von etwa 1.500 in 2020 auf ca. 21.000 in 2022. Die Zahlen für 2023 dürften noch höher liegen, vermutet Dr. Rainer Glöckl, Sportwissenschaftler am Forschungsinstitut für Pneumologische Rehabilitation, Schön Klinik Berchtesgadener Land. Herausfordernd für die Rehabilitationsmediziner sei die Heterogenität der Symptome, mit denen sich die Patienten präsentieren. 

  • Aktuell am häufigsten sind Patienten mit mildem Akutverlauf von COVID 19, aber anhaltenden und zum Teil schweren Symptomen. Je nach Beschwerdebild kann man ihnen u.a. körperliches Training, Atemphysiotherapie, Atemmuskeltraining, psychologischen Support und/oder Hirnleistungstraining anbieten.
  • Eher selten liegt ein ME/CFS vor. Zwar gibt es für das Krankheitsbild keine kurativen Strategien, doch man weiß aus der Prä-Corona-Ära, was man Betroffenen empfehlen kann: Aktivitäts- bzw. Symptomtagebuch führen, Pacing-Strategien nutzen, Schlafhygiene, Entspannungstechniken und Selbsthilfegruppen.
  • Ein dritter möglicher Phänotyp ist das mittlerweile sehr seltene Post Intensive Care Syndrome (PICS) bzw. die Lungenfibrose nach schwerer COVID-19.
  • Eine gewisse Blackbox stellt nach Aussage von Dr. Glöckl der Phänotyp dar, bei dem sich vorbestehende Begleiterkrankungen verschlechtern. Es sei gar nicht einfach zu differenzieren, welche Symptome der Komorbidität und welche tatsächlich Corona zugeschrieben werden können. Einer aktuellen Studie zufolge erhöhen z.B. psychische Komorbiditäten das Risiko für eine Long-COVID-Diagnose signifikant. Notwendig sind daher umfangreiche klinische Untersuchungen und eine individuelle Therapie.

Ein weiteres Phänomen, das die Reha erschwert, ist die post-exertionelle Malaise (PEM). Selbst nach geringer geistiger oder körperlicher Anstrengung verschlimmern sich die Beschwerden der Post-COVID-Patienten und führen zu einer „übertriebenen“ Erschöpfungsreaktion. Diese kann bis zu 48 Stunden nach dem belastenden Ereignis (z.B. zwei Einkaufstüten nach Hause tragen) eintreten – keine guten Voraussetzungen für eine Trainingstherapie.

Dass sich körperliche Belastbarkeit und Lebensqualität von Post-COVID-Patienten im Vergleich zu Kontrollpersonen signifikant durch Rehamaßnahmen bessern lassen, hat im letzten Jahr ein systematisches Review plus Metaanalyse gezeigt. Auch in der deutschen Studie ReLoAd after COVID mit insgesamt 132 Patienten nahm die Lebensqualität in der Gruppe mit multimodaler stationärer Reha über drei Wochen deutlich und anhaltend zu (2. Messzeitpunkt drei Monate nach der Intervention). In der Kontrollgruppe mit üblicher Versorgung tat sich dagegen kaum etwas.

Diesen positiven wissenschaftlichen Publikationen scheint die Einschätzung vieler Patienten entgegenzustehen. So sorgte im November letzten Jahres eine Online-Publikation der Selbsthilfgruppe Long COVID Deutschland für mediale Furore. Diese hatte ihre Mitglieder nach deren Reha-Erfahrungen gefragt. In die Auswertung gingen die offenen Antworten von mehr als 700 Betroffenen ein. 50 % berichteten von einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands vor allem infolge von Kraft- und Ausdauertraining sowie von zu umfangreichen Behandlungsplänen. In der Folge wurde in den Medien berichtet, Reha würde bei Long COVID schaden: „Auf Krücken rein, im Rollstuhl raus.“

Eine Befragung unter 172 Long-COVID-Patienten von Kliniken der Deutschen Rentenversicherung ergab dagegen, dass medizinische Trainingstherapie und Ausdauersport als hilfreich erlebt werden. Wie kommt diese Diskrepanz zustande? Tatsächlich handelte es sich in den beiden Studien nicht um die gleiche Patientenklientel. In der Befragung der Selbsthilfegruppe gaben 95 % an, eine PEM zu haben, 52 % berichteten über eine ME/CSF-Diagnose. „Das ist nicht der Durchschnitt der Post-COVID-Population“, betonte Dr. Glöckl.

Für Verunsicherung im Hinblick auf die Reha sorgen zudem nicht evidenzbasierte Empfehlungen, etwa die einer schweizerischen Selbsthilfegruppe. Um PEM oder einen Crash zu vermeiden, müsse man in der Regel unter 55 % der maximalen Herzfrequenz bleiben, heißt es darin. Nehmen Betroffene das Ernst, wird eine Trainingstherapie erschwert und bei Älteren sogar unmöglich gemacht, so Dr. Glöckl.

Mit dem Anspruch, evidenzbasiert entschieden zu haben, stellte Ende letzten Jahres eine europäische Arbeitsgruppe ein Positionspapier zur Reha bei COVID-19 und Post-COVID vor. Von 32 erarbeiteten Empfehlungen hatten immerhin drei einen direkten Trainingsbezug. PEM kam in der Publikation kein einziges Mal vor, bedauerte Dr. Glöckl. Mit einem eigenen Projekt wollten er und weitere Kollegen es besser machen. Dafür analysierten sie zunächst 46 Post-COVID-Trainingsstudien und hakten anschließend via Online-Umfrage bei den Autoren nach. Aus 14 Expertenzentren kamen Antworten u.a. zur Trainingssteuerung. Was letztlich herauskam waren allerdings sehr heterogene Ergebnisse. Und erneut: In keiner einzigen der internationalen Studien wurde PEM erwähnt.

Dabei sollte die erste Frage im Hinblick auf körperliches Training lauten: Hat der Patient eine PEM-Symptomatik oder nicht? Mithilfe des DSQ**-PEM lässt sich dies leicht ermitteln und auch der Schweregrad einer PEM bestimmen. In ihrer eigenen Arbeit schlagen Dr. Glöckl und Kollegen vor, bei Patienten ohne PEM ein klassisches Kraft- und Ausdauertraining sowie ein Atemmuskeltraining durchzuführen, das über verschiedene Parameter, etwa maximale Leistungsfähigkeit bzw. Herzfrequenz gesteuert wird. Auch Patienten mit milder oder moderater PEM-Symptomatik können trainieren– mit reduzierter Intensität und Frequenz. Was im Einzelfall möglich ist, muss nach dem Prinzip trial and error ermittelt werden, Evidenz gibt es dafür nicht. Bei Patienten mit schwerer PEM sollte man auf die Coping-Empfehlungen aus dem ME/CSF-Bereich (u.a. Schulung, Pacing) zurückgreifen. Diese sind natürlich auch für Patienten mit milder bis moderater PEM potenziell nützlich. Die detaillierten Empfehlungen von Dr. Glöckl und seinen Kollegen sind zur Publikation in Sports Medicine Open eingereicht.2 

Quellen: 64. Kongress der DGP*

1. Ceravolo M et al. Eur J Phys Rehabil Med.2023; 59: 789-799; DOI: 10.23736/S1973-9087.23.08315-6

2. Gloeckl R et al. Sports Medicine Open accepted 06.03.2024

*Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
**DePaul Symptom Questionnaire