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Ischämie ohne obstruktive Koronarien Unterscheidung zwischen makro- und mikrovaskulärer Dysfunktion ist therapiebestimmend

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Häufig werden die auftretenden Brustschmerzen als nicht-kardial abgetan. Häufig werden die auftretenden Brustschmerzen als nicht-kardial abgetan. © iStock/kupicoo
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Im klinischen Alltag werden Patienten oft mit der Diagnose „nicht-kardiale Brustschmerzen“ entlassen, wenn sich trotz Angina keine obstruktive KHK findet. Dabei können die Symptome durchaus ischämisch bedingt sein, was ebenso ernst genommen werden muss wie eine Stenose.

Die Ischämie ohne obstruktive Koronarien, kurz INOCA, ist u.a. gekennzeichnet durch pektanginöse Beschwerden sowie das Fehlen relevanter Stenosen ≥ 50 % in der Angiographie. Häufig erhalten Betroffene weder eine Erklärung für ihre Symptome noch eine adäquate Therapie, schreiben Prof. Dr. John Beltrame, Queen Elizabeth Hospital in Adalaide und Kollegen. In einem aktuellen Review weisen die Experten einen besseren Weg für den Umgang mit der Erkrankung auf.

Risiko für MACE und Hospitalisierungen erhöht

Etwa jeder Zweite mit INOCA­ leidet unter rezidivierenden Brustschmerz­episoden. Diese Rate entspricht der von Patienten mit obstruktiver KHK. Aus kleineren Studien geht hervor, dass das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) und Krankenhausaufnahmen erhöht ist. Es gibt also Grund genug, sowohl kardioprotektive Therapien einzusetzen als auch Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.

Zunächst müssen jedoch nicht-ischämische Ursachen für die Brustschmerzen ausgeschlossen werden – idealerweise vor einer invasiven Koronarangiographie, betonen die Autoren. Zu den Ursachen zählen gastroösophagealer Reflux, muskuloskelettale Leiden (z.B. Kostochondritis) sowie Klappenerkrankungen und Myokarditiden. Eine sorgfältige Anamnese kann schon vieles klären. Mitunter braucht man zusätzliche Diagnostik wie Endoskopie, Ösophagusmanometrie, Oberbauchsonographie oder Herzecho.

Des Weiteren sollten Surrogat­parameter der myokardialen Ischämie eruiert werden:

  • charakteristische Angina pectoris bei Belastung oder in Ruhe
  • ischämietypische EKG-Veränderungen
  • beeinträchtigte Myokardperfusion in der Stress-Bildgebung
  • stressinduzierte Wandbewegungsstörungen
  • verminderte koronare Flussreserve

Sofern einer dieser Befunde erhoben wird, darf man – bei unauffälliger Herzkatheteruntersuchung – die Diagnose INOCA stellen.

Pathophyiologisch kommen Koronarspasmen, mikrovaskuläre Dysfunktion oder ein erhöhter Sauerstoffbedarf (z.B. bei Tachykardie) in Betracht. Gut klären lässt sich der zugrunde liegende Mechanismus erst durch weiterführende Tests wie eine funktionelle Koronarangiographie inkl. intrakoronarer Acetylcholin­provokation, so die Experten.

Die Unterscheidung zwischen makro- und mikrovaskulärer Dysfunktion hat therapeutische Implikationen, weshalb man um die funktionelle Untersuchung kaum herumkommt. Charakteristisch für die makrovaskuläre Störung, die inzwischen vermehrt als vasospastische Angina bezeichnet wird, sind zudem Ruheangina und transiente EKG-Veränderungen wie ST-Hebungen, die rasch auf Nitrate ansprechen. Mikrovaskulär bedingte Beschwerden reagieren aufgrund ihrer komplexeren Pathophysiologie unterschiedlich auf Nitrate (s. Tabelle).

Koronare mikrovaskuläre Störungen
kardiales Syndrom Xmikrovaskuläre AnginaSlow-Flow-Phänomenmikrovaskuläre Spasmen
mutmaßlicher Mechanismuseingeschränkte Vasodilatationeingeschränkte VasodilatationErhöhter GefäßwiderstandGefäßspasmen
MerkmaleBelastungsangina, betrifft v.a. Frauen, begrenztes Ansprechen auf Nitrate, pathologisches Stress-EKGoft Ruheangina, betrifft v.a. Frauen, begrenztes Ansprechen auf Nitrate, reduzierte koronare Flussreserveinstabile Angina, Risikofaktor Rauchen, variables Ansprechen auf Nitrate, verzögerte KM-Anflutung in der Angiographieinstabile Angina, betrifft v.a. Frauen, variables Ansprechen auf Nitrate, bei Acetylcholinprovokation: Schmerzen und Ischämie-EKG, aber keine epikardialen Koronarspasmen

Insbesondere die vasospastische Angina geht mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einher. Betroffene können einen akuten Myokardinfarkt oder sogar einen plötzlichen Herztod erleiden. Kalziumkanalblocker sind die Schlüsselmedikamente, um das MACE-Risiko zu senken.

Dauerhafte Nitrateinnahme neuerdings infrage gestellt

Bei mikrovaskulären koronaren Erkrankungen ist die Gefahr schwerer Ereignisse weniger stark und heterogen ausgeprägt. Zur Kardioprotektion gibt es noch keine gesicherten Therapieansätze, Statine und ACE-Hemmer werden in Leitlinien gemeinhin empfohlen.

Neben der Prognose verbessern Calciumantagonisten die Beschwerden von Patienten mit vasospastischer Angina. Auch lang wirksame Nitrate helfen symptomatisch. Allerdings wird der Nutzen einer dauerhaften Einnahme neuerdings infrage gestellt, da sie über Entwicklung einer Nitrattoleranz kardiovaskuläre Ereignisse provozieren könnten. Substanzen wie Nicorandil und der Phosphodiesterase-3-Hemmer Cilostazol haben in klinischen Studien positive Effekte gezeigt. Auf Betablocker und Sympathomimetika sollte man dagegen verzichten, da sie spas­tische Episoden triggern können.

Die antianginöse Behandlung der mikrovaskulären Dysfunktion gestaltet sich komplexer und es gibt keine klare Erstlinientherapie. Je nach Ischämietyp, Anginamuster und Begleiterkrankungen kommen u.a. in Betracht: Nitrate, Betablocker, Calciumantagonisten, Kaliumkanal­öffner, Rho-Kinase-Inhibitoren, If-Kanal-Hemmer. Da diese Substanzen über verschiedene Mechanismen anti­ischämisch wirken, werden sie nicht selten kombiniert.

Körperliches Training und Rehabilitationsmaßnahmen haben sich als nicht-medikamentöse Ansätze bei INOCA als wirksam erwiesen. Grundsätzlich sollten Patienten Ischämie-Auslöser wie Rauchen (v.a. bei makrovaskulärer Dysfunktion) und Stress meiden. Aufgrund fluktuierender Symptome raten die Autoren zur regelmäßigen Überprüfung des Gesundheitsstatus. 

Behandlungsansätze in der Pipeline

Auch auf dem Gebiet der INOCA hat die Coronapandemie den Studienprogress verzögert. Randomisiert geprüft wird derzeit eine intensivierte medikamentöse Behandlung (hochintensive Statintherapie plus RAS-Blocker) zur MACE-Reduktion. Die meisten Therapieansätze in Untersuchung betreffen Patienten mit mikrovaskulären Störungen:
  • Ticagrelor zur antianginösen Therapie speziell bei Slow-Flow-Phänomen
  • Effekt eines Endothelin-Rezeptorblockers auf Symptome und Belastbarkeit
  • Rosenwurz (Rhodiola rosea) zur Verbesserung von Beschwerden und koronarer Flussreserve
  • Effekt der intrakoronaren Applikation von autologen Stammzellen auf koronare Flussreserve und Angina-Frequenz
  • Implantation eines Koronarsinus-Reducers (Reduktion des mikrovaskulären Gefäßwiderstands) zur symptomatischen Behandlung

Anspruchsvoll wird es bei therapierefraktärer Angina. In diesem Fall sollte zunächst geprüft werden, ob der Betroffene eine obstruktive KHK entwickelt hat. Falls nein, gibt es je nach zugrunde liegender Störung weitere Optionen mit teils begrenzter Evidenz, z.B. eine Stellatumblockade oder der Einsatz von Analgetika.

Quelle: Beltrame JF et al. BMJ 2021; 375:e060602; DOI: 10.1136/bmj-2021-060602